LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4315 21.11.2018 Datum des Originals: 20.11.2018/Ausgegeben: 26.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1626 vom 22. Oktober 2018 der Abgeordneten Mehrdad Mostofizadeh und Wibke Brems BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/4024 Folgt die Landesregierung Staatssekretärin Güler und befürwortet Protestaktionen vor privaten Wohnhäusern? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 17. Oktober 2018 fand vor dem Privathaus von Antje Grothus, die als Vertreterin der Tagebaubetroffenen Mitglied der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ist, eine Protestaktion statt, die nicht vom Versammlungsrecht gedeckt war. Ausweislich der Medienberichterstattung positionierten sich etwa 100 RWE-Beschäftigte bzw. Mitglieder der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) unmittelbar vor dem Grundstück und äußerten mit Trillerpfeifen und Trommeln lautstark ihren Unmut über die von Frau Grothus in der oben genannten Kommission vertretenen Positionen. Dokumentiert wurde die Aktion mit einer Videoaufnahme vom Geschäftsführer des BUND NRW, Dirk Jansen, die er auf Facebook mit folgendem Kommentar publizierte: „Psychoterror der IGBCE vor dem Haus von Kohlekommissionsmitglied Antje Grothus.“1 Die Staatssekretärin im Integrationsministerium, Serap Güler, nahm diese Äußerung auf und antwortete auf die Einlassung von Herrn Jansen mit folgendem Tweet: „Wenn Aktivisten einen Wald besetzen, illegal Baumhäuser bauen, ist das "Klimarettung". Wenn Menschen um ihre Jobs bangen und deshalb demonstrieren ist das laut GF des BUND in NRW "Psyhoterror“ [sic!]. Wahnsinn.“2 Von einem Twitternutzer darauf angesprochen, ob sie ein solches Eindringen in die Privatsphäre und die damit einhergehende Einschüchterung gutheiße, offenbarte die Staatssekretärin eine juristisch fragwürdige Haltung und antwortete mit den Worten: 1 https://www.facebook.com/dirk.jansen.940/videos/1166448226839370/ 2 https://twitter.com/SerapGueler/status/1052518715651178496 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4315 2 „Die Versammlungsfreiheit endet nicht vor Privathäusern.“3 Etwa zeitgleich nahm die IGBCE über ihren offiziellen Twitter-Account eine andere Position ein und distanzierte sich von der Aktion mit den Worten: „Zur heutigen Mahnwache in #Buir: Demonstration vor Privathäusern war weder angemeldet noch geplant. Die #IGBCE hält diese Form der Auseinandersetzung für falsch und distanziert sich von persönlichen Anfeindungen. Protest muss aller Job-Sorgen zum Trotz angemessen bleiben.“4 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1626 mit Schreiben vom 20. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration sowie dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Aussagen von Frau Staatssekretärin Güler wurden durch die Fragesteller unvollständig zitiert. Frau Güler hat im weiteren Verlauf der Twitter-Diskussion klargestellt, dass sie erst später mitbekommen hat, dass sich Frau Grothus durch die Demonstration vor ihrem Haus bedroht gefühlt hat und dass dies „natürlich nicht akzeptabel“ ist. Auf die beigefügte Anlage wird insoweit verwiesen. 1. Wie bewertet die Landesregierung juristisch im Hinblick auf den verfassungsrechtlich garantiertem Schutz der Persönlichkeitsrechte, die Aussage der Staatsekretärin Güler: „Die Versammlungsfreiheit endet nicht vor Privathäusern.“ Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit räumt dem Veranstalter die grundsätzliche Befugnis ein, über Ort, Zeitpunkt, Dauer und Art der Veranstaltung selbst zu entscheiden. Dieses Selbstbestimmungsrecht gilt aber nicht uneingeschränkt; es ist insbesondere nicht geschützt, soweit dadurch Rechtsgüter anderer beeinträchtigt werden. Das Versammlungsrecht darf jedoch nur so weit eingeschränkt werden, als dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unerlässlich ist. Auflagen müssen deshalb strikt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht stellt ein dem Versammlungsrecht gleichwertiges Rechtsgut dar, zu dessen Schutz Auflagen gesetzt werden dürfen. Es ist anerkannt, dass aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art. 1 GG folgt, dass jedem Bürger ein „Innenraum“ verbleiben muss, in den er sich zurückziehen kann und zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem er „in Ruhe gelassen“ wird. Zu diesem jedem Bürger zustehenden unantastbaren Bereich gehört die Privatwohnung. Die unmittelbare Umgebung einer Privatwohnung ist daher von Veranstaltungen freizuhalten, die dazu geeignet sind, einen mit Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden psychischen Druck zu erzeugen. Indes kennt die Rechtsprechung auch Fälle, bei denen ausnahmsweise auch ein kurzzeitiges Vorbeiziehen an der Wohnung eines Politikers statthaft sein kann. 3 https://twitter.com/SerapGueler/status/1052522030967480322 4 https://twitter.com/igbce/status/1052518438265073664 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4315 3 2. Wie will die Landesregierung künftig gewährleisten, dass Demonstrationen vor Privathäusern, die geeignet sind, Menschen, die sich gesellschaftspolitisch engagieren, einzuschüchtern und zu bedrohen, unterbleiben? Bei der Anwendung der versammlungsrechtlichen Bestimmungen und der Entscheidung über beschränkende versammlungsrechtliche Maßnahmen haben die Versammlungsbehörden für den jeweiligen Einzelfall die unter Frage 1 dargestellten Zusammenhänge zu berücksichtigen, sodass die beiden grundrechtlich geschützten Positionen, Versammlungsfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht, nach Maßgabe der sogenannten praktischen Konkordanz und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit miteinander in Einklang gebracht werden können. 3. Teilt die Landesregierung die Einschätzung der IGBCE, die diese Form der Auseinandersetzung, wie sie vor dem Haus von Frau Grothus stattgefunden hat, für falsch hält und sich von persönlichen Anfeindungen distanziert und feststellt, dass Protest sich aller Job-Sorgen zum Trotz angemessen bleiben muss oder unterstützt sie die Auffassung von Staatsekretärin Serap Güler, die offenkundig große Sympathien für den Aufmarsch vor dem Wohnhaus von Frau Grothus hegte? Die von Frau Güler ausschließlich als Privatperson getätigten Aussagen werden von der Landesregierung nicht kommentiert. Gleiches gilt für die Stellungnahme der IGBCE. Im Übrigen wird auf die Beantwortung zur Frage 1 verwiesen. 4. Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung daraus, dass Frau Güler erneut in dieser Weise auffällig wird und sich dem Mäßigungsgebot entzieht? Wie bereits bei der Beantwortung bisheriger diesbezüglicher Kleiner Anfragen wird darauf hingewiesen, dass Frau Staatssekretärin Güler ihre Social-Media-Accounts ausschließlich als Privatperson führt. Zur Frage des Neutralitätsgebots und der Meinungsfreiheit hat sich die Landesregierung in diesem Zusammenhang bereits bei der Beantwortung der Kleinen Anfragen 656 (LT-Drs. 17/1944), 744 (LT-Drs. 17/1979) und 873 ausführlich verhalten (LT-Drs. 17/2278). Leere Seite