LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5313 05.03.2019 Datum des Originals: 01.03.2019/Ausgegeben: 08.03.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1989 vom 30. Januar 2019 der Abgeordneten Josefine Paul BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/4982 Umsetzung des neuen Personenstandrechts in NRW Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 10. Oktober 2017 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die gegenwärtige Gesetzeslage bezüglich des Geschlechtseintrages verfassungswidrig ist. Der Erste Senat hat mit am 8. November 2017 veröffentlichen Beschluss deutlich gemacht, dass die Regelungen des Personenstandsrechts mit den grundgesetzlichen Anforderungen insoweit nicht vereinbar sind, als § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) neben dem Eintrag „weiblich" oder „männlich" keine dritte Möglichkeit bietet, ein Geschlecht positiv eintragen zu lassen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Darüber hinaus verstößt das geltende Personenstandsrecht auch gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG), soweit die Eintragung eines anderen Geschlechts als „männlich" oder „weiblich" ausgeschlossen wird. In der Folge hat der Deutsche Bundestag am 13. Dezember 2018 den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der im Geburtenregister einzutragenden Angaben“ (BT-Drs 19/4669) beschlossen. Auf Grund dessen werden auch in Nordrhein Westfalen zahlreiche Änderungen und Anpassungen auf formaler und gesetzlicher Ebene notwendig sein. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1989 mit Schreiben vom 1. März 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung sowie dem Minister der Justiz beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5313 2 1. Was aus Sicht der Landesregierung in Folge der bundesgesetzlichen Änderungen landesrechtlich zu tun ist? Es bedarf für das Personenstandswesen keiner besonderen landesrechtlichen Umsetzung mehr, da die Standesämter hinsichtlich der Eintragung von Angaben zum Geschlecht in den Personenstandsregistern unmittelbar das geänderte Bundesrecht, d.h. das Personenstandsgesetz (PStG), anwenden. Gleiches gilt im Meldewesen für die Meldebehörden bei der Anwendung des Bundesmeldegesetzes. Zum Handlungsbedarf im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 2, 3 und 5 verwiesen. 2. Welche Auswirkungen das auf die statistischen Erhebungen des Landes hat (inwieweit wird nun neben m und w auch d und kein Eintrag erfasst)? Für alle Statistiken, die der Landesbetrieb IT.NRW in seiner Funktion als Statistisches Landesamt durchführt und die das Geschlecht als Merkmal ausweisen, findet eine Prüfung mit dem Ziel statt, die Änderung des PStG nachzuvollziehen. Neben der Erfassung des weiblichen und männlichen Geschlechts ist hiernach künftig für die in § 45b PStG geregelten Fälle auch die Möglichkeit vorzusehen, das Geschlecht ohne Angabe oder als divers aufzunehmen. Für einige Statistiken in den Bereichen Bevölkerung, Wahlen, Krankenhaus und berufliche Bildung konnte bereits eine Umsetzung im Hinblick auf die Anpassung an das neue Personenstandsrecht herbeigeführt werden. Für die Mehrzahl der Statistiken bedarf es noch Abstimmungen mit anderen an der Erstellung beteiligten öffentlichen Stellen. Das gilt insbesondere für die Statistiken, an deren Erstellung die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder im Verbund arbeiten und für die daher ein einheitliches Vorgehen erforderlich ist. Die Abstimmungen und daran anknüpfende Anpassungen der Statistiken erfolgen so schnell wie möglich. Im Vorgangsbearbeitungssystem (VBS) der Polizei Nordrhein-Westfalen können in Bezug zu Tatverdächtigen und Opfern hinsichtlich des Geschlechts die Werte männlich (m), weiblich (w), unbestimmt (x) und unbekannt erfasst werden. Hierbei werden ausschließlich die Werte „männlich“ und „weiblich“ zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gemeldet. Sowohl der Wert „unbekannt“ als auch der Wert „unbestimmt“ werden nach Maßgabe der bundeseinheitlich für die Erfassung der PKS abgestimmten Richtlinien statistisch auf das Merkmal „männlich“ übertragen und somit für diese Personengruppe gezählt. Die Einführung der Geschlechtsangabe "x" für "unbestimmt" ist bislang nicht vorgesehen, da dieses Merkmal auch langfristig gesehen in der PKS ohne wesentlichen statistischen Einfluss sein wird. Die Aussagekraft der PKS ist dadurch nicht beeinträchtigt. 3. Wie soll das neue Gesetz in der Landesverwaltung umgesetzt werden (Formulare, Ausschreibungen, etc)? Der Bund hat mit dem Gesetz zur Änderung der im Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18.12.2018 (BGBl. I S. 2635) die personenstandsrechtlichen Vorgaben aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.10.2017 (1 BvR 2019/16) zum „Dritten Geschlecht“ umgesetzt. In dem von der Fragestellerin selbst zitierten Gesetzentwurf der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5313 3 Bundesregierung (BT-Drs. 17/4982), der dem am 22.12.2018 in Kraft getretenen Gesetz zugrunde lag, findet sich auf Seite 8 folgende Passage: „Weitergehende sprachliche Anpassungen sind nicht erforderlich. Der weit überwiegende Teil der Rechtsvorschriften knüpft nicht an das Geschlecht an. In der Gesetzessprache findet dies regelmäßig seinen Niederschlag durch die Verwendung des generischen Maskulinums. Da das generische Maskulinum gerade nicht auf das somatische Geschlecht abstellt, ist eine sprachliche Anpassung von Rechtsvorschriften, die diese Form der Geschlechtsangabe verwenden, in Folge der neu geschaffenen Angabe „divers“ im Personenstandsrecht nicht erforderlich. Auch in Rechtsvorschriften, in denen im Zuge der Herstellung der sogenannten geschlechtergerechten Sprache statt des generischen Maskulinums jeweils beide Geschlechter genannt werden, ist davon auszugehen, dass diese Variante nicht exklusiv wirken soll. Auch hier ist eine sprachliche Anpassung nicht erforderlich, da ohne weiteres ersichtlich ist, dass auch Menschen ohne Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter gemeint sind.“ Diese Ausführungen sind nach Auffassung der Landesregierung jedenfalls auf die nordrheinwestfälische Gesetzessprache, auch was Verwaltungsvorschriften betrifft, übertragbar. Bevor dort Änderungen vorgenommen werden, sollte abgewartet werden, ob und inwieweit das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) als Herausgeber des Handbuchs der Rechtsförmlichkeit seine Empfehlungspraxis bezüglich der sprachlichen Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen anpassen wird. Eine beim BMJV durchgeführte telefonische Nachfrage hat ergeben, dass mit der Neuauflage des Handbuchs der Rechtsförmlichkeit (voraussichtlich Ende 2019) auch eine Orientierungshilfe in Bezug auf gesetzestechnische Fragen betreffend das „Dritte Geschlecht“ gegeben werden soll. Nicht zuletzt wegen der nicht auf einzelne Landesgrenzen beschränkten Wirkungen der Änderung des PStG wird in diesem Zusammenhang auch hinsichtlich der sprachlichen Anpassungen von Formularen oder bezüglich der Verwendung von Anreden in Wort und Schrift derzeit kein Anlass für nordrhein-westfälische Alleingänge gesehen. Auf Ebene der Ressorts werden zurzeit mögliche Anpassungsbedarfe in den Stellenausschreibungen definiert. Auch hier sind nur einheitliche Festlegungen zielführend. In Teilbereichen der Landesverwaltung, z.B. für die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen und für das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein- Westfalen, werden Stellenausschreibungstexte bereits jetzt nicht mehr lediglich binärgeschlechtlich ausgeschrieben. 4. Mit welchen Kosten und Belastungen müssen Land und Kommunen in NRW rechnen? Hinsichtlich des durch die Erfüllung des Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben unmittelbar verursach-ten Aufwands für die Verwaltung und die Justiz schließt sich die Landesregierung der diesbezüglichen Einschätzung der Bundesregierung an, die in der BT-Drs. 19/4669 (Seite 9) dargestellt ist. Danach entstehen im Personenstandswesen für die Anpassung von vorhandenen Softwarelösungen Kosten, die angesichts der unterschiedlichen Gestaltung der in den Standesämtern eingesetzten Fach- und Registerverfahren für die elektronische Personenstandsbeurkundung nicht beziffert werden können. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5313 4 Für die Kommunen werden drei Informationspflichten neu eingeführt. Das Standesamt muss Erklärungen nach § 45 b PStG zur Angabe zum Geschlecht und zum Vornamen beurkunden und entgegennehmen. Zudem muss das Standesamt eine Mitteilung an das Familiengericht senden, wenn die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu der Erklärung eines mindestens 14-jährigen Kindes nicht erteilt wird. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.10.2017 wird davon ausgegangen, dass in Deutschland rund 160.000 Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung leben. Hiervon identifiziert sich maximal ein Drittel nicht mit der im Geburtenregister beurkundeten Angabe zu ihrem Geschlecht und wird daher potentiell eine Änderungserklärung abgeben. Es ist davon auszugehen, dass jährlich schätzungsweise 1.500 Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung in Deutschland geboren werden. Dem Bundesverfassungsgericht folgend kann angenommen werden, dass hiervon jährlich ein Drittel, also 500 Personen, einen Antrag auf Geschlechts- und Vornamenswechsel stellen. Unter Berücksichtigung der dargestellten Fallzahlen würde der einmalige Erfüllungsaufwand der Verwaltung bundesweit schätzungsweise 1,12 Millionen EUR betragen. Davon entfielen auf nordrhein-westfälische Kommunen unter Berücksichtigung des Königsteiner Schlüssels 2018 rund 236.000 EUR. Darüber hinaus entstünde den nordrhein-westfälischen Kommunen ein jährlicher Erfüllungsaufwand in Höhe von circa 2.300 EUR. Hinsichtlich der Mitteilung an die Familiengerichte ist die genaue Höhe des Erfüllungsaufwandes nicht bezifferbar, dürfte aber sehr gering sein. Bei schätzungsweise 500 jährlichen Änderungserklärungen insgesamt in Deutschland dürfte der Anteil der 14- bis 18- jährigen Jugendlichen, die eine Änderung der Angabe zum Geschlecht erreichen wollen, kaum ins Gewicht fallen. Da keine statistischen Werte vorliegen, kann eine Angabe zum Erfüllungsaufwand nicht getroffen werden. Im Meldewesen muss das eingesetzte Fachverfahren einen weiteren Schlüsselwert zur Angabe des Geschlechts in der Auswahlmaske und bei der Speicherung in der Datenbank berücksichtigen. Diese Anpassung ist Teil der ohnehin mindestens zweimal jährlichen Fortentwicklung der Fachverfahren. Die rechtskonforme Umsetzung der rechtlichen Vorgaben in ein Fachverfahren ist allgemein Vertragsbestandteil und kann daher dem Auftraggeber in der Regel nicht gesondert in Rechnung gestellt werden. Auftraggeber sind die Kommunen. Die Vertragsdetails sind daher nicht bekannt. Die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters wird in Einzelfällen zu zusätzlichen Verfahren bei den Familiengerichten, Oberlandesgerichten und eventuell auch beim Bundesgerichtshof führen. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dadurch Mehrkosten für das Land und Kommunen in Nordrhein-Westfalen entstehen, ist nicht zuverlässig abschätzbar. Da es bisher keine Statistik gibt, die ausweisen könnte, wie häufig eine Änderung der Geschlechtsangabe von über 14 Jahre alten Jugendlichen begehrt werden wird und wie oft ihnen die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters dazu in solchen Fällen verwehrt wird, kann der künftig zu erwartende personelle und finanzielle Mehraufwand, der den Gerichten entsteht, nicht beziffert werden. Die Kosten, die dem Landesbetrieb IT.NRW in seiner Funktion als Statistisches Landesamt durch die Einführung der Geschlechtsbezeichnung „divers“ entstehen, können ebenfalls noch nicht einschätzt werden. Auch zu sonstigen infolge der Gesetzesänderung entstehenden Kosten und Belastungen für das Land und die Kommunen kann derzeit keine valide Aussage getroffen werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5313 5 5. Plant die Landesregierung Handreichungen zur Umsetzung für die Landes- und Kommunalverwaltung? Handreichungen an die Meldebehörden und Standesämter für die unmittelbare Umsetzung der im Personenstandsgesetz erfolgten Änderungen sind nicht erforderlich. Für andere Bereiche der Landes- und Kommunalverwaltung gibt es hierzu aktuell keine Planungen.