LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4307 21.11.2018 Datum des Originals: 20.11.2018/Ausgegeben: 26.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1573 vom 16. Oktober 2018 des Abgeordneten Markus Wagner AfD Drucksache 17/3892 Hambacher Forst: Rodungsstopp und die Folgen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Oberverwaltungsgericht in Münster hatte dem Energiekonzern RWE vergangene Woche vorläufig untersagt, den an den Tagebau grenzenden Hambacher Forst zu roden. Der Rodungsstopp gilt bis zu einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln in der Hauptsache. Das könnte bis Ende 2020 dauern. „Der Wald bleibt nun weiter öffentlich zugänglich.“ Das sei eine Konsequenz aus dem Rodungsstopp, sagte ein RWE-Sprecher am 10.10.2018 gegenüber der Aachener Zeitung1. Der Hambacher Forst, der dem Unternehmen gehört, sei damit kein RWE-Betriebsgelände und somit sei eine Einfriedung nicht zulässig. In einem Gastkommentar, des Handelsblatt vom 10.10.20182, schreibt der ehemalige Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit und ehemalige NRW-Ministerpräsident, Wolfgang Clement: „Nach dem ,Erfolg‘, als den sie die Entscheidung des OVG Münster für sich werten dürfen, sind die Aktivisten, die den Forst rechtswidrig besetzt hatten, offensichtlich zurückgekehrt, um ihre rechtswidrige Besetzung wieder aufzunehmen. So ergeht es dem Rechtsstaat, wenn nicht mehr klar ist, dass seine Grundregeln unmissverständlich jederzeit und überall gelten.“ 1 https://www.aachener-zeitung.de/nrw-region/nrw-regierung-unterrichtet-landtag-zur-braunkohle_aid-33586743 2 https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-der-rodungsstopp-im-hambacher-forst-istunbegruendet /23166294.html?ticket=ST-13385063-jwjXRwuHYtkELHOxhaaL-ap3 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4307 2 Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein- Westfalen (MHKBG NRW) hatte aus Mangel an Brandschutz und Baugenehmigung die Räumung und Beseitigung der Baumhäuser angeordnet. In der Weisung argumentiert das Ministerium unter anderem mit dem fehlenden Brandschutz in den Baumhäusern. Nach der Bauordnung müssten die Baumhäuser etwa über Rettungstreppen und über Geländer verfügen. Außerdem müssten Rettungswege für Feuerwehr und Krankenwagen verfügbar sein. Deshalb dürfe es aus Sicherheitsgründen keinen zeitlichen Aufschub bei der Räumung geben. Umsetzen müssen das nun die Bauämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren, auf deren Gebiet der Hambacher Forst liegt. Nach Angaben von Innenminister Herbert Reul (Sitzung des Innenausschusses vom 11.10.2018), leisteten die Polizeieinsatzhundertschaften bei der mehrwöchigen Räumung des Hambacher Forstes 378 857 Einsatzstunden. Insgesamt seien zwischen dem 13. September und 8. Oktober etwa 31 000 Menschen in Schichten in dem Wald im Einsatz gewesen. Die sogenannte Aktivistengruppe "Ende Gelände" hatte bereits am 07.10.2018 zum Bau neuer Baumhäuser aufgerufen. Rund 100 sogenannte Aktivisten sind nunmehr wieder dabei, neue Barrikaden aus Ästen und Stämmen zu bauen und erneut Baumhäuser zu errichten. Die Polizei hatte zuvor mit Millionenaufwand und einem immensen Polizeiaufgebot aus Einsatzhundertschaften und Spezialeinheiten 86 Baumhäuser geräumt und abgebaut. Der gerichtliche Rodungsstopp verzögert den Braunkohleabbau auf Jahre und ließ den Aktienkurs der RWE-Aktien, bereits am 05.10.2018, um 9 % abstürzen. Zuvor hatte der Essener Energiekonzern den wirtschaftlichen Schaden von 2019 an auf einen „niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“ im Jahr beziffert. Nach Gewerkschaftsangaben seien 4600 Arbeitsplätze gefährdet, wenn der Tagebau Hambach zum Stillstand käme. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 1573 mit Schreiben vom 20. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung 1. Wie viele Arbeitsplätze sind mittelbar und unmittelbar bei einem Stillstand des Tagebaus Hambach gefährdet? Das Unternehmen hat dazu mitgeteilt, dass derzeit ermittelt werde, welche Auswirkungen die in Folge des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2018 erforderlichen betrieblichen Anpassungen auf die Zahl der Mitarbeiter haben werden, deren Arbeitsplätze vom Tagebau Hambach abhängen. Im Tagebau Hambach, in den mit Rohbraunkohle aus dem Tagebau Hambach versorgten Kraftwerken, Fabriken und Veredelungsbetrieben sowie im Bahnbetrieb zum Transport der im Tagebau Hambach gewonnen Kohle sind nach Angaben des Unternehmens ca. 4.600 Menschen beschäftigt. Ein Großteil dieser Arbeitsplätze wäre betroffen, wenn der Tagebau zum Stehen käme. Darüber hinaus betroffen wären die Arbeitsplätze von Beschäftigten bei Partnerfirmen, die in Betrieben der RWE Power AG arbeiten. Zur ggf. betroffenen Anzahl dieser Arbeitsplätze hat sich das Unternehmen noch nicht geäußert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4307 3 2. Wie hoch schätzt die Landesregierung den volkswirtschaftlichen Schaden durch den Rodungsstopp und den daraus erfolgenden Anstieg der Energiekosten für die Verbraucher in NRW ein? Zur Bezifferung eines aus dem Rodungsstopp ggfls. resultierenden volkswirtschaftlichen Schadens liegen der Landesregierung derzeit keine hinreichenden Daten vor. Eine seriöse Prognose über die Höhe des Strompreisanstiegs für die verschiedenen Stromverbraucher ist derzeit nicht möglich. Grundsätzlich würde zwar eine durch den Rodungsstopp verursachte Reduzierung des Stromangebots aus Braunkohlekraftwerken aufgrund der Merit-Order ceteris paribus zu einem Anstieg des Börsenstrompreises führen. Allerdings hängt die Höhe des Anstiegs des Börsenstrompreises von weiteren Einflussfaktoren ab, die nicht vorhersehbar sind. Hierzu gehört unter anderem die genaue Stromminderungsmenge der Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier und die Entwicklung der Brennstoff- und CO2-Zertifikatepreise. Zudem ist der deutsche Strommarkt in den europäischen Strombinnenmarkt eingebunden. Ferner hängen die Endverbraucherpreise je nach Verbrauchergruppe maßgeblich von Steuern, Abgaben und Umlagen sowie von Netzentgelten ab. 3. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung um die zuvor zur Räumung des Hambacher Forst argumentierten Mängel an Brandschutz, Baugenehmigung, Rettungswege etc. nicht wieder entstehen zu lassen? Gemäß § 61 Absatz 1 BauO NRW haben die Bauaufsichtsbehörden u. a. bei der Errichtung und Nutzung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Liegen den Bauaufsichtsbehörden konkrete Hinweise auf Rechtsverstöße vor, haben sie ihnen nachzugehen und zunächst den Sachverhalt zu erforschen. Hierzu ist, wenn es um die Errichtung baulicher Anlagen geht, regelmäßig eine Ortsbesichtigung zweckmäßig. Vor dem Hintergrund der Presseberichterstattung der vergangenen Tage und von Erkenntnissen, die dem Ministerium des Innern vorlagen, hat eine weitere Ortsbesichtigung unter Beteiligung der örtlich zuständigen Behörden stattgefunden. Anschließend wird seitens der zuständigen Behörden nach pflichtgemäßem Ermessen über die ggfs. erforderlichen Maßnahmen entschieden. Die Polizei ist im Rahmen der Gefahrenabwehr grundsätzlich nur subsidiär zuständig und leistet anderen Behörden Vollzugshilfe. So ist die Polizei vom 13.09.2018 bis zum 03.10.2018 im Rahmen der Vollzugshilfe für die zuständigen unteren Bauaufsichtsbehörden bei den Räumungsarbeiten im Hambacher Forst tätig geworden. Auch in der Vergangenheit hat die Polizei die Ordnungs- und Landschaftsschutzbehörden sowie Gerichtsvollzieher anlassbezogen durch die Gewährung von Amts-/Vollzugshilfe bei deren Aufgaben im Hambacher Forst unterstützt. Aufgrund von Angriffen auf Mitarbeiter der RWE Power AG hat die Polizei darüber hinaus die durch das Unternehmen im Rahmen der Verantwortung als Eigentümerin des Hambacher Forstes durchgeführte anlassbezogene und wiederkehrende Räumung der Waldwege von Hindernissen und Barrikaden geschützt. Auch künftig wird die Polizei im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags den oben beschriebenen Aufgaben nachkommen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4307 4 4. Wie viele, an der Räumung aktiv beteiligte Personen, wurden bei dem mehrwöchigen Einsatz verletzt? Bitte aufschlüsseln nach Polizeibeamte, Mitarbeiter RWE, Subunternehmer und Verletzungsgrad. Die Anzahl der verletzten eingesetzten Kräfte (Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte und Regierungsbeschäftigte der Polizei) beläuft sich nach Erhebungen des Polizeipräsidiums Aachen als einsatzführende Behörde für den Zeitraum vom 13.09.2018 bis 03.10.2018 auf 78, davon 60 durch Fremdeinwirkung. Von diesen 60 waren 51 durch Fäkalienbewürfe betroffen. Hiervon waren 12 für den verbleibenden Ereignistag sowie den Folgetag nicht mehr dienstfähig, auch weil Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände zunächst gereinigt werden mussten. Im Übrigen wurden neun weitere Polizeivollzugsbeamte durch Fremdeinwirkung leicht verletzt, wobei zwei hiervon nicht mehr dienstfähig waren, jedoch in den Folgetagen ihren Dienst wieder aufnehmen konnten. Bei den Verletzungen handelte es sich überwiegend um Prellungen und Schürfwunden. Weiterhin wurden im Einsatzverlauf 18 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte ohne Fremdeinwirkung leicht verletzt, davon waren sechs zunächst nicht mehr dienstfähig. Auf Nachfrage zur betroffenen Anzahl der bei RWE bzw. bei Partnerfirmen beschäftigten Personen hat das Unternehmen mitgeteilt, dass bei den zurückliegenden Räumungseinsätzen insgesamt 14 Mitarbeiter von RWE oder von Partnerfirmen durch Fremdverschulden verletzt wurden - davon drei bei RWE beschäftigte Mitarbeiter und 11 bei Partnerfirmen beschäftigte Mitarbeiter. Zum Verletzungsgrad hat das Unternehmen keine Angaben mitgeteilt. 5. Zu wie vielen Einsatzlagen, im Zeitraum der Räumung Hambacher Forst, mussten für NRW, Spezialeinheiten (SEK/MEK) aus anderen Bundesländern oder der Bundespolizei angefordert werden? Im Zeitraum der Räumung vom 13.09.2018 bis zum 03.10.2018 wurden für eine sonstige Einsatzlage am 29.09.2018 anlässlich des Staatsbesuchs des türkischen Ministerpräsidenten in Köln Spezialeinheiten (SEK) aus anderen Ländern angefordert.