LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4263 19.11.2018 Datum des Originals: 16.11.2018/Ausgegeben: 22.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1620 vom 18. Oktober 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/4016 Welche Gebiete sind in NRW als „potentielle FFH-Gebiete“ anzusehen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet am 11.10.2018 in dem Artikel: „Die Bechsteinfledermaus ist nur Folklore“ über die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG), nach der noch einmal geprüft werden müsse, ob der Forst – wie vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) vorgebracht – dem Schutzregime für „potenzielle Flora- Fauna-Habitat-Gebiete" (FFH-Gebiete) unterfällt. Dabei sind die Autoren der FAZ überrascht über die Begründung des OVG, denn der BUND argumentiert in seinem juristischen Kampf gegen den Braunkohlentagebau Hambach bereits seit Jahren mit der FFH-Richtlinie. Bislang sei die Strategie, die Richtlinie als Hebel einzusetzen, um einen beschleunigten Ausstieg aus der Braunkohle zu erwirken, nicht von Erfolg gekrönt gewesen, da der BUND zuletzt im November 2017 mit einer Klage gegen den Rahmenbetriebsplan 2020 bis 2030 vor dem Verwaltungsgericht Köln gescheitert (VG) war. Der BUND habe vor dem VG vorgebracht, dass die nachträgliche Aufnahme des Hambacher Forsts in das Schutzgebietsnetz Natura 2000 „unabweisbar“ sei, da es sich um einen wertvollen Sternmieren-, Eichen- und Hainbuchenwald handle, in dem auch die Bechsteinfledermaus lebe. Der Hambacher Forst sei damit ein „potenzielles FFH-Gebiet“. Die FAZ-Autoren nennen diese Bezeichnung „raffiniert“, da sie auf der sogenannten Vorwirkungsrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufbaue, nach der ein Mitgliedsland während der Umsetzungsfrist einer Richtlinie keine Vorschriften erlassen darf, die dieser Richtlinie zuwiderlaufen. Der Begriff „potenzielles FFH-Gebiet“ würde so unterstellen, dass der Hambacher Forst faktisch bereits den besonderen Schutz der FFH- Richtlinie genieße. Zudem würde öffentlich der Eindruck erweckt, es bestehe eine Rechtspflicht, den Wald zum Bestandteil des Natura-Netzes zu machen. Die Autoren der FAZ betonen, dass das VG in seinem Urteil „nüchtern" festgestellt hätten, dass das FFH- Festlegeverfahren schon seit Jahren abgeschlossen und Deutschland seiner Verpflichtung, FFH-Gebiete nach Brüssel zu melden, nachgekommen sei. Nachmeldungen würden nur dann in Betracht kommen, wenn bisher gemeldete Gebiete zur Erhaltung von Lebensraumtypen und Arten nicht ausreichen würden. Das sei beim Hambacher Forst jedoch nicht der Fall. Die FAZ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4263 2 beschreibt, dass sich die Erzählung des BUND, wie außerordentlich wertvoll und schützenswert der Forst sei, sich mittlerweile verselbstständigt habe. Je kleiner der Restforst geworden sei, desto größer sei die öffentliche Wahrnehmung geworden. Der Artikel verweist aber darauf, dass das VG Köln Ende 2017 festgestellt habe, dass Eichen- und Hainbuchenwälder im gemäßigten Europa weit verbreitet seien. Dies habe auch der BUND im Verfahren eingeräumt. Auch die von der Umweltorganisation „vorrangig als relevante Art in den Blick genommene Bechsteinfledermaus" komme in Deutschland vielerorts vor. Das VG stellte fest, dass der BUND „nicht ansatzweise“ aufzeige, warum es in Deutschland überhaupt einen Nachmeldebedarf in Bezug auf die Bechsteinfledermaus geben solle und dass der Hambacher Forst „entgegen der Behauptung“ auch kein „faktisches Vogelschutzgebiet" sei. Die FAZ kommt zu dem Ergebnis, dass das Urteil des VG sei an Deutlichkeit kaum zu überbieten sei. Das OVG habe trotzdem den vom BUND erhofften Rodungsstopp verhängt. Eilrechtsschutz gewährt zu bekommen, sei jedoch aus juristischer Sicht kein besonderer Vorgang. Die FAZ betont, dass durch die besondere öffentliche Debatte dieser Eilbeschluss eine „erhebliche Wucht“ auslöse. Und die Zeitung stellt die Frage, ob das OVG ein ihm eigentlich nicht zustehendes (klima-) politisches Zeichen setzen wollte. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1620 mit Schreiben vom 16. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet. 1. Prüft die Landesregierung nach dem OVG-Eilbeschluss welche weiteren Flächen in NRW als „potentielle FFH-Gebiete“ anzusehen sind? 2. Welche Unternehmen könnten im Wege des Eilrechtsschutzes zugunsten „potentieller FFH-Gebiete“ in NRW in ihrer Betriebsführung angegriffen werden? 3. Erwägt die Landesregierung Nachmeldungen von FFH-Gebieten? Die Fragen 1 bis 3 werden zusammen beantwortet. Die vom Land Nordrhein-Westfalen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit benannten FFH-Gebiete sind von der Europäischen Kommission in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nach Art. 4 Abs. 2 Unterabsatz 3 der FFH- Richtlinie aufgenommen worden. Die Meldung von FFH-Gebieten ist für Nordrhein-Westfalen damit im Einvernehmen mit der EU-Kommission (mit Ausnahme notwendiger Kohärenzsicherungsmaßnahmen oder freiwilliger Nachmeldungen) abgeschlossen. Da es nach Einschätzung der Landesregierung in NRW keine Hinweise auf potentielle FFH-Gebiete gibt, erübrigt sich eine diesbezügliche Prüfung; es gibt auch keine etwaigen Unternehmen, die hiervon betroffen wären. Die Landesregierung erwägt auch keine diesbezüglichen Nachmeldungen von FFH-Gebieten. 4. Wie hoch schätzt die Landesregierung den Wert des Hambacher Restforst als Schutzraum für die Natur aktuell ein? Historisch gewachsene Ökosysteme wie die altholzreichen Laubwälder des Hambacher (Rest- )Forstes zeichnen sich in der Regel durch ein hohes Maß an Biodiversität aus. In den LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4263 3 Gutachten über das Waldgebiet aus der Zeit vor dem Braunkohlentagebau wurde am Beispiel verschiedener Artengruppen aufgezeigt, dass es sich um Waldökosysteme handelt bzw. handelte, die viele Arten beherbergen, die typisch für alte, strukturreiche Wälder sind. Das Ausmaß etwaiger Beeinträchtigungen durch Entwässerung, Nahwirkungen aus den benachbarten Abbauflächen, menschliche Nutzung während der „Besetzungsphase“ sowie generell Störungen durch die vermehrte Anwesenheit von Menschen im Wald kann seitens der Landesregierung derzeit nicht abschließend beurteilt werden. 5. Wo sind in NRW Vorkommen der Bechsteinfledermaus bekannt? In Nordrhein-Westfalen bestehen aktuell mindestens 23 Wochenstuben-Kolonien der Bechsteinfledermaus. Die Wochenstuben-Kolonien verteilen sich wie folgt (in Klammern: Anzahl Kolonien je Kreis): Düren (3), Euskirchen (mind. 3), Bonn (1), Siegen-Wittgenstein (2), Coesfeld (mind. 5), Steinfurt (3), Gütersloh (mind. 3), Minden-Lübbecke (1 bis 2), Lippe (2). Darüber hinaus gibt es Hinweise auf wenigstens sechs mögliche weitere Kolonien. Zudem sind mehrere bedeutende Schwarm- und Winterquartiere der Bechsteinfledermaus bekannt sowie ein Netz von weiteren weniger kopfstarken Winterquartieren. Die Schwerpunkte liegen im südlichen Rheinland, im Münsterland und im Siegerland.