LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4822 15.01.2019 Datum des Originals: 15.01.2019/Ausgegeben: 18.01.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1777 vom 29. November 2018 der Abgeordneten Wibke Brems BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/4378 Was unternimmt Ministerpräsident Armin Laschet zum Schutz vor dem unsicheren Atomkraftwerk Tihange und vor maroden französischen Kernkraftwerken? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am Sonntag, 7. Oktober 2018, war Ministerpräsident Armin Laschet zu Gast in der Talkshow „Anne Will“ mit dem Titel „Wald oder Kohle? Streit um den Hambacher Forst“. Mehrfach äußerte sich der Ministerpräsident dabei zu den Atomkraftwerken in den Nachbarländern Belgien und Frankreich. So sagte er u. a.: "Deshalb brauchen wir für eine bestimmte Zeit auch noch die Braunkohle, auch noch die Steinkohle und möglichst keinen Strom aus französischen maroden Kernkraftwerken." (ab Minute 25:01) "Ich tue im Moment alles, bei der belgischen Regierung dafür zu werben, dass sie Tihange abschaltet, (…) ein unsicheres Atomkraftwerk, das mir wirkliche Sorgen macht." (ab Minute 39:39) "Der französische Präsident kommt zur Klimakonferenz, sagt: "Ich bin hier der Klimakönig, keine Kohle mehr" – verlängert aber die Laufzeiten für seine maroden Kernkraftwerke." (ab Minute 52:28) Ministerpräsident Laschet verkündete in der Vergangenheit bereits mehrfach Aktivitäten gegen grenznahe Atomkraftwerke, die sich im Nachhinein als Luftnummern entpuppten. Ende 2017 behauptete er beispielsweise, in Gesprächen mit der belgischen Regierung über die Abschaltung von Tihange zu sein. Die Antwort auf die Kleine Anfrage 6671 ergab jedoch, dass die Gespräche erst Monate später stattfanden, sie blieben letztendlich sogar ergebnislos. 1 http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMD17/1600 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4822 2 Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 1777 mit Schreiben vom 15. Januar 2019 im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten, der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung In der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens und vielen anderen Teilen der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere in den grenznahen Regionen, besteht große Sorge in Bezug auf die Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung in den angrenzenden Nachbarländern. Wenn wiederholt Zwischenfälle auftreten und technische Auffälligkeiten in diesen kerntechnischen Anlagen festgestellt werden, wird das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger empfindlich berührt. Die Pflege der Beziehungen zu anderen Staaten und damit auch die Vereinbarung von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland vor von diesen Staaten ausgehenden atomaren Risiken ist gemäß den verfassungsrechtlichen Regelungen grundsätzlich Aufgabe des Bundes. Auf Landesebene sind ergänzende Anstrengungen aus Sicht der Landesregierung vor allem dann geboten, wenn in angrenzenden Nachbarländern Reaktoren in Betrieb sind, deren Sicherheit als kritisch wahrgenommen wird und die im Schadensfalle mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Betroffenheit Nordrhein-Westfalens auslösen würden. Im Hinblick auf die wiederholten Zwischenfälle im Betrieb der belgischen Kernkraftwerke Tihange und Doel ist dieser Fall gegeben. Die Landesregierung setzt sich deshalb auf verschiedenen Ebenen und auf vielfältige Weise dafür ein, dass diese Reaktoren sofort und endgültig stillgelegt, spätestens aber mit ihrem Laufzeitende vom Netz genommen werden. Laufzeitverlängerungen lehnt die Landesregierung ab. 1. Auf welche Weise tut Ministerpräsident Armin Laschet „im Moment alles“, um bei der belgischen Regierung für eine Abschaltung der Atomkraftwerke in Tihange zu werben? 2. Welche Aktivitäten hat der Ministerpräsident diesbezüglich mit welchem Ergebnis seit seinem Besuch in Belgien im Februar 2018 entwickelt? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Grundsätzlich ist hier zunächst auf die anhängigen Klageverfahren zu verweisen: Beschwerde des Landes Nordrhein-Westfalen (gemeinsam mit Rheinland-Pfalz) beim Sekretariat der Espoo-Konvention gegen die Laufzeitverlängerungen der Kraftwerksblöcke Doel 1, Doel 2 und Tihange 1 ohne Durchführung einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) Zivilrechtliche Klage der Städteregion Aachen und weiterer Kläger gegen die Genehmigung zum Wiederanfahren von Tihange 2; Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind der Klage beigetreten Klageverfahren der Umweltvereinigungen Greenpeace und Benegora vor dem belgischen Staatsrat gegen die Genehmigung zum Weiterbetrieb der Kraftwerksblöcke LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4822 3 Doel 1, Doel 2 und Tihange 1; Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind der Klage beigetreten Darüber hinaus haben Herr Ministerpräsident Armin Laschet und ich das Thema in verschiedenen Gesprächen mit belgischen Regierungsvertretern erörtert. Zu nennen sind hier insbesondere die Gespräche mit dem belgischen Premierminister Charles Michel und den Ministerpräsidenten der Regionen Flandern und Wallonie sowie mit dem für die nukleare Sicherheit zuständigen Innenminister Jan Jambon und der Energieministerin Marie-Christine Marghem. Zuletzt hat Herr Ministerpräsident das Thema in einem Gespräch mit den Ministerpräsidenten der deutschsprachigen Gemeinschaft sowie der Wallonie am 19. Oktober 2018 sowie bei einem Treffen mit dem belgischen Botschafter am 13. November 2018 angesprochen. Ein Ergebnis der Bemühungen stellt unter anderem ein verbesserter Austausch der zuständigen Behörden beider Länder dar. So nehmen Vertreter der nordrhein-westfälischen Atomaufsicht beispielsweise an den regelmäßigen Sitzungen der Belgisch-Deutschen- Nuklear-Kommission teil. Als eine zentrale Voraussetzung für die Abschaltung der belgischen Reaktoren ist die Gewährleistung einer sicheren Energieversorgung in den betreffenden Regionen auch nach der Stilllegung dieser Anlagen anzusehen. In diesem Zusammenhang kommt unter anderem einer verbesserten Einbindung Belgiens in den europäischen Stromverbund eine große Bedeutung zu. Mit der Errichtung einer ca. 100 km langen 320 kV-Gleichstromverbindung vom Kreis Düren nach Belgien (so genannte ALEGrO-Leitung), die im Oktober 2018 begonnen wurde, wird dafür aus Nordrhein-Westfalen ein wichtiger Beitrag geleistet. Darüber hinaus setzt sich die Landesregierung für die Errichtung einer weiteren grenzüberschreitenden Leitung ein, deren Bedarf von der Bundesnetzagentur inzwischen grundsätzlich bestätigt wurde. In diesem Zusammenhang hat Herr Ministerpräsident den belgischen Premierminister Michel im Oktober 2018 erneut kontaktiert und ihn darum gebeten, die weitere Verflechtung der Stromnetze durch einen möglichst leistungsstarken zweiten Interkonnektor auch von belgischer Seite aus zu unterstützen. 3. Inwieweit hat der Ministerpräsident seine berechtigte Kritik an den von ihm als marode bezeichneten Atomkraftwerken in Frankreich bereits der französischen Regierung und/oder dem französischen Präsidenten persönlich vorgetragen? Es wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 4. Inwieweit hat der Ministerpräsident nach Antritt der neuen Bundesregierung im März 2018 beim Bundesumweltministerium oder dem Bundesenergieministerium seinen Wunsch nach einem Exportstopp für angereichertes Uran aus Gronau sowie Brennelementen aus Lingen für belgische wie französische Atomkraftwerke konkret vorgetragen und vorangebracht? Herr Ministerpräsident Armin Laschet und ich haben sich in der Sache sowohl mündlich als auch schriftlich an Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel sowie an die in der Bundesregierung zuständige Bundesumweltministerin Svenja Schulze gewandt und hier auf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4822 4 eine zügige Umsetzung der im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vereinbarten Prüfung zur rechtssicheren Umsetzbarkeit eines solchen Exportstopps gedrungen. 5. Inwieweit bemüht sich der Ministerpräsident derzeit mit seinen Länderkollegen in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Niedersachsen sowie mit der Bundesregierung, eine einheitliche Linie zu finden, um insbesondere die Abschaltung der grenznahen von ihm als marode“ und unsicher bezeichneten Atomkraftwerke in Belgien und Frankreich voranzubringen? Die Landesregierung hat sich in einem gemeinsamen Bundesratsentschließungsantrag mit Rheinland-Pfalz zur Grundrucksache 512/18 in den Bundesratsausschüssen für Gesundheit, Inneres, Wirtschaft und Umwelt vom 7./8.11.2018 für einen unverzüglichen Beginn der im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarten Prüfung zur Verhinderung des Einsatzes deutscher Kernbrennstoffe in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, eingesetzt. Darüber hinaus soll die Bundesregierung einen rechtssicheren und EU-konformen Weg aufzuzeigen, wie ein solcher Export verhindert werden kann und wird gebeten, die Länder in geeigneter Weise über die Prüfschritte zu unterrichten. Zudem wird die Bundesregierung aufgefordert, die Bundesländer durch engagiertes und direktes Eintreten bei deren Bemühungen zu unterstützen, dass vergleichsweise alte und störanfällige Reaktoren in den angrenzenden Nachbarstaaten schnellstmöglich abgeschaltet werden. In diesem Zuge sind auch Beratungen mit den genannten und weiteren Ländern erfolgt. Darüber hinaus wird auf die Vorbemerkung verwiesen.