LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5199 20.02.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1895 vom 15. Januar 2019 des Abgeordneten Michael R. Hübner SPD Drucksache 17/4847 Nach einem Jahr immer noch keine „Entfesselung“ für die nachhaltige Beschaffung in NRW: Neoliberale Marktentfesselung statt pragmatischer Stärkung der Wettbewerbsbedingungen für faire Arbeit und faire Unternehmen. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die schwarz-gelbe Landesregierung hat die Nachweispflicht zur Einhaltung internationaler Arbeitsrechte und Umweltstandards aus dem Tariftreue- und Vergabegesetz (TVgG) NRW gestrichen. Mit der Gesetzesänderung ist eine landesweit einheitliche Regelung, die die öffentliche Beschaffung auch an Menschenrechten und Umweltstandards ausrichtet, abgeschafft. Argumentiert hat die Landesregierung, dass durch die Erleichterung der Vergabe auch eine einfachere faire öffentliche Beschaffung möglich sei. Durch die Entbürokratisierung könne nun praxisgerechter und einzelfallbezogen gefördert werden. „Entfesselung“ war ihr Stichwort der Stunde. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 1895 mit Schreiben vom 20. Februar 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu den Kernarbeitsnormen wurden durch alle Mitgliedstaaten der EU ratifiziert und vollständig in das deutsche Recht sowie die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten umgesetzt. Weltweit haben nahezu alle Staaten ILO-Übereinkommen ratifiziert; 144 Staaten haben alle acht Kernarbeitsnormen anerkannt. Datum des Originals: 20.02.2019/Ausgegeben: 25.02.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5199 Die allgemeinen Vergaberechtsvorschriften ermöglichen es darüber hinaus, strategische Ziele zu verfolgen. In jeder Phase des Vergabeverfahrens bestehen Möglichkeiten, eine soziale, faire und ökologische Beschaffung umzusetzen. Dies kann eine Vergabestelle einzelfallbezogen und praxisgerecht berücksichtigen. Eine generelle Nachweispflicht der Unternehmen zur Einhaltung der sog. ILO-Kernarbeitsnormen, wie es das Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG NRW) vom 10. Januar 2012 vorsah, wurde bereits im TVgG NRW in der Fassung vom 31. Januar 2017 herausgenommen und in ein „nachweislich dafür Sorge tragen“ abgeändert. Bei Letzterem konnte auf die Forderung der Vorlage von Nachweisen verzichtet werden, wenn es nicht möglich war, ein geeignetes Produkt mit Nachweisen zu beschaffen. 1. Ist durch die Abschaffung der Nachweispflicht zur Einhaltung internationaler Arbeitsrechte und Umweltstandards aus dem Tariftreue- und Vergabegesetz NRW ein Anstieg fairer öffentlicher Vergaben in den Kommunen festzustellen? 2. Haben nach der Änderung des Tariftreue- und Vergabegesetzes mehr Kommunen nachhaltige öffentliche Beschaffung umgesetzt? 3. Welche Veränderungen bzw. Verbesserungen in der Praxis fairer öffentlicher Vergaben (wie zum Beispiel schnellere Verfahren) sind festzustellen? Fragen 1 bis 3 werden gemeinsam beantwortet: Statistische Daten zu Beschaffungsprozessen oder -umständen von fairen öffentlichen Vergaben oder nachhaltigen öffentlichen Beschaffungen liegen nicht vor. Diese werden bundesweit weder im Ober- noch im Unterschwellenbereich erhoben. Das allgemeine Vergaberecht bietet verschiedene rechtssichere Regelungsmöglichkeiten für soziale, faire und ökologische Vergaben. Die öffentliche Stelle kann auf jeder Stufe des Vergabeverfahrens bedarfsgerecht konkrete Anforderungen an die zu beschaffende Leistung stellen. Dies betrifft sowohl den Bereich oberhalb als auch unterhalb der Schwellenwerte. Hierbei können soziale und umweltbezogene Aspekte als strategische Ziele der konkreten öffentlichen Auftragsvergabe berücksichtigt werden. 4. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung um die ILO-Kernarbeitsnormen in ihren Landesbehörden umzusetzen? Die in § 97 GWB und § 2 UVgO normierten „Grundsätze der Vergabe“ sehen vor, dass soziale und umweltbezogene Aspekte bei einer Vergabe als strategische Ziele nach Maßgabe der anzuwendenden Vorschriften Berücksichtigung finden. Mit dem Formular 111/111 EU des Vergabehandbuchs des Landes Nordrhein-Westfalen für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen (VHB NRW) erfolgt bei jedem Beschaffungsantrag eine entsprechende Dokumentation, dass und wie die öffentliche Stelle nachhaltige sowie soziale Aspekte und Umweltkriterien in einem Vergabeverfahren berücksichtigt hat. Darüber hinaus haben die Unternehmen bei der Ausführung eines öffentlichen Auftrags alle arbeits- und sozialrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten (§ 128 Absatz 1 GWB) und können bei Zuwiderhandlungen von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen werden (§ 124 Absatz 1 Nummer 1 GWB). 2 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode 5. Drucksache 17/5199 Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um allgemein gültige Zertifizierungsverfahren voranzutreiben? Zertifizierungsverfahren werden von in der Regel privatwirtschaftlichen Institutionen durchgeführt, welche die Erfüllung vorab festgelegter Bedingungen an Waren oder Dienstleistungen durch neutrale Stellen prüfen. Zertifizierungsverfahren haben sich aus der Fachschaft entwickelt und sind bewährt. Im Bereich des Friedhofwesens unterstützt die Landesregierung die verlässliche und rechtssichere Umsetzung für alle Beteiligten. Für Grabmäler und Grabeinfassungen aus Naturstein, die aus bestimmten Staaten importiert werden (Indien, China, den Philippinen, Vietnam), ist mit gemeinsamem Runderlass vom 4. September 2018 festgelegt, dass ein Verfahren zur Anerkennung von Zertifizierungsstellen mit Etablierung eines Überprüfungsverfahrens bis März 2019 vorbereitet wird. 3