LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5658 03.04.2019 Datum des Originals: 03.04.2019/Ausgegeben: 08.04.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2127 vom 6. März 2019 der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky AfD Drucksache 17/5324 Wie effektiv sind Abschiebungen bei offenen Grenzen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage „Wir können nicht hinnehmen, dass nach einer Dublin-Abschiebung direkt das Flixbus-Ticket zurück nach Deutschland gelöst wird.“1 Mit diesen Worten wird der Obmann der CDU-Bundestagsfraktion im Innenausschuss, Armin Schuster, von der WELT zitiert. Diese berichtete am Sonntag, 17. Februar 2019, unter Berufung auf Sicherheitskreise aus Baden-Württemberg, Behörden eines ostdeutschen Bundeslandes, und ein langjähriges Mitglied der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung, dass etwa jeder dritte Abgeschobene im Anschluss wieder in die Bundesrepublik Deutschland einreist. Nach auf Erfahrungswerten beruhenden behördlichen Schätzungen der Wiedereinreisen nach erfolgten Abschiebungen reist im Durchschnitt jeder Dritte wieder illegal nach Deutschland ein. Bei innereuropäischen Abschiebungen liegen die Werte höher, bei Abschiebungen in das außereuropäische Ausland niedriger.2 Armin Schuster wirbt laut WELT aus diesen Gründen schon länger dafür, 1 Schuster, Armin zitiert nach: WELT Online (2019): Jeder dritte Abgeschobene reist wieder nach Deutschland ein; online im Internet: https://www.welt.de/politik/deutschland/article188920461/Jederdritte -Abgeschobene-reist-wieder-nach-Deutschlandein .html?fbclid=IwAR2Dv01AzWoirMSlSULAAzK-U5XXLKuqR0-V-oUmx-At5Q2AfT5epL6GmLU, Abs. 7. 2 Vgl. ebd., Abs. 1-6. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5658 2 „dass die Bundespolizei auch Abgeschobene direkt zurück zu weisen darf, die sie bei der Schleierfahndung unmittelbar im Grenzgebiet aufgreifen“.3 Aus einem weiteren WELT-Artikel vom 2. Juli 2018 geht darüber hinaus hervor, dass sich der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet, kategorisch gegen Grenzkontrollen stellt, obgleich die Beweise erdrückend sind, dass die NRW-Westgrenze ein Brennpunkt illegaler Eiwanderung sei.4 Damit ist davon auszugehen, dass auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen von illegalen Wiedereinreisen betroffen ist. Mit der kategorischen Ablehnung jeglicher Form von Grenzkontrollen an der Westgrenze Nordrhein-Westfalens ignoriert und fördert der Ministerpräsident die gemäß dem Rechtswissenschaftler Ulrich V. bestehende Kollision zweier europäischer Rechtsregime. Gemeint ist die Kollision der „Dublin-III-Verordnung, die die Staatenzugehörigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regelt, mit dem Schengen-System, das grundsätzlich alle Grenzkontrollen an europäischen Binnengrenzen ausschließt.“ In seiner Analyse führt Ulrich V. weiterhin aus: „Denn bei offenen, frei zu überquerenden Grenzen ergibt die Zuständigkeit eines bestimmten Staates für einen bestimmten Asylbewerber natürlich wenig Sinn, wenn dieser ganz woanders hin will. Denn grundsätzlich stehen in Europa die Grenzen jedem offen, der einmal drin ist, und so ist die Durchführung der Dublin-III-Verordnung letztlich am Schengen-Regime gescheitert.“5 Folglich scheitern prinzipiell sowohl die Erstzuständigkeitsregelung für Asylbewerber wie auch die innereuropäischen Dublin-III-Rückführungen am Bestehen des Schengen-Raumes, was durch eine innereuropäische Politik des „Durchwinkens“ noch begünstigt wird. Wenig förderlich ist auch die auf europäischer Ebene völlig uneinheitliche Versorgung durch den Sozialstaat, insbesondere die unterschiedliche Regelung zum Kindergeld. Die in Deutschland gewährten Sozialleistungen wirken im internationalen Vergleich wie ein Magnet. Ähnliches gilt für den weltweit einzigartigen individuellen Anspruch auf Asyl verbunden mit einem umfangreichen Klagerecht. Wer Deutschland erst einmal erreicht hat, wird, bedingt durch die deutsche und speziell europäische Gesetzgebung und Rechtsprechung, das Land tendenziell kaum mehr verlassen. Bei weiterhin geöffneten und grundsätzlich nicht kontrollierten Grenzen kann unter geduldeter Missachtung der Dublin-III-Verordnung auch heute noch ohne größeres Hindernis Deutschland erreicht werden. Das betrifft verstärkt auch die NRW-Westgrenze. Diese anhaltende Missachtung der Rechtslage begünstigt sowohl die erstmalige illegale Einreise als auch die Wiedereinreise nach erfolgter Abschiebung. Der Schengener Grenzkodex (Artikel 13 und 28) sowie das Asylgesetz (§ 18) und das Aufenthaltsgesetz (§ 15) schreiben in Verbindung mit dem Grundgesetz (Artikel 16a) eine zwingende Rückweisung an der Grenze für Nicht-EU-Ausländer ohne Visum vor, da es kein angrenzendes unsicheres Drittland gibt. Auch das Selbsteintrittsrecht gemäß Artikel 17 der Dublin-III-Verordnung hebelt diesen Grundsatz nicht aus. Dieses gilt nämlich nur für begründete Einzelfälle, keinesfalls aber bei „unübersehbaren Menschenmassen ungeklärter und mangels Papieren auch nicht ausklärbarer Identität und Herkunft“.6 3 Siehe FN 1. 4 Vgl. WELT Online (2018): Ist die NRW-Westgrenze ein Einfallstor für illegale Migration?; online im Internet: https://www.welt.de/regionales/nrw/article178488848/Nordrhein-Westfalens-Westgrenze- Einfallstor-fuer-illegale-Migration.html.; Abs. 1. 5 Vgl. Ulrich Vosgerau, Die Herrschaft der Unrechts, S. 41ff. 6 Vgl. Ulrich Vosgerau, Die Herrschaft der Unrechts, S. 37ff. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5658 3 Gemäß dem letzten Bericht der Landesregierung an den Integrationsausschuss vom 01.12.2018 zum „Sachstand des staatlichen Asylsystems“7 wurden seit dem 01.01.2018 bis zum Stichtag 30.09.2018 laut Statistik der Bundespolizei 4.978 Rückführungen aus Nordrhein- Westfalen erfasst. Im Gesamtjahr 2017 wurden 6308 aus Nordrhein-Westfalen rückgeführt.8 Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 2127 mit Schreiben vom 3. April 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. 1. Wie viele, der seit dem 01.01.2017 aus Nordrhein-Westfalen oder anderen Bundesländern rückgeführten Personen sind nach Kenntnis der Landesregierung nach ihrer Rückführung erneut nach Nordrhein-Westfalen eingereist? Aus den der Landesregierung vorliegenden Statistiken lassen sich Daten im Sinne der Fragestellung nicht entnehmen. 2. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung − abgesehen von der rechtlich eigentlich zwingenden aber praktisch nicht durchgeführten und vom Ministerpräsidenten sogar ausdrücklich nicht gewünschten Rückweisung an der Grenze − unerlaubte Wiedereinreisen zu unterbinden? 3. Was unternimmt die Landesregierung auf Bundesebene − beispielsweise per Bundesratsinitiative − um diese rechtswidrigen Wiedereinreisen zu unterbinden? Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs obliegt den zuständigen Bundesbehörden. Die Landesregierung unterstützt – auch im Bundesrat – die Anstrengungen der Europäischen Union zur besseren Sicherung der EU-Außengrenze, z.B. die Stärkung der europäischen Grenz- und Küstenwache und die Einrichtung des Europäischen Reiseinformations- und Genehmigungssystems (ETIAS) und des Entry and EXIT-Systems (EES). Der Bundesrat hat im April 2018 die Verordnungsentwürfe der EU-Kommission zur besseren Vernetzung von EU-Informationssystemen (Verbesserung der Interoperabilität) auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen ausdrücklich begrüßt. Die Verordnungsentwürfe verfolgen das Ziel, den unkomplizierten Abgleich von biografischen und biometrischen Daten zwischen den EU-Staaten zu ermöglichen. Damit soll etwa die europaweite Fahndung nach Straftätern oder der Abgleich der Identitäten von Asylbewerbern erleichtert werden. Mit diesen Instrumenten können rechtswidrige Wiedereinreisen an der EU-Außengrenze künftig besser kontrolliert werden. Die Landesregierung bekennt sich zu einem freiheitlichen Europa und zu den europäischen Idealen und Zielen, zu denen auch ein freier Personenverkehr innerhalb des Schengenraums gehört. 7 Vgl. Vorlage 17/1480 8 Vgl. Vorlage 17/575 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5658 4 4. Darf angesichts der kategorischen Ablehnung von Grenzkontrollen seitens Herrn Ministerpräsidenten Laschet davon ausgegangen werden, dass die Landesregierung den Schengener-Grenzkodex sowie das Dublin-III-Abkommen inkl. der Dublin-III-Rückführungen für obsolet hält? Nein. Aus Sicht der Landesregierung ist die Abschaffung von Binnengrenzkontrollen eine der größten Errungenschaften der europäischen Einigung. Damit diese nicht zu Sicherheitseinbußen führt, haben die Schengen-Staaten im Grenzkodex Ausgleichsmaßnahmen vereinbart, unter anderem die Harmonisierung und Verstärkung des Außengrenzschutzes, die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit sowie das Schengener Informationssystem. Die Landesregierung begrüßt das Ziel der Europäischen Kommission, mit der Neufassung der Dublin-Verordnung („Dublin IV“) eine gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Unabhängig von der Reform der Dublin-Verordnung müssen die Menschen, die nach vollständigem Durchlaufen eines Asylverfahrens keinen Anspruch auf Verbleib in Europa haben, so schnell wie möglich in ihre Heimatländer zurückkehren. 5. Gehen illegal erneut eingereiste Personen ausnahmslos in das beschleunigte Verfahren gemäß AsylG § 30a? (bitte erläutern) Stellt die illegal erneut eingereiste Person mit ausländischer Staatsangehörigkeit nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag, gilt dies als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylG. Ein weiteres Asylverfahren ist nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dabei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Soweit die antragsstellende Person aus einem Herkunftsland gemäß der Verwaltungsvereinbarung zwischen MKFFI und dem BAMF (sichere Herkunftsstaaten und Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Marokko, Nigeria, Pakistan, Russische Föderation, Tadschikistan, Tunesien) stammt, ist der Tatbestand des § 30 a Abs. 1 Nr. 4 AsylG einschlägig und ein beschleunigtes Verfahren kann durchgeführt werden.