LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/578 08.09.2017 Datum des Originals: 07.09.2017/Ausgegeben: 13.09.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 177 vom 8. August 2017 des Abgeordneten Sven W. Tritschler AfD Drucksache 17/330 Abfrage von Bankdaten durch Landesbehörden Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Medienberichten zufolge ist die Zahl der automatisierten Abfragen von Kontodaten gemäß § 24c Kreditwesengesetz in Verbindung mit §§ 93 und 93b Abgabenordnung im ersten Halbjahr 2017 bundesweit um 83% angestiegen. Eine Reihe staatlicher Stellen hat Zugriff auf dieses Instrument, das ursprünglich nur zur Erschwerung der Terrorismusfinanzierung eingerichtet wurde, inzwischen aber offenbar auch vielen anderen Zwecken dient. Die auf diesem Wege bereitgestellten Daten sind u.U. hochsensibel und lassen teilweise Rückschlüsse auf die politische oder religiöse Gesinnung des betroffenen Bürgers zu. Der Minister der Finanzen hat die Kleine Anfrage 177 mit Schreiben vom 7. September 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister der Justiz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Der automatisierte Abruf von Kontodaten ist durch das Gesetz zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland vom 21. Juni 2002 (Viertes Finanzmarktförderungsgesetz, BGBl. I Seite 2010) zum 1. April 2003 eingeführt worden. Seitdem sind Kreditinstitute verpflichtet, eine aktuelle Datei mit den von ihnen in Deutschland geführten Konten und Depots bereitzuhalten. Zum automatisierten Abruf der Kontodaten ist nach § 24c Absatz 2 des Kreditwesengesetzes (KWG) die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht befugt. Landesbehörden oder Gerichte, die für die Leistung der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen sowie im Übrigen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/578 2 für die Verfolgung und Ahndung von Straftaten zuständig sind, können ihre Ersuchen nach § 24c Absatz 3 KWG an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht richten. Durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I Seite 2928) wurde zum 1. April 2005 in § 93b der Abgabenordnung (AO) auch das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) ermächtigt, Kontoinformationen nach § 24c KWG automatisiert abzurufen. Das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt zu steuerlichen und anderen gesetzlich vorgegebenen Zwecken Kontoinformationen nach § 93 Absatz 7 und 8 AO ebenfalls nur auf konkretes Ersuchen. Mit Gesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258) wurde in § 802 l Absatz 1 der Zivilprozessordnung u. a. mit Wirkung ab dem 1. Januar 2013 bestimmt, dass Gerichtsvollzieher das Bundeszentralamt für Steuern um einen Kontenabruf ersuchen können, wenn der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nachkommt oder wenn bei einer Vollstreckung in die dort aufgeführten Vermögensgegenstände eine vollständige Befriedigung des Gläubigers voraussichtlich nicht zu erwarten ist. Ein Kontenabruf ist nur zulässig, soweit dies zur Vollstreckung erforderlich ist. Mit dem Gesetz zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes und anderer Gesetze (Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetz) vom 3. Mai 2013 (BGBl. I, S. 1108) wurde § 6 des Unterhaltsvorschuss-gesetzes (UVG) dahingehend ergänzt, dass die für den Unterhaltsvorschuss zuständigen Stellen der Länder zur Durchführung des Rückgriffs nach § 7 UVG das Bundeszentralamt für Steuern um einen Kontenabruf ersuchen dürfen, wenn ein vorheriges Auskunftsersuchen an den möglicherweise unterhaltspflichtigen Elternteil nicht zum Ziel geführt hat oder keinen Erfolg verspricht. Abgerufen werden konnten bislang jeweils nur die Kontenstammdaten, nämlich die Nummer eines Kontos oder Depots, der Tag der Errichtung und der Tag der Auflösung des Kontos oder Depots, der Name und - bei natürlichen Personen - der Tag der Geburt des Inhabers und eines Verfügungsberechtigten sowie der Name und die Anschrift eines abweichend wirtschaftlichen Berechtigten. Durch das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungs-bekämpfungsgesetz) vom 23. Juni 2017 (BGBl. I S. 1682) sind die Kreditinstitute verpflichtet worden, zusätzlich für jeden Verfügungsberechtigten und jeden wirtschaftlich Berechtigten im Sinne des Geldwäschegesetzes die Adresse und die Steuer-Identifikations-nummer bzw. die Wirtschafts-Identifikationsnummer oder - falls eine solche noch nicht vergeben wurde und es sich nicht um eine natürliche Person handelt - die für die Besteuerung nach dem Einkommen geltende Steuernummer zu speichern. Seit dem 24. Juni 2017 können auch diese Daten vom Bundeszentralamt für Steuern automatisiert abgerufen werden. Die Steuer-Identifikationsnummer eines Verfügungsberechtigten oder eines wirtschaftlich Berechtigten darf das Bundes-zentralamt für Steuern jedoch nur den Finanzbehörden mitteilen. Kontenbewegungen oder Kontenstände können im Abrufverfahren nicht ermittelt werden. Rückschlüsse auf die politische oder religiöse Gesinnung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger ermöglicht der automatisierte Kontenabruf nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 13. Juni 2007 (1 BvR 1550/03 – BVerfGE 118, S. 168 ff.) ausdrücklich bestätigt, dass gesetzliche Kontenabrufmöglichkeiten Gemeinwohlbelangen von erheblicher Bedeutung dienen, nämlich einer gleichmäßigen Besteuerung, der Bekämpfung des Sozialleistungsbetrugs sowie der wirksamen Strafverfolgung und Rechtshilfe in Strafsachen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/578 3 1. Welche Landesbehörden sind berechtigt, eine automatisierte Abfrage von Kontodaten durchzuführen und wie viele Mitarbeiter haben jeweils direkten Zugriff auf die dafür notwendigen technischen Einrichtungen? Keine. Der automatisierte Abruf ist allein der Bundesanstalt für Finanzdienst-leistungsaufsicht und dem Bundeszentralamt für Steuern gestattet. Landesbehörden haben keinen direkten Zugriff auf technische Einrichtungen zur automatisierten Abfrage von Kontodaten. Sie können nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften aufgrund von Einzelfallentscheidungen Kontenabrufersuchen stellen. Auf die Vorbemerkung der Landesregierung wird verwiesen. 2. Wie viele solcher Abfragen wurden durch Landesbehörden in den Jahren 2015, 2016 und im ersten Halbjahr 2017 jeweils durchgeführt und wie ist ggf. ein Anstieg dieser Zahlen zu erklären? Zur Anzahl der an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht beziehungsweise das Bundeszentralamt für Steuern gerichteten Auskunftsersuchen liegen dem Ministerium der Justiz keine statistischen Daten vor. Auch die nordrhein-westfälische Finanzverwaltung führt keine eigenen Statistiken über die Summe der von den Finanzämtern gestellten Kontenabrufersuchen. Laut den Statistiken des BZSt wurden in 2015 insgesamt 13.735 Ersuchen nordrhein-westfälischer Festsetzungsfinanzämter bearbeitet, in 2016 insgesamt 17.323 Ersuchen und im ersten Halbjahr 2017 25.397 Ersuchen. Hierbei handelt es sich um die Anzahl der Erledigungen, nicht der Eingänge. Von einem Anstieg der Erledigungen im ersten Halbjahr 2017 kann daher nicht zugleich auf einen Anstieg der gestellten Ersuchen in diesem Zeitraum geschlossen werden. Die Gründe für den Anstieg der Erledigungen sind hier nicht bekannt. 3. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, in wie vielen Fällen es bereits zu unberechtigten Abfragen gekommen ist und was tut sie, um widerrechtliche Abfragen zu verhindern? Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und das Bundeszentralamt für Steuern prüfen die an sie gerichteten Ersuchen auf Plausibilität. Der Landesregierung liegen Erkenntnisse über unberechtigte Ersuchen nicht vor. 4. Welche Möglichkeiten hat der Bürger, von ihn betreffenden Kontodatenabfragen zu erfahren und falls es solche nicht gibt, plant die Landesregierung, eine solche Möglichkeit zu schaffen? Erfolgt das Abrufersuchen auf Grundlage der §§ 93, 93b AO ist der Betroffene auf die Möglichkeit eines Kontenabrufs hinzuweisen; dies kann auch durch ausdrücklichen Hinweis in amtlichen Vordrucken und Merkblättern geschehen (§ 93 Absatz 9 AO). Nach Durchführung eines Kontenabrufs ist der Betroffene vom Ersuchenden über den Abruf zu benachrichtigen. Die Hinweise können unterbleiben, soweit LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/578 4 1. sie die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit des Ersuchenden liegenden Aufgaben gefährden würden, 2. sie die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würden, oder 3. die Tatsache des Kontenabrufs nach einer Rechtsvorschrift oder seinem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden muss und deswegen das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss. Im Übrigen richten sich die Informationspflichten nach dem für die jeweils handelnde Behörde maßgeblichen Verfahrensrecht (z. B. nach § 147 der Strafprozessordnung) und nach den Datenschutzgesetzen der Länder. Wie weit diese Informationspflichten gehen und zu welchem Zeitpunkt sie bestehen, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. 5. Welche Rechtsbehelfe stehen dem Bürger zur Verfügung, um sich gegen eine Kontodatenabfrage durch Landesbehörden zu wehren? Ein Kontenabruf ist kein Verwaltungsakt, sondern ein Realakt. Seine Rechtmäßigkeit kann vom jeweils zuständigen Gericht im Rahmen des Verfahrens, zu dessen Durchführung der Kontenabruf vorgenommen wurde, oder isoliert unter den Voraussetzungen einer Leistungsoder (Fortsetzungs-) Feststellungsklage überprüft werden.