LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4819 15.01.2019 Datum des Originals: 15.01.2019/Ausgegeben: 18.01.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1818 vom 13. Dezember 2018 der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky AfD Drucksache 17/4586 Kulturelle Angebote des Landes NRW für Russlanddeutsche, Aussiedler und Spätaussiedler Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Deutschland leben rund vier Millionen Aussiedler bzw. Spätaussiedler (Begrifflichkeit ab 1993), die in den vergangenen Jahrzehnten aus Mittel- und Osteuropa sowie Asien ihren Weg nach Deutschland gefunden haben. Die bedeutendste Zuwanderungsgruppe kam aus Russland, die sogenannten Russlanddeutschen. Die meisten von ihnen fanden eine neue Heimat in Nordrhein-Westfalen. 15% der knapp 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland wohnen, sind Russlanddeutsche.1 Heute sind die Russlanddeutschen ein wichtiger und aktiver Teil der deutschen Gesellschaft, wie das hohe Integrationspotential schon zeigt. Aussiedler und Spätaussiedler sind die bestintegrierte Bevölkerungsgruppe.2 Hier in Deutschland integrierten sie sich, fanden Arbeitsplätze, gründeten Handwerksbetriebe und andere Firmen und brachten sich auch kulturell ein. Sie wirkten durch ihre schwerpunktmäßige Zuweisung in ländlich strukturierte Regionen der tendenziellen Entvölkerung dieser nicht selten strukturschwachen Regionen entgegen. Tatsächlich sind sie für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland und den kulturellen und ökonomischen Austausch mit ihren Herkunftsgebieten von großer Bedeutung. Aussiedler mussten und müssen aufgrund der Minderheitenpolitik ihrer Herkunftsländer ebenfalls in vielen Fällen die deutsche Sprache neu lernen, sich um eine Anerkennung ihrer Qualifikationen bemühen, zusätzliche Qualifikationen erwerben und auf dem Arbeitsmarkt bestehen. 1 https://shop.arl-net.de/media/direct/pdf/ab/ab_013/ab_013_09.pdf, Seite112 2 http://www.landesbeirat.nrw.de/publikationen/Deutsche_aus_Russland.pdf, Seite 8 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4819 2 Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 1818 mit Schreiben vom 15. Januar 2019 im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration sowie der Ministerin für Schule und Bildung namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Koalitionsvereinbarung vom Juni 2017 hat sich zum Ziel gesetzt, den Beitrag, den die Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler für die gute Entwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen geleistet haben, insbesondere beim Wiederaufbau und beim „Wirtschaftswunder", besonders zu würdigen und zugleich die Erinnerung an Flucht und Vertreibung wachzuhalten. Deshalb gibt es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen seit dem 01. Februar 2018 mit Herrn Heiko Hendriks einen Beauftragten der Landesregierung für die Belange von deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern. Eine wichtige Zielgruppe bilden die Aussiedlerinnen und Aussiedler aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Die überwiegende Mehrheit dieser Personengruppe ist sehr gut in unsere Gesellschaft integriert. Die Landesregierung sieht Ansatzpunkte zur weiteren Unterstützung der Integration und gesellschaftlichen Partizipation der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. 1. Welche kulturellen Projekte unterstützt die Landesregierung derzeit um die Kultur dieser deutschen Volksgruppe auch nach der Rückkehr aus den deutschen Siedlungsgebieten im Osten am Leben zu erhalten? (Bitte die Antwort nach Projekten aufschlüsseln.) 2. In welchem finanziellen Rahmen unterstützt die Landesregierung Vereine und Gruppen, die das kulturelle Erbe der Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion bewahren und pflegen? (Bitte die Antwort nach Organisationen aufschlüsseln.) Die Fragen 1 und 2 werden wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Im Bereich der Abteilung „Kultur" des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft (MKW) wird u.a. der interkulturelle Dialog mit den Mitteln der Kunst gefördert. Das Förderprogramm „Künste im interkulturellen Dialog" mit einem Ansatz von insg. ca. 650.000 EUR wird jährlich neu ausgeschrieben. Die Auswahl der zu fördernden Projekte erfolgt durch ein fachlich besetztes Auswahlgremium. Ziel des Programms ist die „Grenzüberschreitung“ vor allem zwischen Herkunfts- und Gegenwartskultur, zwischen Tradition und Moderne sowie zwischen den kulturellen Prägungen der Generationen (Diversität). Gefördert werden Projekte, die - auf Nachhaltigkeit/spartenübergreifend angelegt sind, - interkulturelle Strukturen bilden oder stärken (z.B. in den Kommunen), - neue Zuschauergruppen erreichen, - kulturelle Vielfalt sichtbar und erlebbar machen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4819 3 Für 2019 sind die Mittel vergeben, die Frist für Projektanträge bei den jeweils zuständigen Bezirksregierungen für 2020 ist im Oktober 2019 (Bekanntgabe durch Pressemitteilung und über die bekannten Multiplikatoren). Die Landesregierung fördert Projekte der Kulturpflege der Vertriebenen und Spätaussiedler aus Kapitel 06 070 Titelgruppe 63 „Durchführung von Aufgaben nach § 96 Bundesvertriebenengesetz". Im Rahmen der Projektförderung werden auch zahlreiche Projekte von Organisationen aus dem Kreis der Russlanddeutschen oder in Bezug auf deren Kultur gefördert. Eine Auflistung für das Jahr 2018 ist der Anlage zu entnehmen. 3. Wie beabsichtigt die Landesregierung das Schicksal der Spätaussiedler, von den ersten Anfängen deutscher Kaufleute bei der Kiewer Rus und Nowgorod über die „Einwanderungswelle“ unter Katharina der Großen und der Hungerkatastrophe mit 350.000 Opfern bis zu den Deportationen von bis zu 1,2 Millionen Russlanddeutschen in den Jahren 1941 und 1942, umfangreicher in den Geschichtsunterricht an den Schulen sowie in die öffentliche Bildung für Erwachsene einzubringen? In NRW erlässt das Ministerium für Schule und Bildung - in der Regel schulformspezifische - Vorgaben für den Unterricht (Richtlinien, Rahmenvorgaben, Kernlehrpläne). Diese legen insbesondere die Ziele und Inhalte für die Bildungsgänge, Unterrichtsfächer und Lernbereiche fest und bestimmen die erwarteten Lernergebnisse. Das Format dieser kompetenzorientierten Kernlehrpläne beinhaltet grundsätzlich keine Festlegung von Unterrichtsthemen. Es wird vielmehr ein obligatorischer Rahmen gesetzt, innerhalb dessen Fachkonferenzen unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Lehr- und Lernbedingungen selbstständig über schulinterne Unterrichtsvorgaben entscheiden. In diesen sog. schulinternen Lehrplänen wird festgelegt, an welchen Inhalten und an welchen Beispielen die verbindlich festgelegten Kompetenzen zu erwerben sind. Das schließt die spezifischen Themen der russlanddeutschen Geschichte ein. So kann die Deportation der Russlanddeutschen in den Jahren 1941 und 1942 im Rahmen des Inhaltsfelds „Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg“, konkret anhand des inhaltlichen Schwerpunkts „Vernichtungskrieg“, thematisiert werden, das in den Kernlehrplänen im Fach Geschichte an allen Schulformen der Sekundarstufe I obligatorisch ist. Darüber hinaus ist auf die digitale Unterrichtshilfe „mBook russlanddeutsche Kulturgeschichte“ hinzuweisen, die auf Wunsch des Landesbeirats für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen und im Auftrag des damaligen Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales vom Institut für digitales Lernen an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt entwickelt wurde. Das damalige Ministerium für Schule und Weiterbildung hat den Prozess fachlich beraten und organisatorisch begleitet. Da es sich um ein Open Educational Ressource Produkt handelt, unterliegt die Unterrichtshilfe nicht dem Lehr- und Lernmittelzulassungsverfahren für Lehrwerke (Runderlass des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 3.12.2003, ABI.NRW.2004, S. 9). Für Schulen frei zugängliche Materialien, die nicht über einen längeren Zeitraum im Unterricht genutzt werden, werden nicht durch das Ministerium für Schule und Bildung geprüft. Diese Aufgabe obliegt den Lehrkräften, die dazu befähigt sind, das für ihren Unterricht ausgewählte Material selbst zu prüfen und im Sinne der Kernlehrpläne und orientiert an ihrer Lerngruppe auszuwählen. Bezüglich der allgemeinen Erwachsenenbildung ist auf das Weiterbildungsgesetz (WbG NRW) hinzuweisen, § 4 Abs. 2 WbG lautet: „Die Einrichtungen der Weiterbildung haben das Recht LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4819 4 auf selbstständige Lehrplangestaltung. Die Freiheit der Lehre wird gewährleistet; sie entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." 4. Welche Projekte der Landeszentrale für politische Bildung widmen sich den Russlanddeutschen, Aussiedlern und Spätaussiedlern? In dem Koalitionsvertrag von Juni 2017 heißt es: „Gedächtnisarbeit und politische Bildung werden wir mit der Landeszentrale für politische Bildung auf die Zielgruppe der Zugewanderten und der Russlanddeutschen erweitern." (S. 107) Die im Koalitionsvertrag benannten Zielgruppen sind sehr heterogen. Aus diesem Grund wurden zur Umsetzung zunächst Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Zielgruppen sowie mit Expertinnen und Experten der politischen Bildung geführt. Außerdem wurden vorhandene wissenschaftliche Studien ausgewertet. Ein auf diesen Maßnahmen basierendes Konzept soll im Rahmen eines Workshops im März/April 2019 vorgestellt und mit Vertreterinnen und Vertretern der Russlanddeutschen, von Einrichtungen der politischen Bildung, aus der Wissenschaft und anderen relevanten Akteuren diskutiert werden. Gleichzeitig hat die LZpB NRW die Absicht, einzelne Projekte mit Modellcharakter zu fördern, um die gewonnenen Erkenntnisse in das oben erwähnte Konzept einfließen zu lassen. Ein Beispiel hierfür ist das Theaterprojekt „Mond // Луна“ des Landestheaters Detmold, das mit einer Gruppe von Russlanddeutschen, Russen und Deutschen unterschiedlicher Generationen gemeinsam entwickelt und bis zum 16. Dezember 2018 aufgeführt worden ist. 5. Wie nutzt die Landesregierung die Erfahrungen aus der besonderen Integrationsleistung dieser Bevölkerungsgruppe als ein Beispiel gelungener Integration im Rahmen der aktuellen Integrationsdebatte? Der Vorsitzende der Landesgruppe NRW der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Herr Dietmar Schulmeister, ist Mitglied des Beirates für Teilhabe und Integration der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Die Integrationsleistungen der Deutschen aus Russland veranschaulicht das vom Land in Auftrag gegebene „mBook russlanddeutsche Kulturgeschichte“, das sich als digital-multimediale Unterrichtshilfe mit der Identität und Kultur der Deutschen aus Russland befasst.