LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/466 29.08.2017 Datum des Originals: 24.08.2017/Ausgegeben: 01.09.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 135 vom 26. Juli 2017 der Abgeordneten Verena Schäffer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/233 Neosalafistinnen und Neosalafisten im Justizvollzug Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Einige der in den letzten Jahren festgenommenen Personen aus der neosalafistischen Szene werden im Laufe der nächsten Jahre aus der Haft entlassen. Da die neosalafistische Szene insgesamt eine hohe Gewaltbereitschaft vorweist, kann gerade von diesen Personen eine hohe Gefahr ausgehen. Medienberichten zufolge bestehen in einem Fall aus Berlin konkrete Hinweise auf eine Anschlagsplanung nach der Haftentlassung. Dies stellt die dortigen Behörden vor große Herausforderungen. Auch in NRW steht mindestens ein ehemaliger Gefangener aus der neosalafistischen Szene unter genauer Beobachtung (vgl. https://www.waz.de/politik/inhaftierter-islamist-droht-mit-anschlaegen-nach-entlassungid 211320261.html). Um solche Fälle zu minimieren, aber auch um eine Radikalisierung und Anwerbung von bisher nicht als Neosalafistinnen und Neosalafisten in Erscheinung getretenen Personen zu vermeiden, sind entsprechende Maßnahmen zur Prävention und Deradikalisierung im Justizvollzug und eine enge Betreuung nach der Haft dringend notwendig. Das unter der rotgrünen Landesregierung angestoßene „Ganzheitliche Handlungskonzept zur Bekämpfung des gewaltbereiten verfassungsfeindlichen Salafismus“ hat in seinem ersten Zwischenbericht einen Schwerpunkt auf den Bereich der Deradikalisierung im Justizvollzug gesetzt und die Einrichtung eines Kompetenzzentrums „Justizvollzug und Islam“ als Maßnahme vorgestellt. Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 135 mit Schreiben vom 24. August 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Inneren beantwortet. 1. Wie viele Neosalafistinnen und Neosalafisten befinden sich derzeit im Strafvollzug? (Bitte nach Zeitpunkt der Festnahme, der Verurteilung zugrunde liegender Straftat, Geschlecht und Alter der/des Gefangenen aufschlüsseln.) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/466 2 Die als Anlage 1 beigefügte Übersicht verhält sich zu Gefangenen, die gemäß §§ 129 a, b StGB wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen, die landläufig als "islamistisch" bezeichnet werden, bzw. wegen des Verdachts der Unterstützung solcher Vereinigungen inhaftiert oder wegen entsprechender Straftaten verurteilt worden sind. Darüber hinaus werden Gefangene aufgeführt, die wegen des Verdachts einer Straftat nach den §§ 89 a, b StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) inhaftiert sind, da dieses Gefangenenklientel nicht selten „islamistisches“ Gedankengut befürwortet. 2. Wie viele der unter Frage 1 erfragten Personen werden voraussichtlich bis zum Ende des Jahres 2018 aus der Haft entlassen? (Bitte nach der Verurteilung zugrundeliegender Straftat, Geschlecht und Alter der/des Gefangenen aufschlüsseln.) Von den unter der Frage eins aufgeführten Gefangenen werden sechs Strafgefangene nach derzeitigem Stand bis zum Ende des Jahres 2018 entlassen. Ob bei den übrigen aufgeführten Strafgefangenen eine Entlassung bis zum Ende des Jahres 2018 erfolgen wird, kann nicht prognostiziert werden, da bei Strafgefangenen unter anderem die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nach § 57 StGB besteht. Die Entscheidung hierüber obliegt dem zuständigen Gericht im Einzelfall. Zu den aufgeführten Untersuchungsgefangenen ist anzumerken, dass je nach Verlauf des Ermittlungsverfahrens bzw. einer durchgeführten Hauptverhandlung darüber zu entscheiden ist, ob ein Gefangener aus der Untersuchungshaft entlassen wird. 3. Wie viele der unter Frage 1 erfragten Personen werden derzeit im Aussteigerprogramm Islamismus beim Verfassungsschutz NRW beraten? (Bitte nach der Verurteilung zugrundeliegender Straftat, Zeitpunkt der Aufnahme in das Aussteigerprogramm, Geschlecht und Alter der/des Gefangenen aufschlüsseln.) Das Aussteigerprogramm Islamismus (API) richtet sich an stark radikalisierte und in die islamistische Szene fest eingebundene Personen, auch an Rückkehrer aus Kriegsgebieten und wegen entsprechender politischer Straftaten verurteilte Inhaftierte, die häufig als Gefährder eingestuft sind. Derzeit betreut das API 14 im Strafvollzug befindliche Personen. Diese sind ganz überwiegend wegen Straftaten nach § 129a StGB, 129b StGB und/ oder 89a StGB verurteilt. Die im Rahmen der Anfrage gewünschten detaillierten Aufschlüsselungen nach Kriterien wie Jahr, Geschlecht, Alter usw. können aufgrund der guten Vernetzung der Szene untereinander nicht erfolgen, da sie in vielen Fällen Rückschlüsse auf die Klienten ermöglichen würden. Soweit möglich werden gleichwohl konkrete Falldaten für die geplante, unabhängige wissenschaftliche Evaluation des API erhoben und entsprechend dokumentiert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/466 3 4. Welche Maßnahmen werden zur Prävention und Deradikalisierung im Justizvollzug, zur Betreuung nach der Haft sowie zur Sensibilisierung der Beschäftigten im Justizvollzug ergriffen? Zur Prävention von Radikalisierung hält der nordrhein-westfälische Strafvollzug eine Vielzahl von Maßnahmen vor, die von der Fortbildung des Personals über die Beobachtung von Gefangenen bis zur religiösen Betreuung reichen. Im Rahmen des an der Justizvollzugsanstalt Remscheid angesiedelten Projekts „Prävention von Radikalisierung“ sind vier Islamwissenschaftler/-innen mit der Thematik der Prävention von Radikalisierung in nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten befasst. Zu ihren Aufgaben gehört u.a. die Fortbildung des Personals. Seit dem 01.06.2016 wurden allein von ihnen 1.633 Bedienstete geschult. Darüber hinaus haben seit 2013 bis heute 1.391 Bedienstete an weiteren Schulungen zum Umgang mit islamistisch-extremistischen Gefangenen teilgenommen. Insgesamt sind seit 2013 damit 3.024 Bedienstete entsprechend geschult worden. Zudem ist die Prävention von Radikalisierung mittlerweile fester Bestandteil der Ausbildung der Nachwuchskräfte des Justizvollzuges und in den Justizvollzugsanstalten werden Vorträge von externen Dozenten in eigener Zuständigkeit organisiert. Das Ministerium der Justiz ist der Auffassung, dass der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener eine besondere Bedeutung zukommt. Diese kann eine präventive Wirkung bzgl. einer Radikalisierung zeigen und sich positiv deradikalisierend auswirken. In diesem Zusammenhang kommt der Auswahl geeigneter Imame eine besondere Bedeutung zu; insbesondere werden die in den Justizvollzugsanstalten vorgesehenen Imame vorab einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Bei Gefangenen, die aufgrund konkreter Hinweise dem islamistischen bzw. salafistischen Umfeld zugerechnet werden müssen, ist sichergestellt, dass von ihnen keine Gefahren für andere Häftlinge ausgehen, da diese grundsätzlich von Mitgefangenen getrennt untergebracht werden. Zudem ist die Aufarbeitung der extremistischen Vergangenheit und Ideologie wesentliches Element der Ausstiegsarbeit des Aussteigerprogramms Islamismus. Der Deradikalisierungsprozess wird durch zahlreiche Gespräche bereits während der Haft gefördert. Neben der Ideologieaufarbeitung haben auch die praktische und mentale Vorbereitung auf die Haftentlassung großen Stellenwert. Dabei werden sowohl formelle als auch soziale Angelegenheiten thematisiert und Hilfestellungen durch die Ausstiegsbegleiterinnen und Ausstiegsbegleiter gegeben. Die Klienten werden auch nach erfolgter Haftentlassung weiterhin intensiv betreut, um die Reintegration zu fördern und eine Stabilisierung im sozialen Umfeld sicherzustellen. Die Betreuung umfasst dabei u.a. Unterstützung bei anstehenden Behördengängen, Unterkunftsangelegenheiten, Arbeitssuche sowie Hilfe bei der Bewältigung von Problemen im sozialen Umfeld der Klienten und dies – soweit möglich – auch schon während der Haftzeit. Die Ausstiegsarbeit profitiert von der guten Zusammenarbeit mit allen an dem Ausstiegsprozess beteiligten Akteuren. Dabei nehmen die Beschäftigten im Justizvollzug eine tragende Rolle ein. Ausstiegsbegleiterinnen und Ausstiegsbegleiter informieren daher regelmäßig in Arbeitsbesprechungen oder im Rahmen von Fortbildungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizvollzugs über die Arbeit des Programms. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/466 4 Gefährdete oder bereits radikalisierte Personen, die nach Haftentlassung unter Bewährungsoder Führungsaufsicht stehen, werden vom ambulanten Sozialen Dienst der Justiz in Nordrhein-Westfalen betreut. Spezielle Fortbildungsmaßnahmen der Bezirke und der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen zu den Themenbereichen „Salafismus / Islamismus“ und „Umgang mit Personen aus dem arabisch-islamischen Kulturkreis“, in denen Grundlagenwissen und Kenntnisse über Ideologisierungs- und Radikalisierungsverläufe vermittelt sowie Handlungsansätze aufgezeigt werden, dienen der erforderlichen Sensibilisierung der Fachkräfte für die Arbeit mit der vorgenannten Klientel. Darüber hinaus kooperieren die Fachkräfte mit den Staatsschutzabteilungen der Polizei und dem Verfassungsschutz, um gemeinsam passgenaue Maßnahmen der Prävention bzw. Deradikalisierung umzusetzen. Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ fördert das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend künftig unter anderem ein Modellprojekt zur Prävention und Deradikalisierung in Strafvollzug und Bewährungshilfe aus Nordrhein-Westfalen. Zielsetzung des Projekts ist es, mit neuen Unterstützungsangeboten Radikalisierung im Strafvollzug und während der Bewährungszeit frühzeitig zu erkennen und dieser präventiv zu begegnen. 5. Wie ist der aktuelle Stand zur Umsetzung der im ersten Zwischenbericht zum „Ganzheitlichen Handlungskonzept zur Bekämpfung des gewaltbereiten verfassungsfeindlichen Salafismus“ genannten Maßnahmen, insbesondere zur Einrichtung des Kompetenzzentrums „Justizvollzug und Islam“? Der Aufbau des angesprochenen interdisziplinären Kompetenzzentrums, das über den Justizvollzug hinaus alle Bereiche der Justiz in den Blick nehmen wird, wurde auch in Ansehung der großen Bedeutung des Themas mit Nachdruck vorangetrieben und ist weit fortgeschritten. Im September 2017 wird der künftige Leiter der Einrichtung seinen Dienst antreten. Das Zentrum wird damit in Kürze als wertvolle Unterstützung aller Justizeinrichtungen bei der Bewältigung der Herausforderungen bereitstehen, die aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen bieten. Anlage 1 zur Kleinen Anfrage 135 Zeitpunkt der Festnahme der Verurteilung zugrundeliegende Straftat bzw. Verdacht einer Straftat nach Geschlecht/ Alter Haftart 29.04.2011 § 129 a StGB m/37 Strafhaft 29.04.2011 § 129a, b StGB m/36 Strafhaft 18.06.2012 § 129a, b StGB m/29 Strafhaft 13.03.2013 § 129 a StGB m/47 Untersuchungshaft 13.03.2013 § 129a, b StGB m/30 Untersuchungshaft 13.03.2013 § 129a StGB m/28 Untersuchungshaft 14.03.2013 §§ 129a, b, 89a StGB m/27 Untersuchungshaft 06.09.2014 §§ 89a, 129a, b StGB m/26 Strafhaft 06.09.2014 § 129 b StGB m/29 Strafhaft 06.09.2014 § 129 a, b StGB m/31 Strafhaft 20.09.2014 § 129a StGB m/33 Strafhaft 19.10.2014 § 129a, b StGB m/41 Strafhaft 12.11.2014 § 129a StGB m/61 Untersuchungshaft 12.11.2014 § 129a, b StGB m/34 Strafhaft 12.11.2014 § 89a StGB m/28 Untersuchungshaft 12.11.2014 §§ 129a, 89 StGB m/25 Untersuchungshaft 10.01.2015 § 129a, b StGB m/27 Strafhaft 22.01.2015 § 129a, b StGB m/29 Strafhaft 04.03.2015 §§ 129a, b, 89a StGB m/24 Untersuchungshaft 16.06.2015 § 129a, b StGB m/31 Strafhaft 06.10.2015 § 129a, b StGB m/27 Strafhaft 15.12.2015 § 129a, b StGB m/36 Untersuchungshaft 30.12.2015 §§ 129a, b, 89a StGB m/20 Untersuchungshaft 16.03.2016 § 129b StGB m/24 Strafhaft 02.06.2016 § 129a, b StGB m/29 Untersuchungshaft 07.06.2016 § 89a StGB m/18 Strafhaft 08.06.2016 § 129a, b StGB m/37 Strafhaft 21.06.2016 § 129 a StGB m/31 Untersuchungshaft 14.07.2016 § 129a StGB m/19 Strafhaft 29.09.2016 § 129a, b StGB m/30 Untersuchungshaft 08.11.2016 § 129a StGB m/37 Untersuchungshaft 08.11.2016 § 129a, b StGB m/51 Untersuchungshaft 21.12.2016 § 89a StGB m/26 Untersuchungshaft 21.01.2017 § 129a, b StGB m/21 Untersuchungshaft 24.01.2017 § 129a StGB m/35 Untersuchungshaft 24.01.2017 § 129a, b StGB m/26 Untersuchungshaft 17.02.2017 § 89a StGB m/21 Untersuchungshaft - 2 - 06.03.2017 § 129a, b StGB m/29 Strafhaft 31.03.2017 § 89 a StGB m/21 Untersuchungshaft 10.04.2017 § 89a StGB m/17 Untersuchungshaft 13.04.2017 § 89a StGB m/21 Strafhaft 01.06.2017 § 129a, b StGB m/22 Untersuchungshaft 07.06.2017 § 129 a StGB m/23 Untersuchungshaft 14.06.2017 § 89a StGB m/16 Untersuchungshaft 14.06.2017 § 129a, b StGB m/21 Untersuchungshaft 28.06.2017 m/28 Auslieferungshaft Gesamt: 46