LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4536 11.12.2018 Datum des Originals: 10.12.2018/Ausgegeben: 14.12.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1671 vom 8. November 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/4148 Können energieintensive Unternehmen in Nordrhein-Westfalen weiter auf Vertrauensschutz für ihre Investitionen bauen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit der Genehmigung des Braunkohleplans ermöglichte das seinerzeitige Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen am 31. März 1995 den Aufschluss des Tagebaus Garzweiler II. Der Braunkohleplan ist wesentlich damit begründet worden, dass man die Industrie verlässlich und preisgünstig mit Strom versorgen müsse. Die damalige Entscheidung sicherte damals einen Planungszeitraum bis 2045 ab und ging laut Genehmigungsbescheid von der grundlegenden Annahme aus, „dass die Gewinnung der Braunkohle zur Sicherstellung der Energieversorgung und ganz überwiegend zur Verstromung erforderlich ist. Es gehört zu den Besonderheiten der Braunkohleplanung, dass diese langfristig verlässlich und verbindlich sein muss. Dieses entspricht nicht nur der notwendigen Investitionssicherheit für die betroffenen Unternehmen, sondern auch den Grundsätzen der allgemeinen Energievorsorgung, die ebenfalls einem längerfristigen Beurteilungshorizont entsprechen muss. [...]. Die Genehmigung eines Braunkohleplans geht somit davon aus, dass dieser langfristig Bestand hat. Die Genehmigung begründet damit einen umfassenden Vertrauensschutz. Weder unterliegt sie einer regelmäßigen, noch einer beliebigen Änderbarkeit.“ Gerade Industrieunternehmen mit energieintensiven Produktionsbedingungen haben auf diese langfristig sichere und bezahlbare Stromversorgung vertraut und in Anlagen in Nordrhein-Westfalen investiert. Mit der aktuellen Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ wird nun ein Ausstieg aus der Braunkohleverstromung geprüft, der möglicherweise vor dem bisherigen Planungshorizont bis 2045 liegt. Es stellt sich daher die Frage, wie der Vertrauensschutz für bisher getätigte Investitionen zu gewährleisten ist. In den „Erläuterungen der Genehmigung" von 1995 für den Tagebau Garzweiler finden sich die Hinweise: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4536 2 „Billiger Grundlaststrom könnte in einer Größenordnung, die bei einem Verzicht auf Garzweiler II ersetzt werden müsste, realistisch allenfalls in der Auswahl zwischen Kernenergie und Importkohle erzeugt werden. Somit hätte ein Verzicht auf Garzweiler II auch gravierende Folgen für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Nordrhein-Westfalens. [...] Der damit verbundene Standortnachteil für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen wäre unverantwortlich. Besonders die stromintensiven Grundstoffindustrien und deren Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen wären gefährdet." Die Industrie- und Handelskammern im Rheinischen Revier haben herausgearbeitet, dass sich gerade wegen einer sicheren und leistungsfähigen Energieversorgung viele energieintensive Betriebe im Rheinischen Revier angesiedelt hätten und über 93.000 Menschen hier in energieintensiv produzierenden Unternehmen tätig seien. Der Think Tank Rheinland gibt an, dass im Rheinischen Revier 2.797 Unternehmen vom einer Verteuerung und der Instabilität der Versorgung der Stromversorgung infolge eines vorzeitigen Ausstiegs aus der Braunkohlenverstromung betroffen seien. Die Hydro Aluminium Rolled Products GmbH, die Aluminiumhütten und Walzwerke in der Region betreibt, verweist so darauf, dass sie seit der Übernahme der Vereinigte Aluminiumwerke (VAW) mehr als eine Milliarde Euro in die Werke in Nordrhein-Westfalen im Vertrauen auf diese gesicherte und bezahlbare Stromversorgung investiert hat. Das Unternehmen hat einen Kostenanteil von Strom an den Gesamtkosten von ca. 40 Prozent der Gesamtkosten. Daher hat Hydro am 19.10.2018 ein Rechtsgutachten eines renommierten Kölner Staats- und Verwaltungsrechtlers, der 25 Jahre Richter am Landesverfassungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster war, vorgelegt. Die Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 1671 mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Inwieweit gehört die nach § 1 EnWG anzustrebende sichere und wettbewerbsfähige Versorgung mit Energie zum Gewährleistungsauftrag des Staates, um nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich nach marktwirtschaftlich geordneten Gesichtspunkten für einen ungestörten Ablauf des wirtschaftlichen Geschehens im Ganzen abzusichern? Die Energieversorgungssicherheit gehört zum Bereich der Daseinsvorsorge, auf deren Gewährung ein grundgesetzlich abgesicherter Teilhabeanspruch besteht. Eine verlässliche Energieversorgung ist heute unumgänglich für eine menschenwürdige Existenz und die persönliche Freiheit. Die Gewährleistung von Energieversorgungssicherheit ist als Teil der Daseinsvorsorge eine staatliche Aufgabe. Der dementsprechenden Gewährleistungsverantwortung kann sich der Staat nicht entledigen. Für einen geeigneten Rechtsrahmen, der ein Mindestversorgungsniveau sicherstellt und eine verlässliche Energieversorgung gewährleistet, ist ein Gesetz erforderlich. Dies kann § 1 EnWG, dessen Modifizierung oder eine andere einfachgesetzliche Regelung sein. Ein vorzeitiger Ausstieg aus der Kohleverstromung würde die Grundlagen der Versorgungssicherheit verändern und neue Antworten staatlicher Gewährleistung fordern. Der Gesetzgeber hätte unter Berücksichtigung mehrerer Gemeinwohlziele – Klimaschutz, Versorgungssicherheit, Strukturwandel und wettbewerbsfähige Energiepreise – diese zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. In Deutschland wird bisher eine verlässliche Energieversorgung auf hohem Niveau gewährleistet. Die Mindeststandards der Energieversorgungssicherheit auf diesem Niveau LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4536 3 werden auf einfachgesetzlicher Ebene in verfassungskonformer Weise gesichert und fortentwickelt werden. 2. Wie bewertet die Landesregierung den Grundsatz des Vertrauensschutzes, als verfassungsgerichtlich bekräftigter Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips, mit Blick auf die Zusagen zugunsten der energieintensiven Unternehmen in den Braunkohleplangenehmigungen von 1995, wo der Begriff des Vertrauensschutzes ausdrücklich genannt wird? Der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs.3 GG folgende Vertrauensschutz ist Bestandteil staatlichen Handelns und damit auch des Handelns der Landesregierung. Adressaten der Braunkohleplangenehmigungen von 1995, die Vertrauensschutz genießen können, waren und sind weiterhin die Betreiber der Tagebaue. Ob und inwieweit daraus Vertrauensschutz für Dritte, wie z.B. energieintensive Unternehmen, die Strom beziehen, der mit der aus den Tagebauen geförderten Braunkohle produziert wird, hergeleitet werden kann, wäre im Einzelnen zu prüfen und zu gewichten. 3. Welche Unternehmen haben nach Informationen der Landesregierung in Folge des geschaffenen Vertrauens in energiewirtschaftlich stabile Produktionsbedingungen durch Investitionen welche Vermögenswerte geschaffen (bitte ggf. Anzahl der Unternehmen und Höhe der Vermögenswerte mit angeben)? Das Vertrauen auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung ist ein wichtiger Aspekt für Investoren. Der Landesregierung liegen jedoch zu dementsprechend getätigten Investitionen und geschaffenen Vermögenswerten keine unternehmensscharfen Erkenntnisse vor. 4. Inwieweit beachtet die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung die entstandenen Eigentumsansprüche (Art. 14 GG) und den Vertrauensschutz der energieintensiven Industrie mit Blick auf ihren Handlungsauftrag zur Festlegung eines Kohleausstiegsdatums? Die Kommission ist ein von der Landesregierung unabhängiges und selbständig agierendes Gremium, das von der Bundesregierung eingesetzt wurde. Die Landesregierung geht davon aus, dass die bestehenden verfassungsrechtlichen Grundlagen durch die Kommission beachtet werden. 5. Wie bewertet die Landesregierung das Rechtsgutachten: „Aktuelle Rechtsfragen der stromintensiven Industrie im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung des Vertrauensschutzprinzips“, sofern es ihr bekannt ist? Dieses – von einem Unternehmen in Auftrag gegebene – Gutachten ist der Landesregierung ebenso bekannt wie andere Gutachten, u.a. auch solche von der Landesregierung selbst beauftragte. Diese werden von der Landesregierung ausgewertet werden, um sich mit dieser Expertise in die weitere Diskussion und das weitere Verfahren des Ausstiegs aus der Kohleverstromung einbringen zu können.