LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5440 18.03.2019 Datum des Originals: 18.03.2019/Ausgegeben: 21.03.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2091 vom 21. Februar 2019 des Abgeordneten André Stinka SPD Drucksache 17/5227 Zukunft der „Stroke Unit“ des St.-Marien-Hospitals in Borken Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Rat der Stadt Borken hat in öffentlicher Sitzung am 12. Dezember 2018 beschlossen, eine Resolution zum Erhalt der Stroke Unit in Borken an den Bundesgesundheitsminister Herrn Jens Spahn sowie den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW Herrn Karl-Josef Laumann zu überreichen. Aufgrund eines Urteils des Bundessozialgerichts ist die Versorgung akuter Schlaganfallpatienten in Deutschland gefährdet (Entscheidung des 1. Senat des Bundessozialgerichts vom 19. Juni 2018 (BSG Az.: B 1 KR 39/17 R)1. Laut Operationen- und Prozedurenschlüssel OPS 8-982 ist es für die Vergütung von Schlaganfallbehandlungen in den lokalen Schlaganfalleinheiten erforderlich, dass für Spezialleistungen – die nicht von der lokalen Einheit erbracht werden – Vereinbarungen mit Schlaganfallzentren getroffen werden, die in maximal einer halben Stunde erreichbar sind. Die halbe Stunde bezieht sich laut OPS auf die „Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende“. Für den Kreis Borken bedeutet dies eine Verbringung des Patienten in die Neurochirurgie nach Recklinghausen. Das Urteil des BSG interpretiert diese Regelung nun komplett um, indem es die halbe Stunde auf die Zeit zwischen der Entscheidung, ein Transportmittel anzufordern und der Übergabe des Patienten beim Kooperationspartner bezieht. Damit löst sich das BSG von seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung zu den Abrechnungsregeln. Im Kreis Borken wurde die zulässige Zeitspanne von 30 Minuten in 40 Prozent aller Fälle überschritten. Aufgrund dessen sah sich die Stroke Unit mit einer großen Welle an Abrechnungsrückforderungen der Krankenkassen konfrontiert und musste zwischenzeitlich um ihre finanzielle Existenz bangen. 1http://juris.bundessozialgericht.de/cgibin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=1577 5 2 https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/ops/kode-suche/opshtml2018/block-8-97...8-98.htm LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5440 2 Der Rat der Stadt Borken hat deshalb die politisch Verantwortlichen aufgefordert, den Bestand der Einrichtung in Borken zu sichern und damit im ländlichen Raum eine bewährte Notfallversorgung durch die Stroke Unit zu gewährleisten. Diese von der SPD verfasste Petition wurde von fast 38.000 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt. In einem Interview mit der Borkener Zeitung vom 8. Februar3 erklärte nun Minister Laumann: „Ich habe immer gesagt, dass es in einem Kreis mit 370.000 Einwohnern eine Spezialstation für Schlaganfallpatienten geben muss und wird. Das hat auch zu keiner Zeit in Frage gestanden und das wird auch in Zukunft so sein.“ In diesem Interview verwies er darüber hinaus auf die Lösung der Problematik durch eine nun einzuführende Vorrangschaltung an Ampeln für Rettungswagen und stellte bei Notwendigkeit die Aufnahme einer Neurochirurgie im Kreis Borken in den Krankenhaus-Lageplan in Aussicht. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 2091 mit Schreiben vom 18. März 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Verkehr beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die der Kleinen Anfrage zugrunde liegende Resolution der Stadt Borken zum Erhalt der Stroke Unit in Borken an den Bundesgesundheitsminister und den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nord-rhein-Westfalen ergab sich aus zwei Entscheidungen des Bundessozialgerichtes (BSG) aus dem Jahr 2018. Die Urteile betrafen Fest-legungen zu Mindestmerkmalen des Operationen- und Prozeduren-schlüssels (OPS) unter anderem bei der Behandlung von Schlaganfällen. Durch diese Entscheidungen wurden rückwirkend Abrechnungsvorgaben anders ausgelegt, als sie bis dahin praktiziert worden waren. Hierdurch sahen sich die Krankenhäuser zum Teil erheblichen Rück-forderungen für Abrechnungen von Komplexbehandlungen in der Geriatrie und der Schlaganfallbehandlung (in sog. „Stroke Units“) gegenüber, die nach Einschätzung der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen gerade im Bereich der Schlaganfallversorgung wichtige Versorgungsstrukturen in Nordrhein-Westfalen gefährdet hätten. Diese Probleme dürfen durch die Gesetzesänderung gelöst sein, weil das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) zwischenzeitlich die Abrechnungsvorgaben für die Schlaganfall- und die geriatrische Komplexbehandlung so klargestellt hat, dass die in Nordrhein-Westfalen durch die Krankenhausplanung festgelegte landesweite Versorgungsstruktur grundsätzlich mit Stroke Units und der Geriatrie weiterhin wirtschaftlich betrieben werden kann. 1. Ist der zukünftige Bestand der Stroke Unit im St.-Marien-Hospital in Borken langfristig gesichert und ist die Aussage von Herrn Minister Laumann daher als Bestandsgarantie zu verstehen? 3 https://www.borkenerzeitung.de/lokales/borken/Interview-mit-NRW-Gesundheitsminister-Karl-Josef- Laumann-180707.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5440 3 2. Welche Maßnahmen wurden zur Sicherung der Stroke Unit getroffen oder sind noch geplant? Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Die Stroke Unit in Borken ist aus Sicht des Gesundheitsministeriums Nordrhein-Westfalen (MAGS) wichtig für die Versorgung der Bevölke-rung im Kreis Borken. Die Entscheidung über die Aufrechterhaltung oder Einrichtung einer Stroke Unit treffen jedoch die Krankenhäuser nach eigenen Erwägungen, in denen naturgemäß wirtschaftliche Faktoren eine wesentliche Rolle spielen. Aufgrund der in Rede stehenden Abrechnungsrückforderungen mit den Krankenkassen hat das Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen daher bereits Maßnahmen ergriffen, um den Erhalt der Stroke Unit zu unterstützen. Das MAGS hat am 29. Januar 2019 eine Telefonschaltkonferenz mit den Krankenkassenverbänden und Krankenkassen geführt. Hinsichtlich der Klageverfahren/Rückforderungen besteht Konsens, dass in den nächsten Wochen im Verhandlungsweg eine abschließende Klärung zwischen den Kassen und den betroffenen Krankenhäusern herbei-geführt werden muss, die zur Streitbeilegung und zum Rechtsfrieden führen. Die planungsrechtliche Erforderlichkeit der Stroke Unit im Kreis Borken wurde beim Gespräch nicht in Frage gestellt. Bestandsgarantien für einzelne Fachabteilungen oder besondere Angebote mit Bettenzuweisung wie der Stroke Unit können jedoch nicht ausgesprochen werden. Die Aufnahme von Fachabteilungen und bettenführenden Angeboten in den Krankenhausplan nach § 12 Krankenhausgestaltungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (KHGG NRW) erfolgt nach Bedarf. Darüber hinaus fanden am 22. Januar 2019 Gespräche mit dem Landrat des Kreises Borken statt, die zu einer Implementierung einer Vorrang-schaltung an Ampeln für Rettungsfahrzeuge führen sollen. 3. Ist die Aussage des Ministers zutreffend, dass die Sicherstellung der Stroke Unit in Borken gegebenenfalls durch die Ausweisung einer Neurochirurgie im Landes- Krankenhausplan im Kreis Borken erfolgen wird? Wie in der Antwort zu den Fragen 1 und 2 ausgeführt, besteht im Kreis Borken planerisch die Notwendigkeit einer Stroke Unit. Nach abschließender Klärung der abrechnungstechnischen Problematik besteht aus krankenhausplanerischer Sicht kein Zweifel am Fortbestand der Stroke Unit am St. Marien-Hospital in Borken. Es besteht daher derzeit keine Erforderlichkeit, die Stroke Unit durch Ausweisung einer Neurochirurgie im Kreis Borken zu sichern. Darüber hinaus ist beabsichtigt, die Neurologie und die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation jeweils für den gesamten Regierungsbezirk und für ganz Nordrhein- Westfalen einheitlich zu beplanen. Hierbei soll allen Einrichtungen die Gelegenheit gegeben werden, ihre Bedarfe anzugeben. Die Bezirksregierung Münster wurde im Dezember 2018 aufgefordert, für der Neurologie und die neurologisch-neuro-chirurgische Frührehabilitation ein regionales Planungskonzept für den Regierungsbezirk Münster zu initiieren. Es steht den Krankenhäusern frei, die Einrichtung einer Neurochirurgie zu beantragen. Im Rahmen des durchzuführenden regionalen Planungs-verfahrens nach § 14 KHGG NRW wird LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5440 4 über die Notwendigkeit der Ausweisung von neuro-chirurgischen Betten entschieden werden, um eine ortsnahe, bedarfsgerechte leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. 4. Ist der Einsatz von Hubschraubern zwischen Borken und Recklinghausen eine Option zur Sicherstellung des Patientenwohls unter Einhaltung der 30-Minuten- Zeitspanne? 5. Ist die Landesregierung der Ansicht, dass eine vorrangige Ampelschaltung langfristig für eine Einhaltung der 30-Minuten-Zeitspanne Sorge tragen kann oder handelt es sich hierbei lediglich um eine kurzfristige Lösung? Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Eine Vorrangschaltung für Rettungsfahrzeuge an den Ampelanlagen zwischen der Stroke Unit in Borken und der Neurochirurgie in Recklinghausen könnte grundsätzlich zweckdienlich sein, um die Fahrzeit von Krankentransporten zu verkürzen. Gleichwohl bedarf es hierfür zunächst einer umfangreichen Untersuchung der infrastrukturellen Gegebenheiten sowie der systemund steuerungstechnischen Möglichkeiten durch die örtlich zuständigen Straßenverkehrsbehörden der Kreise Borken und Recklinghausen sowie der Stadt Recklinghausen in enger Abstimmung mit den Rettungsdiensten, den Straßenbaulastträgern der Städte und Kreise sowie dem Landesbetrieb Straßenbau NRW als Betreiber der Landesund Bundesstraßen. Auf Grundlage der Analysen und Detailplanungen, die im Übrigen auch die technische Ausstattung der Rettungsfahrzeuge mit Kommunikations-einrichtungen zur Aktivierung der Vorrangschaltungen betreffen, ist es Aufgabe der Straßenverkehrsbehörden, die erforderlichen Anordnungen zur Änderung der Lichtsignalanlagen zu treffen, die hiernach von den Straßenbaulastträgern umzusetzen wären. Ob und inwieweit allein durch eine Vorrangschaltung der Ampelanlagen die 30-Minuten- Zeitspanne für die Krankentransort auf der rund 40 km langen Fahrstrecke zwischen der Stroke Unit in Borken und der Neurochirurgie in Recklinghausen gewährleistet werden kann, lässt sich erst nach Abschluss der Analyse und Detailplanung beantworten. Vom Ergebnis der Analyse wird abhängig sein, ob ein Transport auf dem Luftwege als Option zur Sicherstellung des Patientenwohls unter Einhaltung der 30-Minuten-Zeitspanne zur Anwendung kommt.