LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4265 19.11.2018 Datum des Originals: 16.11.2018/Ausgegeben: 22.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1576 vom 12. Oktober 2018 der Abgeordneten Alexander Langguth, Frank Neppe und Markus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/3895 Sexueller Missbrauch und Misshandlung von Kindern Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Eltern und das familiäre Umfeld, wie auch nachrangig der Staat und die Gesellschaft, tragen die Aufgabe, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu fördern und erzieherisch einzugreifen, um die Entwicklung zur eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu unterstützen. Kinder und Jugendliche können auf ihrem Weg ins Erwachsensein besonderen Gefahren ausgesetzt sein. Die §§ 174 und 225 StGB befassen sich mit dem sexuellen Missbrauch und der Misshandlung von Schutzbefohlenen. Die erfassten Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern lagen in Nordrhein-Westfalen in den Vergangen zehn Jahren bei durchschnittlich 2545 und bei der Misshandlung von Kindern bei durchschnittlich 592 jährlichen Fällen.1 Während im Falle der Misshandlung von Kindern die Aufklärungsquote bei durchschnittlich 97 Prozent lag, konnten in den vergangenen zehn Jahren nur durchschnittlich unter 80 Prozent der Fälle des sexuellen Missbrauchs aufgeklärt werden. Um Schulen im Umgang mit der Thematik „Sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen“ zu unterstützen und bei der Entwicklung von Schutzkonzepten zu begleiten, begann Nordrhein-Westfalen 2016 mit der Umsetzung der bundesweiten Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“.2 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1576 mit Schreiben vom 16. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und der Ministerin für Schule und Bildung beantwortet. 1 LKA NRW – Jugendkriminalität und Jugendgefährdung – Lagebild NRW 2017 2 https://www.schulentwicklung.nrw.de/q/erziehung-und-praevention/themen-der-erziehung/schulegegen -sexuelle-gewalt/sexuelle-gewalt.html Aufgerufen am 08.10.2018 http://nordrhein-westfalen.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de/home/ Aufgerufen am 08.10.2018 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4265 2 1. Welche primären Faktoren lassen sich bezüglich Hindernissen, an denen eine Aufklärung des sexuellen Missbrauchs von Kindern scheitert, identifizieren? Nur wenige Täter sind den Betroffenen völlig unbekannt. Die meisten Täter stammen aus dem Umfeld der geschädigten Mädchen und Jungen beziehungsweise haben zu ihnen eine enge soziale Beziehung, wobei das ungleiche Machtverhältnis zwischen Tätern und kindlichen Opfern den sexuellen Missbrauch begünstigt. Mit offenen und versteckten Drohungen und unter Ausnutzung der oft massiven Scham- und Schuldgefühle der Opfer wirken die Täter auf die Geheimhaltung der Taten meist erfolgreich ein. 2. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um die Aufklärungsquote in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu erhöhen? Für den Deliktsbereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern muss man von einem extrem hohen Dunkelfeld ausgehen. Liegen der Polizei Erkenntnisse zu einem sexuellen Missbrauch eines Kindes vor werden unmittelbar alle strafrechtlichen Ermittlungstätigkeiten ausgeschöpft, die zur Aufklärung des Sachverhalts führen. Die Bearbeitung dieser Delikte stellt hohe Ansprüche an die Polizei und ist daher grundsätzlich durch speziell fortgebildete Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter durchzuführen. Zur Sicherung von Beweisen sind intensive Spurensuche- und Spurensicherungsmaßnahmen unmittelbar nach Bekanntwerden eines sexuellen Missbrauchs vorzunehmen. Ein besonderer Schutz gilt bei den Ermittlungsmaßnahmen dem Opfer. Bei der Vernehmung ist auf die seelische Ausnahmesituation des Opfers Rücksicht zu nehmen. Daher ist eine Vernehmungssituation zu schaffen, die frei von äußeren Störungen, Misstrauen und Vorwürfen ist. Hierbei wird in der Regel von dem Verfahren der Audiovisuellen Vernehmung Gebrauch gemacht. Kinder, die Opfer eines Sexualdeliktes wurden, sind in besonderem Maße schutz- und hilfebedürftig. Sie sind durch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren erheblichen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Es besteht bei diesen Opfern die Gefahr, dass ohne die notwendige Sensibilität vorgenommene Ermittlungen die durch das Tatgeschehen verursachten psychischen Verletzungen verstärkt und das Aussageverhalten beeinträchtigt werden. Dies gilt vor allem im Falle sexueller Missbrauchshandlungen im sozialen Nahbereich. In diesem Fall können sich zusätzliche Belastungen durch eine gegebenenfalls ungewisse Familienzukunft, mögliche Einflussnahmen von Tatverdächtigen oder anderer Personen sowie die Gefahr einer Tatwiederholung ergeben. Ein geeigneter Schutz der Kinder wird durch die frühzeitige Einbeziehung weiterer Stellen, z. B. Jugendamt oder Jugendhilfeorganisationen, gewährleistet. 3. In wie vielen der Fälle des sexuellen Missbrauchs und der Misshandlung von Kindern in den vergangenen zehn Jahren waren die Tatverdächtigen Teil des familiären Umfeldes? - Bitte jährliche Werte angeben. Die Erfassung von Fällen, Tatverdächtigen und Opfern in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfolgt nach bundeseinheitlichen, jährlich mit den beteiligten Gremien abgestimmten Richtlinien. Zur Darstellung der formalen Beziehung zwischen Opfer und Täter gibt es in der PKS für den Bereich der „Familie“ die Werte Kinder, Enkel, Eltern, Großeltern, Geschwister, Schwiegereltern, -sohn, -tochter und sonstige Angehörige nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch. In der Anlage sind die Anzahl der Opfer und der Fälle zu den Delikten „Sexueller Missbrauch von Kindern“ und „Misshandlung von Kindern“ mit der formalen Beziehung „Familie“ aufgelistet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4265 3 4. In wie vielen der Fälle des sexuellen Missbrauchs und der Misshandlung von Kindern in den vergangenen zehn Jahren war der Tatort eine Anstalt des Landes NRW?- Bitte jährliche Werte angeben. In der PKS werden ausschließlich die Tatörtlichkeiten Schule 1.-13. Klasse, Fachhochschule, Hochschule, Sonstige Bildungseinrichtungen, Messegelände, Veranstaltungshalle, Altenund /oder Pflegeeinrichtung, Krankenhaus, Sanatorium, Diskothek, Jugendzentrum, Jugendheim, Parkhaus/ Großgarage, Parkplatz, Rastplatz und sonstige Tatörtlichkeiten erfasst. Eine Darstellung, die sich auf sämtliche Anstalten des Landes Nordrhein-Westfalen bezieht, ist aus diesem Grund nicht möglich. 5. Welche Fortschritte im Umgang mit der Thematik „Sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen“ konnten durch die 2016 in NRW eingeführte Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ bereits erreicht werden? Nordrhein-Westfalen startete bereits im September 2016 als erstes Bundesland die Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“. Der Auftakt erfolgte am 19.09.2016 mit einer Pressekonferenz und Fachveranstaltung gemeinsam mit dem Unabhängigen Beauftragten (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig. Auf Veranstaltungen und Dienstbesprechungen für Schulleiterinnen und Schulleiter im Bereich der unteren Schulaufsicht wurde durch Schulpsychologinnen und Schulpsychologen der regionalen Beratungsstellen auf die Informationsmappen der Initiative und die Homepage www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de aufmerksam gemacht. Das Ministerium für Schule und Bildung veranlasste den Versand der Informationsmappen an alle Schulen, so dass sie mit dem angebotenen Informationsmaterial und den umfassenden Angaben im Internetauftritt www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de ein Schutzkonzept entwickeln oder weiterentwickeln können. In den fünf Bezirksregierungen fanden Implementationsveranstaltungen statt, die Schulen sensibilisieren und ihnen Hilfestellung beim Entwickeln von Schutzkonzepten ermöglichen. Teilnehmende waren die schulfachlichen Dezernentinnen und Dezernenten sowie Schulpsychologinnen und Schulpsychologen von Beratungsstellen im Bezirk. Die Bezirksregierungen waren dann für die Weiterleitung der Informationen auf die Ebene der unteren Schulaufsicht zuständig. Es wurde eine hohe Sensibilisierung für das Thema und Akzeptanz der Bedeutung im schulischen Alltag erreicht. Hierzu gehören u. a. Fokussierung auf eine Erweiterung von Partizipationsmöglichkeiten und Teilhabestrukturen in Schule, Aufbau einer Schulkultur und Sensibilisierung eines Verhaltenskodexes oder Gestaltung von Präventionsprojekten durch Drittanbieter (z. B. Theater). Durch diese Angebote konnten die Schulen für das Thema weiter sensibilisiert werden. Dieses gilt für Fachinformationen und den Aufruf „Hinsehen und Handeln“. Gleichzeitig wurden Schulen gestärkt, dieses Thema in ihre bereits bestehenden Strukturen zu integrieren. Bei der Bezirksregierung Arnsberg wurde im Mai 2017 die Landesstelle für Schulpsychologie und schulpsychologisches Krisenmanagement (LaSP) eingerichtet. Kernaufgabe ist die landesweite Entwicklung und Durchführung von Fortbildungen und Supervisionsveranstaltungen. Ein Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich der Prävention und Intervention bei Gewalterscheinungen jeder Art. Durch die verbindliche Aufnahme der Verantwortung für den Themenbereich des sexuellen Missbrauchs im Erlass zur LaSP vom 03.05.2017 ist eine Fortführung der begonnenen Maßnahmen gewährleistet. Dazu gehört die finanzielle Unterstützung von kreis- bzw. (kreisfreier) stadtweiten Veranstaltungen, die den Zweck haben, nach den Pilotveranstaltungen in den Bezirken, das Thema weiter in die Fläche zu bringen. Im Verlauf diesen Jahres wurden Angebote an alle LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4265 4 Schulen, insbesondere Schulleitungen, Beratungslehrkräfte und Teams für Beratung, Gewaltprävention und Krisenintervention in den betroffenen Gebietskörperschaften gemacht, die in der Regel in Kooperation mit den spezifischen lokalen Netzwerkpartnern gemeinsam durchgeführt wurden. Alle Veranstaltungen dienten dem Zweck, die Konzeptentwicklung anzustoßen und das lokale Unterstützungsnetzwerk bekannt zu machen bzw. die Kooperation zu verstetigen. Insgesamt wurden in 2018 Veranstaltungen für 14 Gebietskörperschaften in verschiedenen Bezirken unterstützt. Der Schutz vor sexuellem Missbrauch wurde unter anderen Themen auf dem Expertenworkshop „Gewalt im schulischen Kontext“ am 11.10.2018 im Ministerium für Schule und Bildung diskutiert und wird Bestandteil des überarbeiteten Gewaltschutzkonzepts 2019 des Ministeriums für Schule und Bildung sein. Schule steht in der Verantwortung, sich in diesem Bereich stets neu zu überprüfen. Anlage 1 Kleine Anfrage 1576 2017 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 2 803 524 475 2016 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 2 679 477 428 2015 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 2 523 544 493 2014 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 2 847 557 511 2013 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 3 080 675 623 2012 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 3 081 699 625 2011 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 3 292 752 694 2010 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 3 208 666 614 2009 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 3 084 629 554 2008 Sexueller Missbrauch von Kindern §§ 176, 176a, 176b StGB 3 380 652 591 Familie Fälle Land Nordrhein-Westfalen, Tabelle - 540 Opfer (formale Beziehung) Straftat Anzahl der Opfer insges. Jahr Opfer Kleine Anfrage 1576 2017 Misshandlung von Kindern 703 555 454 2016 Misshandlung von Kindern 660 553 457 2015 Misshandlung von Kindern 588 475 405 2014 Misshandlung von Kindern 691 558 470 2013 Misshandlung von Kindern 641 562 469 2012 Misshandlung von Kindern 654 568 478 2011 Misshandlung von Kindern 815 588 505 2010 Misshandlung von Kindern 805 671 544 2009 Misshandlung von Kindern 674 574 574 2008 Misshandlung von Kindern 778 671 564 FälleOpfer Anzahl der Opfer insges. Land Nordrhein-Westfalen, Tabelle 540 - Opfer (formale Beziehung) Familie Jahr Straftat