LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5322 07.03.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2013 vom 4. Februar 2019 des Abgeordneten Frank Müller SPD Drucksache 17/5016 Abschiebungen von Transgendern und LSBTI* trotz drohender Verfolgung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Immer wieder wird über die Abschiebung in Herkunftsländer berichtet, die zwar als sicher gelten, in denen aber eine Verfolgung aufgrund eines LSBTI*-Hintergrundes nicht ausgeschlossen werden kann. Zuletzt am 29. Januar wurde durch die Ausländerbehörde des Rhein-ErftKreises die Abschiebung einer schwer kranken Transfrau nach Mazedonien vollzogen. Die betroffene Transfrau ist laut mehrerer ärztlicher Stellungnahmen nicht nur psychisch krank, sondern leidet auch an Diabetes. Aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit und der Zugehörigkeit zur Gruppe der Roma wurde sie bereits Opfer von Gewalt und Anfeindungen. Medienberichten zufolge hat die Ausländerbehörde die Abschiebung vollzogen, obwohl ein Antrag bei der Härtefallkommission anhängig war. Da Mazedonien zu den sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ zählt, werden Asylverfahren in beschleunigten Verfahren abgewickelt. Dieser Fall ist daher möglicherweise auch beispielhaft für andere ähnliche Ereignisse, gerade mit Blick auf die Diskussion um sichere Herkunftsstaaten. Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 2013 mit Schreiben vom 7. März 2019 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Unser gesellschaftliches Zusammenleben in Nordrhein-Westfalen gründet auf einer Vielfalt von Lebensentwürfen. Die Landesregierung steht aktiv für die gesellschaftliche und rechtliche Gleichberechtigung von LSBTI*-Personen ein – für ein Leben ohne jegliche Diffamierung oder Diskriminierung. Die Landesregierung setzt sich für Respekt und Toleranz gegenüber allen Lebensentwürfen ein – unabhängig der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Daneben bekämpft sie entschlossen alle Formen der Diskriminierung. Datum des Originals: 07.03.2019/Ausgegeben: 12.03.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5322 In Nordrhein-Westfalen ist die Antidiskriminierungs- und Vielfaltspolitik Querschnittaufgabe. Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen widmet sich der Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus sowie der Förderung von Vielfalt. Sie sind als wichtige Ziele in dem 2012 verabschiedeten Teilhabe- und Integrationsgesetz verankert. 2013 erfolgte der Beitritt des Landes Nordrhein-Westfalen zur „Charta der Vielfalt“. Um die Chancengleichheit von LSBTI*-Personen in Nordrhein-Westfalen zu verbessern und Diskriminierung zu bekämpfen, unterstützt die Landesregierung zahlreiche Organisationen und Projekte. Gefördert werden unter anderem lesbische, schwule und trans*-Selbstorganisationen, Regenbogenfamilien und die psychosoziale Beratung für die LSBTI*-Gemeinschaft. Daneben sind die Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekte „SCHLAU NRW“, die Anti-Gewalt-Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Kampagne „anders und gleich“ wichtige Projekte der Landesregierung. Mit dem Kinder- und Jugendförderplan für die Jahre 2018 bis 2022 hat die Landesregierung außerdem deutlich gemacht, wie wichtig es ist, junge Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen, sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten gleichberechtigt in die Angebote der Jugendarbeit einzubeziehen. So wurde die Förderposition „Angebote für junge LSBTI*-Menschen“ ins Leben gerufen und bestehende Projekte in eine dauerhafte Förderung überführt. Die Förderung einer speziell zum Thema LSBTI* arbeitenden Integrationsagentur in Köln, ein Schwerpunkt auf Maßnahmen gegen Homo- und Transphobie bei der Förderung von Migrantenselbstorganisationen und die Berücksichtigung bei Initiativen zur interkulturellen Öffnung der Landesverwaltung unterstreichen diese Zielrichtung. 1. Wie viele Menschen wurden in den letzten fünf Jahren aus NRW abgeschoben, die eine staatliche oder nicht-staatliche Verfolgung aufgrund eines LSBTI*-Hintergrundes als Asylgrund angegeben haben? (Bitte aufgeschlüsselt nach Jahr, Kommune sowie sexueller und geschlechtlicher Identität) Für die Durchführung der Asylverfahren und die Prüfung der Asylgründe ist ausschließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Eine Statistik über die im Asylverfahren geltend gemachten und im Ergebnis abgelehnten Asylgründe wird durch das BAMF nicht erhoben. 2. Wie gestaltet sich der Ablauf von Asylverfahren bei Menschen mit LSBTI*-Hintergrund? (Bitte auch für Fälle von Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten) 3. Wie bewertet die Landesregierung entsprechende Fälle von Asylsuchenden, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität Verfolgung in ihren Heimatländern erfahren bzw. fürchten müssen? 5. Welche Ziele verfolgt die Landesregierung bzgl. der Problemlage der sexuellen und geschlechtlichen Identität von Asylsuchenden? Die Fragen 2, 3 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet: Für die Durchführung von Asylverfahren ist ausschließlich das BAMF zuständig. Aus diesem Grunde kann die Landesregierung keine Aussage über den Ablauf von Verfahren vor dem BAMF treffen. 2 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5322 Für die Landesregierung hat der Schutz vulnerabler Personen oberste Priorität. Vor diesem Hintergrund befürwortet sie auch die Einführung eines Zugangs zu einer speziellen Rechtsberatung für vulnerable Personen aus sicheren Herkunftsstaaten. Eine entsprechende Regelung ist in das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Einstufung Georgiens, der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten aufgenommen worden. Durch diese spezielle Rechtsberatung würden die Rechte derjenigen, die als Randgruppe verfolgt werden, zukünftig gestärkt. Schwule, lesbische, bisexuelle, transidente und intersexuelle (lsbti*) Menschen, die aus ihren Heimatländern geflohen sind, weil sie dort wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt, Opfer von Gewalt oder rechtlich und/oder gesellschaftlich diskriminiert wurden, gelten für die nordrhein-westfälische Landesregierung als eine besonders vulnerable Personengruppe. Es ist zentrales Anliegen der Landesregierung, diese Menschen besonders zu schützen, damit ihnen keine weitere Gewalt widerfährt. Da das Leben in den Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zu Konflikten führen kann, müssen diese Personen auch hier vor Gewalt und Übergriffen geschützt werden. Daher wird bei allen Standortplanungen in Nordrhein-Westfalen ausdrücklich auf die Belange schutzbedürftiger Personen geachtet und der präventive Schutz in den Landeseinrichtungen kontinuierlich durch Qualitätsstandards, der Sicherheit dienende bauliche Maßnahmen, ortsangepasste Sicherheitskonzepte sowie durch die Sensibilisierung und Schulung aller Beteiligten vor Ort erhöht. So werden besonders schutzbedürftige Personen bereits im Rahmen des Belegungsmanagements unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten besonders geschützt. LSBTI*-Personen werden – ebenso wie alleinreisende Frauen mit minderjährigen Kindern – grundsätzlich in eigenen Bereichen oder Gebäudeteilen untergebracht, wenn sie dieses wünschen. Darüber hinaus wurden in jedem Regierungsbezirk mindestens ein bis zwei Einrichtungen für vulnerable Personen geschaffen. Überdies hat die Landesregierung in Zusammenarbeit mit NGO‘s aus dem Bereich der Flüchtlingshilfe, der Frauen- und Mädchenhilfeinfrastruktur, der Landeskoordination der Anti-GewaltArbeit für Lesben, Schwule und Trans* in Nordrhein-Westfalen sowie der Kinder- und Jugendhilfe ein umfangreiches Landesgewaltschutzkonzept (LGSK) für die Landeseinrichtungen für Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen entwickelt, das in den Landeseinrichtungen Anwendung findet und den Kommunen als mögliches Modell für eigene Schutzkonzepte empfohlen wurde. Mit dem LGSK setzt die Landesregierung ein klares Zeichen gegen Gewalt in den Landeseinrichtungen für Flüchtlinge. Durch das Konzept sollen die Bewohnerinnen und Bewohner sowie das Personal in den Einrichtungen noch besser vor Übergriffen geschützt werden. Zudem gibt das LGSK Leitlinien zur Unterbringung vulnerabler Personen vor. Das LGSK ist deshalb verbindlich von allen Landeseinrichtungen umzusetzen. Inzwischen ist es fester Vertragsbestanteil im Rahmen der Vergabeverfahren für die Betreuungs- und Sicherheitsdienstleistungen in den Landeseinrichtungen geworden. 3 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5322 Darüber hinaus soll das LGSK die Beschäftigten in den Landeseinrichtungen sensibilisieren, Hinweise auf mögliche Gewalt – insbesondere auch sexualisierte bzw. geschlechtsspezifische Gewalt sowie homophob oder transphob motivierte Gewalt – und Diskriminierung frühzeitig zu erkennen und ein Verständnis für Reaktionsmuster der Geflüchteten aufgrund von Erlebtem zu erlangen, um rechtzeitig Präventions- oder Deeskalationsmaßnahmen ergreifen zu können. Außerdem soll das LGSK das Problembewusstsein der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen im Hinblick auf das Entstehen von Gewalt und die damit verbundenen Auswirkungen schärfen, ihnen als Unterstützung und Orientierung bei ihrer täglichen Arbeit dienen und ihnen insbesondere im Ernstfall Handlungssicherheit geben. 4. Welche Handhabung hält die Landesregierung auch vor dem Hintergrund von Anträgen bei der Härtefallkommission nach geltender Rechtslage künftig für angemessen? Eine Bewertung von zielstaatsbezogenen Gründen erfolgt durch das BAMF im Asylverfahren. Die Landesbehörden und kommunalen Ausländerbehörden sind an die im Asylverfahren getroffenen Entscheidungen des BAMF ohne eigene Wertungsmöglichkeiten gebunden. Anträge an die Härtefallkommission des Landes Nordrhein-Westfalen entfalten rechtlich keine aufschiebende Wirkung. Bei dem in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage geschilderten Fall war vor der Abschiebung das Härtefallverfahren bereits mit einer positiven Entscheidung der Härtefallkommission („Ersuchen“) beendet. Eine kommunale Ausländerbehörde ist rechtlich nicht verpflichtet, einem Ersuchen zu folgen. Weisungsmöglichkeiten für die Landesregierung bestehen in diesen Fällen nicht. 4