LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/576 08.09.2017 Datum des Originals: 08.09.2017/Ausgegeben: 13.09.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 176 vom 10. August 2017 der Abgeordneten Josefine Paul BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/329 Anstieg homo- und transphober Hasskriminalität im ersten Halbjahr 2017 Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Spiegel Online berichtete am 09.08.2017 über die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage des GRÜNEN Bundestagsabgeordneten Volker Beck. Die Behörden in Deutschland haben laut Bundesregierung im ersten Halbjahr 2017 fast 30% mehr Gewalttaten gegen Lesben, Schwule und Trans*personen registriert, als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Aus der Antwort der Bundesregierung geht laut Spiegel Online hervor, dass vom 1. Januar bis 28. Juli 2017 insgesamt 130 Straftaten „mit Nennung des Unterthemas, sexuelle Orientierung‘ gemeldet“ worden seien. Im selben Zeitraum des vorangegangenen Jahres waren es insgesamt 102 Straftaten mit einem homo- oder transphobem Hintergrund. Das bedeutet einen Anstieg um mehr als ein Viertel bei den gemeldeten Straftaten. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) erklärt in einer Stellungnahme zu diesen Zahlen, dass längst nicht jeder homo- oder transphobe Übergriff gemeldet würde. Allgemein ist die Dunkelziffer bei Straftaten aufgrund der sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität sehr hoch. Viele Opfer haben Angst vor Stigmatisierung, sind traumatisiert, wenden sich aus Scham nicht an die Polizei oder fürchten, nicht ernstgenommen zu werden. Entsprechend geht der LSVD auch im genannten Feld von einer besonders hohen Dunkelziffer von 80% aus. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 176 mit Schreiben vom 8. September 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und dem Minister der Justiz beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/576 2 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Entwicklung homo- und transphober Hasskriminalität in NRW in den vergangenen 10 Jahren? 2. Wie werden Straftaten, die sich gegen die sexuelle und/oder geschlechtliche Identität des Opfers richten in NRW erfasst und ausgewertet? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet: Trans- und homophob motivierte Straftaten werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nicht explizit erfasst. Eine statistische Erfassung dieser Straftaten erfolgt - bundeseinheitlich abgestimmt - im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes - Politisch motivierte Kriminalität (KPMD- PMK). Die Entwicklung trans- und homophober Straftaten seit 2007 bitte ich der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen: Deliktsgruppen 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Körperverletzungsdelikte 0 0 1 0 0 1 0 1 0 0 Widerstandshandlungen 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 Raub 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 Bedrohungen/Nötigungen 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 Sachbeschädigungen 1 0 0 1 0 1 2 0 1 1 Verstöße gegen §§ 86, 86a StGB 0 3 0 0 0 0 4 2 4 2 Volksverhetzungen 2 6 2 3 3 3 7 2 6 7 Beleidigungen 0 0 3 1 2 4 8 1 4 5 Bildung einer kriminellen Vereinigung 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 Summe Gesamt 3 9 7 5 6 9 22 7 16 16 Für das Jahr 2017 wurden mit Stand 11.08.2017 im KPMD-PMK zehn Straftaten erfasst. Bei keiner dieser Straftaten handelte es sich um ein Gewaltdelikt. Darüber hinaus dokumentiert die vom Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration geförderte „Landeskoordination der Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben, Schwule und Trans* in Nordrhein-Westfalen“ sogenannte homophob und transphob motivierte Gewaltfälle. Diese werden der Einrichtung unter anderem durch deren Beratungs-Netzwerk und die „Schwulen Überfalltelefone“ in Düsseldorf und Köln gemeldet. 3. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um die Anzeigebereitschaft bei Opfern von Straftaten aufgrund der sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität zu erhöhen? Die nordrhein-westfälische Landesregierung nimmt homophob und transphob motivierte Gewalt sehr ernst. Es gibt zahlreiche Maßnahmen, damit Opfer darin bestärkt werden, sich vertrauensvoll an die Polizei zu wenden und Strafanzeige zu erstatten. Die „Landeskoordination der Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben, Schwule und Trans* in Nordrhein- Westfalen“ kooperiert eng mit dem Landeskriminalamt (LKA) NRW, das auch im Beirat der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/576 3 Fachstelle vertreten ist. Zusammen mit dem LKA NRW und dem Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW gibt die Fachstelle den Flyer "Homo- und transphobe Gewalt. Informationen für Betroffene" heraus. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen wird kontinuierlich für die besonderen Belange von Opfern sogenannter homophober und transphober Gewalt sensibilisiert. Die „Landeskoordination der Anti-Gewalt- Arbeit für Lesben, Schwule und Trans* in Nordrhein-Westfalen“ referiert im Rahmen polizeilicher Fortbildungsveranstaltungen zum Opferschutz in Neuss zum Thema "Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt". Das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) plant noch für 2017 kriminalpräventive Maßnahmen, um auf eine Steigerung der Anzeigebereitschaft bei der Polizei hinzuwirken. Dabei wird auch vorurteilsgeleitete Gewalt („Vorurteilsgeleitete Übergriffe und Hasskriminalität: wenn Menschen wegen ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Herkunft, äußeren Erscheinung, Behinderung, sexueller Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status‘ angegriffen werden“) aufgegriffen. An der Entwicklung sowie der Umsetzung dieser Maßnahmen ist Nordrhein-Westfalen federführend beteiligt. 4. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung zur verstärkten Sensibilisierung von Polizei und Justiz im Bereich homo- und transphober Hasskriminalität? Im Rahmen der polizeilichen Ausbildung werden die Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter für solche Delikte sensibilisiert und im Hinblick auf spezifische Anzeigenerstattung und Opferhilfe u. a. im Kontext häuslicher Gewalt geschult. In der polizeilichen Fortbildung wird dieses Themenfeld seit 2014 mit Unterstützung der „Landeskoordination Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben, Schwule und Trans* in Nordrhein- Westfalen“ bei Aus- und Fortbildung der Opferschutzbeauftragten der Kreispolizeibehörden behandelt. Darüber hinaus ist es in die Fortbildungsseminare zum Umgang mit häuslicher Gewalt aufgenommen worden. Mit dem am 21. Dezember 2015 verkündeten Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) hat der Bundesgesetzgeber den Rechtsanspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung in § 406g der Strafprozessordnung und einem eigenständigen Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG) verankert. Seit dem 1. Januar 2017 haben Verletzte das Recht, sich im gesamten Ermittlungs- und Strafverfahren einer psychosozialen Prozessbegleiterin oder eines psychosozialen Prozessbegleiters zu bedienen. In § 5 Absatz 1 der Ausführungsverordnung des Justizministeriums zum nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetz zur psychosozialen Prozessbegleitung vom 2. Januar 2017 ist festgelegt, dass die Aus- oder Weiterbildung zur anerkannten psychosozialen Prozessbegleitung im Bereich Viktimologie u. a. Wissen über die spezifischen Bedürfnisse der Betroffenen von vorurteilsmotivierter Gewalt, die Grundlagen gendersensibler Kommunikation und den Umgang mit Scham und Schuld auf Seiten der Verletzten umfassen soll. In Nordrhein-Westfalen bieten bereits zahlreiche Anbieter auf dieser Grundlage Weiterbildungskurse zur psychosozialen Prozessbegleitung an. Auch die Justiz ist für dieses Themenfeld sensibilisiert. Auf der Bildungsplattform der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen sind Hinweise zur „Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt - gegen Homo- und Transphobie“ veröffentlicht. Ergänzend sind alle Referentinnen und Referenten, die in Fortbildungen zum „Umgang mit dem Publikum“ bzw. zur „Personalführung“ eingesetzt werden, auf dieses Thema LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/576 4 hingewiesen und gebeten worden, es in geeigneter Form in die Seminare zu integrieren. In einschlägigen Fortbildungsveranstaltungen, z. B. zum Umgang mit dem Publikum - insbesondere mit Opfern - oder zur Vernehmung von Opferzeugen, erfolgen entsprechende Hinweise. 5. Plant die Landesregierung die Fortsetzung bisheriger Aktivitäten des Landes und der Polizei NRW zur Prävention und Sensibilisierung im Bereich antihomosexueller Hasskriminalität, beispielsweise in Kooperation mit dem LSVD, dem Schwulen Netzwerk NRW, der LAG Lesben, der Kampagne "anders und gleich - Nur Respekt wirkt" sowie mit dem Mitarbeiternetzwerk der Polizei "Velspol"? Ja.