LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/434 28.08.2017 Datum des Originals: 25.08.2017/Ausgegeben: 31.08.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 133 vom 26. Juli 2017 der Abgeordneten Verena Schäffer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/231 Aussteigerprogramm Islamismus Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Aussteigerprogramm Islamismus (API) beim Verfassungsschutz NRW nahm im Oktober 2014 die Arbeit auf. Anders als das Wegweiser-Programm zielt es darauf ab, Personen, die fest in der neosalafistischen Szene verankert sind, hier herauszulösen und ihnen einen Weg außerhalb der Szene aufzuzeigen. Dazu gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Programms gezielt auf potenziell ausstiegswillige Personen zu. Mit Stand vom Januar dieses Jahres waren 44 Personen in das Programm aufgenommen und weitere 90 Fälle wurden geprüft. Der Innenminister hat die Kleine Anfrage 133 mit Schreiben vom 25. August 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Bei den Klienten des Aussteigerprogramms Islamismus (API) handelt es sich um stark radikalisierte und (ehemals) fest in die islamistische Szene eingebundene Personen, u.a. Rückkehrer aus Kriegsgebieten und wegen entsprechender politischer Straftaten verurteilte Inhaftierte, die häufig als Gefährder eingestuft sind. Ausstiegsprozesse müssen bei diesem Personenkreis durch eine sehr intensive und langjährige Begleitung flankiert werden. Gleichermaßen wichtig ist der Schutz der Klienten vor der extremistisch-terroristischen Szene, in der Aussteiger als Verräter betrachtet werden. Die im Rahmen der Anfrage gewünschten detaillierten Aufschlüsselungen nach Kriterien wie Jahr, Geschlecht, Alter usw. können aufgrund der guten Vernetzung der Szene untereinander nicht erfolgen, da sie in vielen Fällen Rückschlüsse auf die Klienten ermöglichen würden. Soweit möglich werden gleichwohl konkrete Falldaten für die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/434 2 geplante, unabhängige wissenschaftliche Evaluation des API erhoben und entsprechend dokumentiert . 1. Wie viele Beratungsfälle wurden seit dem Bestehen des Aussteigerprogramms Islamismus aufgenommen? (Bitte nach Jahr, Geschlecht und Alter der Beratungsnehmerin bzw. des Beratungsnehmers aufschlüsseln.) Seit Oktober 2014 hat sich das Programm bisher mit 119 Personen aus dem islamistischen Spektrum befasst. Das Aussteigerprogramm wird innerhalb der Szene zunehmend bekannter und von der Zielgruppe gut angenommen. Die Anzahl der eigenständigen Kontaktaufnahmen beispielsweise inhaftierter Extremisten steigt kontinuierlich an und wird u.a. auch durch aktive Ansprachen von Personen, bei denen anfängliche Distanzierungsprozesse erkennbar sind, zunehmend gefördert. 2. Wie viele der unter Frage 1 erfragten Beratungsfälle sind noch in Beratung, wurden erfolgreich abgeschlossen oder abgebrochen? (Bitte nach Jahr, Geschlecht und Alter der Beratungsnehmerin bzw. des Beratungsnehmers aufschlüsseln.) Derzeit begleitet das API 47 Fälle aktiv (von den o.g. 119 Fällen). Die Zielgruppe des Programms weist nahezu durchweg stark verfestigte extremistische Denk- und Verhaltensstrukturen auf. Die Ausstiegsarbeit gestaltet sich daher langwierig und ist auf Nachhaltigkeit angelegt . Es zeigt sich, dass der Begleitungsprozess bei Klienten des API regelmäßig zwischen drei und fünf Jahren dauern wird, bei zunächst inhaftierten Personen durchaus auch länger. Endgültig erfolgreich abgeschlossene Fälle sind daher aufgrund des zu kurzen Begleitungszeitraums (Start API 10/2014) regelmäßig noch nicht seriös zu generieren. Gleichwohl befinden sich 21 Fälle in der Begleitung des API, bei denen bereits jetzt der Deradikalisierungsprozess sehr weit fortgeschritten bzw. – in 3 Fällen – nahezu abgeschlossen ist. Neben derzeit aktiven Fällen wurden seit Oktober 2014 insgesamt 15 Personen in andere Hilfesysteme vermittelt. In 26 Fällen wurde die Bearbeitung ohne Kontaktaufnahme zur betreffenden Person eingestellt, z.B. weil nach den durchgeführten Recherchen erkennbar war, dass keinerlei Distanzierungswille bestand oder weil sich umgekehrt herausstellte, dass die Person bereits ausgestiegen war. In 26 Fällen lehnten durch das API proaktiv angesprochene Personen eine Begleitung ab. Bei tatsächlich in das Programm aufgenommenen Klienten kam es seit Oktober 2014 in 4 Fällen zu einem Abbruch der Begleitung. Dreimal beendete das API den Kontakt einseitig, weil sich die Klienten nicht an die Auflagen des Programms hielten. In einem Fall brach ein Klient den Prozess seinerseits ab, weil ihm die Erfüllung der entsprechenden Auflagen nicht möglich erschien. 3. Was versteht das Aussteigerprogramm unter „Prüffall“? (Bitte Anzahl der Prüffälle nach Jahr, Weg der Kontaktaufnahme, Geschlecht und Alter der potenziellen Beratungsnehmerin bzw. des potenziellen Beratungsnehmers aufschlüsseln.) Unter „Prüffall“ versteht das Aussteigerprogramm den Prozess zwischen dem Erstkontakt und der formalen Aufnahme in das Programm. Nach erfolgter Kontaktaufnahme wird die Ausstiegsmotivation des Klienten zunächst in einigen aufeinanderfolgenden Gesprächen eingehend geprüft , um eine Einschätzung darüber treffen zu können, ob sich die jeweilige Person für die Aufnahme ins Aussteigerprogramm eignet. Erst wenn die Ausstiegsbegleiterinnen und Ausstiegsbegleiter zu dem Entschluss kommen, dass eine ernsthafte Bereitschaft zur Distanzierung von extremistischen Handlungs- und Argumentationsmustern besteht, wird die Person in LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/434 3 das Programm aufgenommen. Die Aufnahme in das Programm schließt dabei keinesfalls aus, dass der Ausstiegswille auch weiterhin kritisch hinterfragt wird. 4. An wie vielen Aufklärungs- und Informationsveranstaltungen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Aussteigerprogramms Islamismus als Referentinnen und Referenten teilgenommen? (Bitte nach Jahr, Ort, Thema und Veranstalter aufschlüsseln .) Für die Ausstiegsbegleiterinnen und Ausstiegsbegleiter besteht aus Gründen der Eigensicherung der Grundsatz, möglichst nicht öffentlich aufzutreten. Daher handelt es sich bei Veranstaltungen , an denen sie teilnehmen, i.d.R. um nicht-öffentliche Veranstaltungen. Im Gegensatz zu sonstigen Veranstaltungen des Verfassungsschutzes dienen diese Veranstaltungen der Ausstiegsbegleiterinnen und Ausstiegsbegleiter gezielt der Aufklärung über die Arbeit der Aussteigerprogramme und damit der Sensibilisierung von Akteuren, die potentiell an Ausstiegsprozessen beteiligt sind. Im März 2017 wurden z.B. Tagungen für den polizeilichen Staatsschutz und Fortbildungsveranstaltungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizvollzugs durchgeführt. Außerhalb der Aussteigerprogramme sensibilisieren Mitarbeiter des Verfassungsschutzes NRW landesweit bei verschiedensten Veranstaltungen über Gefahren des Extremismus und informieren über Strategien, Erscheinungsformen und Ideologien extremistischer Szenen. Dabei werden stets auch die Präventionsstrategie des Verfassungsschutzes sowie das Programm Wegweiser und die Aussteigerprogramme bekanntgemacht. Allein im Jahr 2016 wurden bereits knapp 150 solcher Aufklärungs- und Informationsveranstaltungen des Verfassungsschutzes an Schulen, Aus- und Fortbildungseinrichtungen von Polizei, Justiz und für pädagogische Fachkräfte, politische Stiftungen, Volkshochschulen oder Einrichtungen aus dem wissenschaftlichen Raum abgehalten. Ferner werden spezielle Sensibilisierungs- und Aufklärungsveranstaltungen für Akteure in Flüchtlingseinrichtungen, deren Beschäftigte und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer durchgeführt . Seit 2015 wurden in 65 Veranstaltungen insgesamt ca. 4.035 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus der Arbeit mit geflüchteten Menschen in allen Regierungsbezirken sensibilisiert . 5. Wie sehen die Pläne der Landesregierung zur im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP angekündigten Ausweitung der Aussteigerprogramme aus? Grundsätzlich sollen sogenannte Aussteigerprogramme in allen Extremismus-Bereichen im Rahmen der zur Verfügung gestellten Ressourcen auf- und ausgebaut werden. Dabei wird auf die Erfahrungswerte sowohl aus dem Aussteigerprogramm Rechtsextremismus („Spurwechsel “) des Verfassungsschutzes als auch aus dem Aussteigerprogramm Islamismus (API) des Verfassungsschutzes zurückgegriffen.