LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4842 16.01.2019 Datum des Originals: 16.01.2019/Ausgegeben: 21.01.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1839 vom 17. Dezember 2018 der Abgeordneten Christina Weng SPD Drucksache 17/4614 Ist die Weseraue in Petershagen durch Giftmülleinlagerung gefährdet? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das EG-Vogelschutzgebiet „Weseraue“ ist eines der bedeutendsten Brut-, Mauser-, Rast-, Durchzugs- und Überwinterungsgebiete vor allem für Wasser- und Watvögel in Nordrhein- Westfalen. Es erstreckt sich vom Naturschutzgebiet „Lahder Marsch“ bei Petershagen bis zur Staustufe Schlüsselburg an der niedersächsischen Grenze. Die Weseraue ist eine Stromtal- Kulturlandschaft mit episodisch überschwemmten Grünlandflächen im Deichvorland. Charakteristische Landschaftselemente sind die im Zuge von Abgrabungen entstandenen Kiesgewässer (u.a. Häverner Marsch, Mittelweser, Windheim) sowie die überwiegend landwirtschaftlich genutzte Grünland- und Ackermarsch. Als landschaftstypische Lebensräume tragen vor allem extensiv genutzte Wiesen und Weiden, Hochstaudenfluren, Feldhecken, Weidenauenwälder und -gebüsche, Kleingewässer, Röhrichte und offene Pionierflächen zum Wert des Gebietes bei. Eine besondere Rolle für gebietstypische Vögel wie Säger, Gänse und Enten spielt bei strengem Frost auch die aufgestaute Weser, da sie nur in geringem Umfang zufriert. Vor allem nordische Schwäne und Gänse nutzen während der Zug- und Überwinterungszeit die weitläufigen Ackermarschen zur Nahrungssuche. Die zahlreich auf den umliegenden Dörfern brütenden Störche nutzen das Gebiet als Nahrungsquelle für ihre Jungenaufzucht und haben Petershagen zur Storchenhauptstadt Nordrhein-Westfalens gemacht. Am Rande dieser einzigartigen Kulturlandschaft ist in Petershagen-Lahde der Betrieb einer Aufbereitungsanlage für gefährliche Abfälle vorgesehen. Die vorgesehene Fläche ist bereits durch eingebrachtes Recyclingmaterial für den späteren Betrieb vorbereitet worden. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1839 mit Schreiben vom 16. Januar 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4842 2 1. Ist der Landesregierung bekannt, dass in die betreffenden Grundstücke vor Erteilung einer wasserrechtlichen Genehmigung belastetes Recyclingmaterial eingebaut wurde, ohne die Grenzen des höchstmöglichen Grundwasserstandes und Hochwasserstandes der Weser zu berücksichtigen? Der Landesregierung ist bekannt, dass der Einbau von nicht mit besonderen Schadstoffen belastetem Recyclingmaterial, dessen Einbau die Bezirksregierung Detmold am 20.09.2016 die wasserrechtliche Erlaubnis erteilt hat, hinsichtlich der Einbautiefe zum Teil nicht genehmigungskonform erfolgt ist. Ein bereits entwickelter Maßnahmenplan zur teilweisen Wiederaufnahme des Recyclingbaustoffes, zum genehmigungskonformen Einbau und zur gesicherten Lagerung auf dem Vorhabengrundstück befindet sich hinsichtlich der Umsetzung derzeit in Abstimmung mit den zuständigen Behörden. Hinsichtlich des höchstmöglichen Grundwasser- und Hochwasserstands verweise ich auf die Antwort zu Frage 3. 2. Wie bewertet die Landesregierung das Risiko einer Auswaschung von Giftstoffen aus dem eingebauten Befestigungsmaterial auf der Baustelle für den Landschaftsund Gewässerschutz der Weseraue, insbesondere die Folgen für den dort entspringenden „Riehebach“, der von der Bezirksregierung Detmold zur Renaturierung vorgesehen ist? Bei Recyclingbaustoffen der Qualität RCL I handelt es sich bei Bewertung nach den einschlägigen NRW-Regelungen um die bessere von zwei ausgewiesenen Materialqualitäten, für die weitreichende Verwertungsmöglichkeiten und eine nahezu uneingeschränkte Verwendung in den Standardbauweisen des Erd- und Straßenbaus zulässig sind. Nachuntersuchungen des in diesem Fall verwendeten RCL I-Materials haben keinen Hinweis auf erhöhte Schadstoffbelastungen, insbesondere erhöhte PAK1-Gehalte geliefert. Untersuchungen an vier Grundwassermessstellen (jeweils zwei im Abstrom und zwei im Zustrom des Grundwassers) zeigten im Grundwasserabstrom des Vorhabengrundstücks tendenziell eine Zunahme des Konzentrationsniveaus lediglich hinsichtlich leicht löslicher Salze, die sich jedoch insgesamt auf niedrigem Niveau (unterhalb der Geringfügigkeitsschwellenwerte) bewegen. Im Übrigen ist ein nachteiliger Einfluss des eingebauten RCL-Materials auf die chemische Beschaffenheit des Grundwassers weder festgestellt worden noch zu erwarten. Die durchgeführten Grundwasseranalysen liefern somit keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben Gewässer wie den Riehebach kleinräumig relevant verschlechtert. Anderweitige Anhaltspunkte für eine derartige Verschlechterung liegen der Landesregierung nicht vor. Es ist daher davon auszugehen, dass eine unmittelbare Gefahr von den auf dem Gelände lagernden Recyclingbaustoffen nicht ausgeht. 3. Ist nach Ansicht der Landesregierung eine Aufbereitungsanlage für gefährliche Abfälle im Hochwasserbereich HQ-100 genehmigungsfähig? Das Vorhabengrundstück liegt nicht in einem Bereich, der von einem HQ-100-Hochwasser überflutet wird. Somit befindet sich die geplante Anlage in keinem festgesetzten 1 PAK = polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4842 3 Überschwemmungsgebiet gemäß § 76 Wasserhaushaltsgesetz (WHO) so dass Gründe des Hochwasserschutzes nicht gegen die Erteilung der Genehmigung der Anlage sprechen. In der rechtlich bindenden Ausweisung des Überschwemmungsgebiets ist der betroffene Teil den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend dargestellt und per ordnungsbehördlicher Verfügung vom 25.02.2015 festgesetzt. Im Rahmen des Festsetzungsverfahrens wurde das in § 76 Abs. 4 vorgesehene Verfahren zur Information und Beteiligung der Öffentlichkeit vorgenommen. Eine ursprünglich fehlerhafte Darstellung des Überschwemmungsgebiets im Internet ist bereits Ende 2016 korrigiert worden. 4. Von Mitgliedern der Bürgerinitiative „Stoppt den Giftmüll – WIR WEHREN UNS!“ e.V. ist über mangelnde Transparenz und Offenheit im Genehmigungsverfahren durch die Bezirksregierung Detmold berichtet worden, trotz bestehender Auskunftspflicht gemäß des Informationsfreiheitsgesetzes. Welche Informationen liegen der Landesregierung diesbezüglich vor? Mitglieder der Bürgerinitiative „Stoppt den Giftmüll – WIR WEHREN UNS e.V.“ haben gegenüber der Landesregierung ihren Eindruck mangelnder Transparenz und Offenheit bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht. Die Landesregierung ist dieser Kritik jeweils nachgegangen. Im Ergebnis ist ein solcher Vorwurf nicht nachvollziehbar und unbegründet. Bei dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren handelt es sich um ein Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Das Vorhaben wurde öffentlich bekannt gemacht, die Antragsunterlagen haben zur Einsichtnahme ausgelegen und waren darüber hinaus im Internet für jedermann einsehbar. Die Bezirksregierung Detmold hatte die Zulassung des vorzeitigen Baubeginns nach § 8a BImSchG vor Ablauf der Einwendungsfrist erteilt. Daher wurde die Bezirksregierung Detmold fachaufsichtlich darauf hingewiesen, dass vor einer Zulassung des vorzeitigen Beginns regelmäßig das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung abgewartet werden sollte. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Verletzung drittschützender Rechte. Ein Nachbarklageverfahren gegen die Zulassung vorzeitigen Beginns, die neben der wasserrechtlichen Erlaubnis die Grundlage des Einbaus des RCL-Materials gewesen ist, wurde vom Verwaltungsgericht Minden abgewiesen. Eine Verletzung drittschützender Rechte ist gerichtlicherseits nicht festgestellt worden (Az. 11 K 6333/16). Mitgliedern der Bürgerinitiative wurde fortlaufend, in regelmäßigen Abständen und zum Teil in Abständen bzw. Zyklen weniger Wochen uneingeschränkte Akteneinsicht gewährt, und zwar sowohl zur wasserrechtlichen Erlaubnis, zu der Frage eines teilweisen Rückbaus des RCL- Materials, zum immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren als auch zu Fragen des Überschwemmungsgebietes, zuletzt im Dezember 2018. 5. Wie sieht die Landesregierung den weiteren Ablauf des Genehmigungsverfahrens? Die Stadt Petershagen hat eine bauliche Veränderungssperre verhängt, die einer Genehmigungserteilung entgegensteht. Das Genehmigungsverfahren wurde auf Antrag der Firma durch die Bezirksregierung Detmold ruhend gestellt, um das weitere Verfahren der Stadt Petershagen zur Aufstellung des angekündigten neuen Bebauungsplans und die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dessen zukünftigen Festsetzungen abzuwarten. Die Ruhendstellung endet LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4842 4 voraussichtlich, sobald der neue Bebauungsplan der Stadt Petershagen in Kraft getreten ist, womit nach Angaben der Stadt Petershagen im Jahr 2019 zu rechnen ist.