LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5459 19.03.2019 Datum des Originals: 18.03.2019/Ausgegeben: 22.03.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2069 vom 18. Februar 2019 des Abgeordneten Alexander Langguth FRAKTIONSLOS Drucksache 17/5174 Stichtag zur Schulpflicht: Ballast für die ganze (Schul-)Laufbahn? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Schulpflicht beginnt für Kinder in NRW, die bis zum 30. September das sechste Lebensjahr vollendet haben, am 1. August desselben Jahres, vgl. § 35 Abs. 1 SchulG NRW. Ausnahmsweise können schulpflichtige Kinder gemäß § 35 Abs. 3 S. 1 SchulG NRW aus erheblichen gesundheitlichen Gründen für ein Jahr zurückgestellt werden. Eine Entscheidung über die Zurückstellung auf der Basis der gesetzlichen Regelung und eines schulärztlichen Gutachtens obliegt der Schulleitung, vgl. § 35 Abs. 3 S. 2 SchulG NRW. Da der Gesetzgeber lediglich auf gesundheitliche Gründe abstellt, kommt es nach einer Entscheidung des OVG Münster1 nicht auf die ausreichende Entwicklung des Kindes in seinem sozialen Verhalten an. Das Gericht erkennt sogar gesundheitliche Gründe, welche auf einer Behinderung oder einer Lern- oder Entwicklungsstörung beruhen, nicht als erheblichen Grund i.S.d. § 35 Abs. 3 S. 1 SchulG NRW an. Das OVG begründet dies mit § 19 Abs. 1 SchulG NRW, welcher für Schülerinnen und Schüler, die auf Grund einer Behinderung oder wegen einer Lern- oder Entwicklungsstörung besondere Unterstützung benötigen, eine sonderpädagogische Förderung nach deren individuellem Bedarf vorsieht. Die Förderung findet nach Maßgabe des § 20 SchulG NRW in den allgemeinen Schulen oder in den Förderschulen statt. Deshalb können gesundheitliche Gründe, die auf einer Behinderung oder einer Lern- oder Entwicklungsstörung beruhen, nur dann "erheblich" sein und zu einer Zurückstellung führen, wenn selbst mit der intensiven sonderpädagogischen Förderung an einer Förderschule ein Schulbesuch nicht möglich ist. 1 OVG Münster, 28.08.2017, Az.: 19 B 958/17. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5459 2 Nun wenden sich Eltern gegen die starren landesrechtlichen Regelungen und fordern mehr Wahlfreiheit bezüglich des Einschulungszeitpunktes.2 Sie berufen sich auf Studien, nach denen Kinder, die erst mit sieben Jahren eingeschult wurden, insgesamt bessere Leistungen in der Schule erbracht hätten und häufiger eine Empfehlung für das Gymnasium bekommen hätten. Anfang Februar wurde eine Onlinepetition3 ins Leben gerufen, welche die Vorziehung des Einschulungsstichtages auf den 30. Juni befürwortet. Die Petition hat binnen weniger Tage schon mehr als 19.000 Unterstützer gefunden. Trotz dieser Entwicklungen verdeutlichte Schulministerin Yvonne Gebauer jüngst ihren Standpunkt, dass es keine Änderung des Schulgesetzes geben werde.4 Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 2069 mit Schreiben vom 18. März 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration wie folgt: 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit fünfjähriger Schüler? 2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung hinsichtlich der Auswirkungen von frühzeitigen Einschulungen auf die spätere Schullaufbahn, etwa die Empfehlung für das Gymnasium? 3. Liegen der Landesregierung zu den Fallzahlen aus Frage 2.) ausgewertete Statistiken vor? Wenn ja, dies bitte der Antwort als Anlage anfügen! Die Fragen 1 bis 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Zur Leistungsfähigkeit fünfjähriger Schülerinnen und Schüler und den Auswirkungen frühzeitiger Einschulungen auf die spätere Schullaufbahn liegen der Landesregierung keine landesweiten Statistiken vor. Ursächlich hierfür ist zum einen, dass neu eingeschulte Schülerinnen und Schüler keinen landesweiten Leistungstests unterzogen werden. Zum anderen werden die statistischen Angaben der Schülerinnen und Schüler mit den Amtlichen Schuldaten in summenbasierter Form erhoben. Diese Daten können nicht jahrgangsübergreifend verknüpft werden und sind daher zur Beantwortung bildungsbiographischer Fragestellungen nicht geeignet. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Spektrum der Lernausgangslagen der Schülerinnen und Schüler auch der genannten Altersklasse sehr breit gefächert ist. 2 vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/einschulungsalter-petition-100.html abgerufen am 12.02.2019. 3 https://www.openpetition.de/petition/online/rueckverlagerung-des-einschulungs-stichtagsin -nrw-vom-30-september-auf-den-30-juni . 4 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/einschulungsalter-petition-100.html , aufgerufen am 12.02.2019. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5459 3 4. Sieht die Landesregierung durch die Entscheidung des OVG Münster vom 28.08.2017 (Az. 19 B 958/17) hinsichtlich des nunmehr begrenzten Anwendungsbereiches der Ausnahmeregelung des § 35 Abs. 3 S.1 SchulG NRW Handlungsbedarf? Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit dem genannten Beschluss die bestehende Entscheidungspraxis bestätigt und klargestellt, dass gesundheitliche Gründe, die auf einer Behinderung oder einer Lern- oder Entwicklungsstörung beruhen, nur dann zu einer Zurückstellung führen können, wenn selbst mit sonderpädagogischer Förderung an einer Schule ein Schulbesuch nicht möglich ist. Mit RdErl. vom 5. Oktober 2017 hat das Ministerium für Schule und Bildung präzisiert, dass eine Zurückstellung auch unter Präventionsgesichtspunkten möglich ist, wenn prognostisch durch eine Überlastung im Schulalltag langfristig erhebliche gesundheitliche Gründe entstehen. Die Landesregierung sieht keinen Handlungsbedarf. 5. Wie bewertet die Landesregierung den gesetzlichen Stichtag vom 30. September, z.B. vor dem Hintergrund möglicher Frühgeburten? Eine Veränderung des Einschulungsstichtages gemäß § 35 Absatz 1 Schulgesetz NRW hätte grundsätzlich keinerlei Einfluss auf die Einschulung frühgeborener Kinder. Bei jeder generellen Festlegung eines Einschulungsstichtages kann sich die Situation ergeben, dass der tatsächliche Geburtstag vor und der ursprünglich errechnete Geburtstermin nach dem Stichtag liegen. Das Schulgesetz bietet mit der bestehenden Rückstellungsmöglichkeit bereits einen Anknüpfungspunkt auch für die gesundheitlichen Belange von frühgeborenen Kindern.