LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5442 18.03.2019 Datum des Originals: 18.03.2019/Ausgegeben: 21.03.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2043 vom 13. Februar 2019 des Abgeordneten Frank Müller SPD Drucksache 17/5110 Verfügung der Bezirksregierung Düsseldorf: Drohendes Chaos an Essener Schulen durch Inklusionserlass? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Auswirkungen des Inklusionserlasses der Landesregierung werden seit Monaten kontrovers diskutiert. Vielfach wurde die Befürchtung geäußert, dass die Inklusion durch den Erlass bei den Gymnasien faktisch ausgeklammert würde. In der Beantwortung auf meine Kleine Anfrage, ob Schulplätze in Essen durch den Erlass fehlen, hatte die Landesregierung noch in der Beantwortung vom 18.12.2018 verneint, dass die Gymnasien in erheblichem Maße ausgeklammert würden (vgl. Drs. 17/4622). Nach aktueller Berichterstattung (vgl. NRZ vom 09.02.2019) droht aber nun in Essen genau dies. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat verfügt, dass alle Essener Haupt-, Real- und Gesamtschulen zu Orten des Gemeinsamen Lernens werden, um die betroffenen Schülerinnen und Schüler entsprechend versorgen zu können. Um die bereits am Gemeinsamen Lernen teilnehmenden und auch die im Sommer neu aufzunehmenden Schüler*innen entsprechend mit Schulplätzen zu versorgen, werde laut Stadtverwaltung Essen jede Eingangsklasse an den 28 Real-, Haupt- und Gesamtschulen gebraucht. Lediglich ein Essener Gymnasium hat für das neue Schuljahr Hilfe angeboten. Darüber hinaus fehlen weiterhin Sonderpädagog*innen. Da viele an ihre Förderschulen zurückbeordert wurden, kommen derzeit häufig 40 Schülerinnen und Schüler auf einen Sonderpädagog*in. Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 2043 mit Schreiben vom 18. März 2019 namens der Landesregierung beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5442 2 1. Wie bewertet die Landesregierung die nun eingetretene Situation an den Essener Schulen? 3. Wie bewertet die Landesregierung die Verfügung der Bezirksregierung Düsseldorf als Schulaufsicht, dass nun alle Essener Haupt-, Real- und Gesamtschulen zu Orten Gemeinsamen Lernens werden müssen? 4. Welchen Schluss zieht die Landesregierung aus der Verfügung der Bezirksregierung? Die Fragen 1, 3 und 4 werden im Zusammenhang beantwortet. § 20 Absatz 5 Schulgesetz regelt die Einrichtung des Gemeinsamen Lernens an einer Schule: „Die Schulaufsichtsbehörde richtet Gemeinsames Lernen mit Zustimmung des Schulträgers an einer allgemeinen Schule ein, es sei denn, die Schule ist dafür personell und sächlich nicht ausgestattet und kann auch nicht mit vertretbarem Aufwand dafür ausgestattet werden.“ Ergänzend dazu ist mit dem Runderlass „Neuausrichtung der Inklusion in den öffentlichen allgemeinbildenden weiterführenden Schulen“ vom 15. Oktober 2018 geregelt: „Hauptschulen, Realschulen, Gesamtschulen, Gemeinschaftsschulen, Sekundarschulen und Primusschulen, die Schulen des Gemeinsamen Lernens in der Sekundarstufe I sind, nehmen im Regelfall jährlich im Durchschnitt ihrer Eingangsklassen drei Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung auf. Dabei wird nicht nach Förderschwerpunkten unterschieden, sofern es dafür keine sachlichen Gründe gibt. [ … ] Sonderpädagogische Förderung an Gymnasien erfolgt in der Regel zielgleich. [ … ] Ein Gymnasium, an dem auch zieldifferent unterrichtet wird, nimmt in der Regel nicht weniger als sechs Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in die Klasse 5 auf.“ Damit ist es die Aufgabe von Bezirksregierung und Schulamt zu ermitteln, wie viele Schulen am Inklusionsprozess beteiligt werden müssen, um für die Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung ein bedarfsgerechtes und erlasskonformes Angebot bereitzustellen. Ebenso trifft die zuständige Schulaufsichtsbehörde die Entscheidung, wie sich dieses Angebot auf die unterschiedlichen Schulformen aufteilt. Die obigen Ausführungen zum zielgleichen wie zum zieldifferenten Unterricht verdeutlichen, dass die Behauptung, dass Gymnasien weitgehend ausgeklammert seien, nicht zutrifft. Im selben Erlass ist geregelt, dass in den Regierungsbezirken vor dem eigentlichen Anmeldeverfahren zum folgenden Schuljahr Koordinierungskonferenzen für die Schulamtsbezirke durchgeführt werden mit dem Ziel, „eine ausreichende Zahl an Plätzen für Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung an Schulen des Gemeinsamen Lernens zur Verfügung zu stellen.“ (Nummer 1.4) Offenbar ist in Essen die Zahl der benötigten Plätze für das Schuljahr 2019/20 so hoch, dass an allen weiterführenden Schulen Gemeinsames Lernen eingerichtet wird, Gymnasien aber nicht gegen ihren Willen in zieldifferentes Lernen einbezogen werden. Das tatsächliche Ergebnis des Anmelde- und Aufnahmeverfahrens bleibt abzuwarten. Da derzeit keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Bezirksregierung in diesem Fall nicht erlasskonform gehandelt hat, ergibt sich für das Ministerium für Schule und Bildung kein Handlungsbedarf. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5442 3 2. Sind der Landesregierung vergleichbare Situationen in anderen Städten bekannt? (Bitte Schilderung der Situation in vergleichbaren Städten) Die Einrichtung Gemeinsamen Lernens ist Aufgabe der Schulaufsicht. Derzeit läuft das Anmeldeverfahren für die weiterführenden Schulen in den Kommunen. Das Ministerium wird sich über das Ergebnis zu gegebener Zeit berichten lassen. 5. Wie wird die Landesregierung die Stadt Essen bei der Bewältigung der Situation – besonders mit Blick auf die fehlenden Sonderpädagog*innen und die zusätzliche finanzielle Belastung – unterstützen? Die Einrichtung des Gemeinsamen Lernens ist Aufgabe der Schulaufsicht. Derzeit läuft das Anmeldeverfahren für die weiterführenden Schulen. Das Ministerium wird sich über das Ergebnis zu gegebener Zeit berichten lassen. Bedingt durch den in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegenen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung sowie durch die damit einhergehende Ausweitung der Stellen für Lehrkräfte für Sonderpädagogik ist ein erheblicher Mangel an Lehrkräften für Sonderpädagogik eingetreten. Verschärft wird diese Problematik dadurch, dass von der Vorgängerregierung zu wenig Sonderpädagogen ausgebildet wurden. Die Landesregierung hat darauf u.a. mit einer Ausweitung der Studienkapazitäten an den Hochschulen reagiert. Zur Unterstützung des Gemeinsamen Lernens ist die fachliche Kompetenz der Lehrkräfte für Sonderpädagogik wichtig, weshalb dies auch ein „Qualitätskriterium“ des Runderlasses „Neuausrichtung der Inklusion in den öffentlichen allgemeinbildenden weiterführenden Schulen“ vom 15. Oktober 2018 ist (Nummer 2.2.2). Die mit der zum neuen Schuljahr greifenden Neuausrichtung der Inklusion verbundene, über den Stellengrundbedarf einer Schule, an der Gemeinsames Lernen eingerichtet ist, hinausgehende personelle Unterstützung erfolgt jedoch auch durch Personen anderer Berufsgruppen („multiprofessionelle Teams“) sowie Inhaberinnen und Inhaber anderer Lehrämter. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass die mit der Neuausrichtung verbundenen zusätzlichen Stellen auch wirklich besetzt werden können. Insgesamt werden hierfür bis zum Endausbau aufwachsend mindestens 6000 zusätzliche Stellen für die Sekundarstufe I bereitgestellt werden. Über den so genannten „Korb 1“ (§ 1) des Gesetzes zur Förderung kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion gewährt das Land den Gemeinden und Kreisen als Schulträger einen finanziellen Ausgleich für wesentliche Belastungen infolge des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes, zum Beispiel, um bauliche Maßnahmen im Zuge der Inklusion zu unterstützen. Zur Mitfinanzierung der Unterstützung der Schulen des Gemeinsamen Lernens durch nichtlehrendes Personal der Kommunen wird darüber hinaus im „Korb 2“ (§ 2) eine jährliche Inklusionspauschale gewährt. Auch im Schuljahr 2019/2020 stehen den Kommunen Mittel aus diesem Gesetz zur Verfügung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5442 4 Die ursprüngliche Höhe der Zuwendungen wurde seit Inkrafttreten des Gesetzes mehrfach verändert. Die Entwicklung ist aus der folgenden Tabelle ersichtlich: Schuljahr Ausgleich für wesentliche Belastungen der Schulträger („Korb 1“) Inklusionspauschale („Korb 2“) Gesamtvolumen 2014/2015 25 Mio. Euro 10 Mio. Euro 35 Mio. Euro 2015/2016 25 Mio. Euro 10 Mio. Euro 35 Mio. Euro 2016/2017 20 Mio. Euro 20 Mio. Euro 40 Mio. Euro 2017/2018 20 Mio. Euro 40 Mio. Euro 60 Mio. Euro 2018/2019 20 Mio. Euro 40 Mio. Euro 60 Mio. Euro 2019/2020 20 Mio. Euro 40 Mio. Euro 60 Mio. Euro Summe 130 Mio. Euro 160 Mio. Euro 290 Mio. Euro Die Stadt Essen erhielt am 1. Februar 2018 für das Schuljahr 2017/2018 insgesamt 1.758.589,38 Euro ausgezahlt, davon 584.145,51 Euro für den so genannten „Korb 1“, mit dem u. a. bauliche Maßnahmen der Schulträger unterstützt werden. Darüber hinaus stehen der Stadt Essen Mittel in Höhe von insgesamt rund 81 Mio. Euro aus dem Programm „Gute Schule 2020“ sowie Mittel für die Schulinfrastruktur in Höhe von ca. 56,7 Mio. Euro nach dem 2. Kapitel des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes zur Verfügung.