LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4370 29.11.2018 Datum des Originals: 28.11.2018/Ausgegeben: 04.12.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1616 vom 16. Oktober 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/4000 Ist der „Hambi“ im Restforst ökologisch wertvoller als die „Sophie“ auf der Sophienhöhe? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Viele Medien bis hin zu Nachrichtensendungen öffentlich rechtlicher Anstalten stellten in den letzten Wochen den Hambacher Forst als einen 12.000 Jahre alten Wald dar. Oftmals wurde er auch als Urwald bezeichnet. In der Fachliteratur finden sich hingegen Hinweise, dass die Region in römischer Zeit viel stärker besiedelt und abgeholzt gewesen sein soll als später dann in fränkischer Zeit. Hier wird die Entstehungszeit des Waldgebietes Hambacher Forst eher in der Merowinger Zeit also eher im 5. Jahrhundert n. Chr. angenommen. Vor Ort wird berichtet, dass der Hambacher Forst in den letzten Jahrzehnten durch eine intensive forstwirtschaftliche Nutzung geprägt war, die dazu geführt haben soll, dass seltene Arten wie Luchs oder Wildkatze schon weit vor 1900 verschwunden gewesen sein sollen. Bekannt ist , dass in den Ertragstafeln der Forstwirtschaft (auf einer Skala von 1 bis 5) das Restforstgebiet Hambach mit 2-3 eingestuft wird, während auf der Sophienhöhe der dort verwendete Forstkies eine Wertung von 1 ergibt. Aus den forstwirtschaftlichen Unterlagen von 1978 soll ersichtlich sein, dass der Hambacher Forst vor seiner Inanspruchnahme durch den Tagebau einen Nadelholzanteil von >40% gehabt haben soll. Die aktuelle Rekultivierung im Bereich Sophienhöhe soll hingegen einen Nadelholzanteil von etwa 10% aufweisen. Zudem ist die Waldflächenbilanz des Bergbaus im Rheinischen Revier wohl positiv, da bislang 8.354 ha forstwirtschaftliche Flächen genommen – aber bislang auch 8.650 ha neue Waldflächen entstanden sein sollen. Für Garzweiler, Hambach und Inden ist in der Braunkohleplanung offenbar unter dem Strich ein Plus von 1.900 Hektar Wald festgelegt worden. Das heißt, dass Mitte des Jahrhunderts in der Region etwa 19 Quadratkilometer mehr Wald als vorher vorhanden sein werden. Die Forschungsstelle Rekultivierung teilt mit, dass auf der Sophienhöhe rd. 1.200 Tierarten und rd. 810 Pflanzenarten anzutreffen seien. Dabei seien über 90 Tierarten von der sog. Roten Liste (wovon 5 Arten in NRW als ausgestorben gegolten haben sollen) und es seien über 80 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4370 2 Pflanzenarten von der sog. Roten Liste (von denen 3 Arten in NRW als ausgestorben gegolten haben sollen). Hintergrund sei, dass die Rekultivierung die Standortvielfalt erhöhe, welche sich wiederum positiv auf die Artenvielfalt auswirke. Besondere Herausforderungen ergeben sich für die Umsiedlung von Altwaldspezialisten wie Spechten und Fledermäuse. Bemerkenswert erscheint aber, dass in den rund 70jährigen ehemaligen Rekultivierungsgebieten bei Brühl und Erftstadt auch alle Altwaldspezialisten u.a. auch die berühmte Bechsteinfledermaus anzutreffen sei. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1616 mit Schreiben vom 28. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet. 1. Ist der Hambacher Forst ein 12.000 Jahre alter Urwald? Nach der letzten Eiszeit haben sich in Mitteleuropa im Wesentlichen die heutigen Waldstrukturen herausgebildet, so auch der Hambacher Forst (eigentlich "Bürgewald"). Es ist anzunehmen, dass der Hambacher Forst seit dieser Wiederbewaldung ein Waldstandort ist. Als "Urwald" im eigentlichen Sinne kann der Hambacher Forst jedoch nicht bezeichnet werden, da es "Urwälder", also von menschlichen Aktivitäten unbeeinflusste Wälder, in Mitteleuropa praktisch nicht gibt. Auch der Hambacher Forst wurde waldwirtschaftlich genutzt. Allerdings lassen sich dort in Teilen noch potentiell-natürliche Waldgesellschaften finden, in anderen Bereichen wurde die ursprüngliche Vegetation noch im vorigen Jahrhundert in Nadelwald umgewandelt. 2. Wie ist die Rekultivierung im Vergleich mit dem Restforst in Hinblick auf die forstwirtschaftliche Nachhaltigkeit zu bewerten? Nachhaltige Forstwirtschaft wird durch die Forstgesetzgebung konkretisiert. § 1a des Landesforstgesetzes Nordrhein-Westfalen (LFoG) definiert die nachhaltige Forstwirtschaft daher wie folgt: Kennzeichen nachhaltiger Forstwirtschaft ist, dass die Betreuung von Waldflächen und ihre Nutzung in einer Art und Weise erfolgt, dass die biologische Vielfalt, die Produktivität, die Verjüngungsfähigkeit, die Vitalität und die Fähigkeit, gegenwärtig und in Zukunft wichtige ökologische, wirtschaftliche und soziale Funktionen zu erfüllen, erhalten bleibt und anderen Ökosystemen kein Schaden zugefügt wird. Das Bundeswaldgesetz definiert dabei Funktionen des Waldes, die gleichermaßen berücksichtigt werden, um die verschiedenen materiellen und immateriellen Ziele zugleich zu gewährleisten. Neben der Rohstoff-Nutzfunktion sind damit insbesondere die ökologischen Funktionen und die Erholungsfunktion bei der Bewirtschaftung von Wäldern zu berücksichtigen. Viele der durch eine nachhaltige Waldbewirtschaftung bereitgestellten Funktionen hängen von Waldeigenschaften ab, die insgesamt mit der Dauer der kontinuierlichen Bewaldung und dem Alter der Waldbestände zunehmen (z.B. Humusgehalt der Böden, Biomasseproduktion, Verhältnis und Dynamik von Ab- und Aufbauprozessen, Strukturvielfalt, biologische Diversität, Altwaldstrukturen). Vor diesem Hintergrund ist offen, ab wann die Waldbestände auf der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4370 3 "Sophienhöhe" die Kriterien der forstlichen Nachhaltigkeit vollumfänglich erfüllen werden. Die ältesten gepflanzten Bäume auf der Sophienhöhe sind derzeit ca. 40 Jahre alt. 3. In welchem Verhältnis stehen Biodiversität und Artenvielfalt im Hambacher Restforst zur Rekultivierung auf der Sophienhöhe? Die beiden Standorte können bezüglich Biodiversität und Artenvielfalt nur bedingt miteinander verglichen werden. Beide Waldbereiche besitzen ihre eigene, spezifische Wertigkeit. Historisch gewachsene Ökosysteme wie die alten Laubwälder im Hambacher Forst mit seinen zahlreichen altwaldtypischen Arten zeichnen sich in der Regel durch ein hohes Maß an für den Standort typischer Biodiversität aus. Rekultivierungsflächen stehen dagegen am Anfang einer Waldentwicklung und sind meist durch die wenigen zufällig vorhandenen sowie durch planmäßig eingebrachte Arten geprägt. Diese Flächen haben im Verlauf ihrer Waldentwicklung die Chance, sehr unterschiedliche Sukzessionsstadien zu durchlaufen und ebenfalls sehr artenreiche Biotope auszubilden. Auf der Sophienhöhe wurden von Beginn an große Anstrengungen unternommen, beispielsweise durch Übertragung von Waldboden aus dem Hambacher Wald die forstwirtschaftliche Wiedernutzbarmachung zu unterstützen und u.a. einen Entwicklungsraum für eine artenreiche Pflanzen- und Tierwelt zu schaffen. Das laufende Begleitmonitoring hat zwischenzeitlich eine beachtliche Menge an Arten nachgewiesen. 4. Welche Erkenntnisse gibt es aus den letzten Jahrzehnten dazu, dass durch den Braunkohlenbergbau dauerhaft Arten verloren gegangen sein könnten? Es liegen der Landesregierung keine Hinweise darauf vor, dass in Nordrhein-Westfalen Arten dauerhaft durch den Braunkohlenbergbau verloren gegangen sind. 5. Auf welche Erfahrungen und Erkenntnisse wird im Braunkohlenrevier mit „Übergangshilfen“ für Altwaldbewohner in neue Lebensräume zurückgegriffen? Im Zusammenhang mit der Genehmigung des Rahmenbetriebsplans für den Braunkohletagebau Hambach ist zur Einhaltung naturschutzrechtlicher Vorgaben ein Artenschutzkonzept entwickelt worden, das auch auf die Schaffung von Ersatzlebensräumen der Altwaldbewohner eingeht. Da der ausgedehnte Rekultivierungswald auf der Sophienhöhe noch zu jung ist, um sich als Lebensraum von Altwaldbewohnern wie der Bechsteinfledermaus zu eignen, sind auf der Basis von Gutachten und Vorschlägen anerkannter Tierökologen Schutzmaßnahmen für die Bech-steinfledermaus und andere betroffene Tierarten erarbeitet worden. Dazu gehören beispielsweise die ökologische Optimierung von etwa 800 ha anderer, vorhandener Waldflächen, z. B. durch die Einbringung und Förderung der Entwicklung von Totholz.