LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5854 17.04.2019 Datum des Originals: 17.04.2019/Ausgegeben: 24.04.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2145 vom 12. März 2019 des Abgeordneten Frank Sundermann SPD Drucksache 17/5422 Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung – auch für die Kohleregion Ibbenbüren? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 26. Januar hat die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ihren Abschlussbericht beschlossen. Auf fast 340 Seiten werden darin die Perspektiven für die vom Braunkohleausstieg betroffenen Gebiete, für Nordrhein-Westfalen das Rheinische Revier, festgehalten. In einem Zeitraum von 20 Jahren sollen, so die Empfehlung der Kommission, rund 40 Milliarden Euro in Ost und West investiert werden – allein 15 Milliarden Euro davon sind für Nordrhein-Westfalen und das Rheinische Revier vorgesehen. Ferner war sich die Kommission dahingehend einig, dass über die Reviere hinaus auch dann Projekte und Maßnahmen gefördert bzw. unterstützt werden können, wenn diese trotzdem für die Perspektive und Entwicklung der Reviere von Relevanz sind. So können konkret Standorte von Steinkohlekraftwerken Mittel erhalten. Ausschlaggebend dafür ist der „Anteil der Steinkohlewirtschaft an Beschäftigung und Wertschöpfung vor Ort“.1 Hier zieht die Kommission ein in Auftrag gegebenes Gutachten des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung („Strukturdaten für die Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“) als Bewertungsgrundlage heran. Als sachliches Kriterium zur Bewertung der Relevanz wird die Situation in den Braunkohlerevieren selbst herangezogen. Am geringsten liegt diese Quote, laut Gutachten, im mitteldeutschen Revier und wird mit 0,9 Prozent bemessen. Im Unterschied zur Situation der Braunkohlestandorte (insbesondere auch der Förderreviere) wird die Situation der Steinkohlekraftwerksstandorte im Abschlussbericht aber nur sehr zurückhaltend thematisiert. Insbesondere finden sich keine Vorschläge für konkrete Strukturwandelmaßnahmen an den Standorten. Einzig die von Landeswirtschaftsminister Andreas Pinkwart in der Plenardebatte des Februar 2019 im Landtag NRW in Aussicht 1 Vgl. Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, S. 15f. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5854 2 gestellte Umrüstung von Steinkohlekraftwerke auf den Energieträger Gas kann hier als vager Vorschlag der Landesregierung gesehen werden. Ebenso bleibt die finanzielle Ausstattung für etwaige Strukturhilfen an den Steinkohlestandorten unklar. Der Vorsitzende der CDU- Landtagsfraktion Bodo Löttgen sprach in diesem Zusammenhang in der Plenardebatte am 20.2.2019 von noch zu verteilenden Sondermitteln, die in keiner Konkurrenz zu den für die Braunkohlestandorten vorgesehenen Mitteln stünden. Für das Rheinische Revier werden überdies zur „Schaffung neuer Wertschöpfungsketten und zukunftssicherer Arbeitsplätze“2 mehrere Ansatzpunkte in den Blick genommen, u.a.: „Innovation und Bildung: (…) Ausgründungen aus Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen führen zu neuen Ansiedlungen im Revier. Hierfür werden beispielsweise Hochschulerweiterungen (z.B. TH Köln Campus Rhein-Erft) und die Errichtung von fünf Innovation Hubs und Gründerzentren im Rheinischen Revier (…) in den Blick genommen.“ Weiterhin werden bestimmte Infrastrukturprojekte durch die Länder als „unabdingbar“ eingeschätzt, „um wirksame Strukturentwicklungsimpulse zu entfalten“, so auch ein neuer Campus Rhein-Erft, der durch eine Schwerpunktsetzung in den Bereichen Raumentwicklung, Infrastruktursysteme und -Management sowie Geoinformatik die Strukturentwicklung unterstützen soll.3 Die Kohleregion Ibbenbüren steht vor denselben Herausforderungen wie das Rheinische Revier und das Ruhrgebiet. Im Dezember 2018 endete bereits das Kapitel des Steinkohlebergbaus in der Region, als die beiden letzten Schachtanlagen Oeynhausen und Am Nordschacht endgültig schlossen. Durch den nun beschlossenen frühzeitigen Ausstieg auch aus der Steinkohleverstromung wird das Kohlekraftwerk in Ibbenbüren u.U. früher als geplant schließen und dadurch werden weitere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Arbeitsplatz verlieren. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 2145 mit Schreiben vom 17. April 2019 im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet. 1. Wird ein Anteil der Mittel (15 Milliarden Euro), die für den Braunkohleausstieg in NRW und im Rheinischen Revier, vorgesehen sind, auch in die genauso vom Strukturwandel betroffenen Steinkohle-Reviere des Ruhrgebiets und Ibbenbüren fließen? 2. In welcher Dimension bewegen sich die von Herrn Löttgen erwähnten Sondermittel nach Wissensstand der Landesregierung bzw. nach welchem Verteilschlüssel würde der Steinkohle-Standort Ibbenbüren profitieren? Die Fragen 1 und 2 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Landesregierung hat in den vergangenen Monaten die Anliegen der Steinkohlestandorte in der Kommission offensiv vertreten und sich für diese eingesetzt. Damit hat die 2 Vgl. ebd., S. 89 3 Vgl. ebd., S. 103 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5854 3 Landesregierung maßgeblich dazu beigetragen, dass die Kommission empfohlen hat, die im gesamten Bundesgebiet verteilten Steinkohlekraftwerksstandorte im Falle besonderer Betroffenheit in die Förderung aufzunehmen. Die Betroffenheit soll sich am Anteil der Wertschöpfung der Steinkohlenwirtschaft in der jeweiligen Gebietskörperschaft orientieren. Die Landesregierung erwartet von der Bundesregierung, dass sie – wie von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ empfohlen – einen konkreten Vorschlag macht, wie die besonders betroffenen Standorte durch die Bundesregierung unterstützt werden können. So hat sich die Landesregierung bisher in die Verhandlungen eingebracht und wird dies in den anstehenden Gesprächen mit der Bundesregierung weiterhin tun. Dabei setzt sich die Landesregierung dafür ein, dass die Strukturhilfen für Steinkohlekraftwerksstandorte aus zusätzlichen Mitteln und nicht aus den für die Braunkohlereviere vorgesehen Budgets finanziert werden. Die Höhe dieses Budgets und der Verteilungsschlüssel sind Gegenstand der derzeitigen Verhandlungen und lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beziffern. 3. Wenn als Bewertungskriterium bzw. Untergrenze für eine zusätzliche Förderung von Steinkohle-Standorten eine Quote von 0,9 Prozent beim Anteil der Wertschöpfung festgelegt wird, bedeutet dies dann, dass der Kreis Steinfurt (und damit die Kohleregion Ibbenbüren) mit einer Quote von 0,37 Prozent nicht berücksichtigt wird? Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ hat sich entschieden, die im gesamten Bundesgebiet verteilten Steinkohlekraftwerksstandorte im Falle besonderer Betroffenheit in die Förderung aufzunehmen. Die Kommission empfiehlt, Strukturhilfen dann zur Verfügung zu stellen, wenn der Anteil der Steinkohlewirtschaft an der regionalen Wertschöpfung von erheblicher Relevanz ist und nennt in ihrem Abschlussbericht einen Schwellenwert von 0,9%. Die Landesregierung setzt sich gegenüber der Bundesregierung für einen niedrigeren Schwellenwert ein. 4. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu geplanten Maßnahmen für eine Folgenutzung des Steinkohlekraftwerkstandortes Ibbenbüren vor, insbesondere mit Blick auf die von Minister Pinkwart öffentlich in Aussicht gestellte Umrüstung auf den Energieträger Gas? Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über eine Folgenutzung der Flächen mit Blick auf eine Umrüstung auf den Energieträger Gas vor. Im Übrigen gilt, wie bereits in der Berichtsanfrage „Folgen der Abschaltung von Steinkohlekraftwerken im Zuge der Umsetzung der Beschlüsse der WSB-Kommission“ für die Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Energie und Landesplanung am 13. März 2019 ausgeführt, dass es eine unternehmerische Entscheidung ist, welche Steinkohlenkraftwerke von einer vollständigen Abschaltung betroffen sein werden. Daher kann derzeit weder abgesehen werden, welche Steinkohlenkraftwerksstandorte im Zuge des vorzeitigen Kohleausstiegs wann genau vollständig geschlossen werden noch welche strukturpolitischen Maßnahmen an den jeweiligen Standorten zu treffen sind. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5854 4 5. Wie schätzt die Landesregierung die Ausgründung von Fachhochschulen bzw. eines Fachhochschul-Teilstandortes in der Kohleregion Ibbenbüren nach dem Vorbild der Ausgründungen im Rhein-Erft-Kreis bzw. im Rheinischen Revier ein? Zu der Frage hat die Ministerin für Kultur und Wissenschaft im Einvernehmen mit mir bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage 1715 (LT-Drs. 17/4510) Stellung genommen: Nordrhein- Westfalen verfügt über ein dichtes und vielfältiges Netz von Hochschulen in staatlicher und privater Trägerschaft. Überlegungen zur Errichtung einer neuen Hochschule oder eines weiteren Hochschulstandortes werden in erster Linie unter bildungspolitischen Perspektiven zu treffen sein. Dabei können natürlich auch allgemeine strukturpolitische Überlegungen eine Rolle spielen. An alle Kommunen und Regionen Nordrhein-Westfalens werden insoweit gleiche Bewertungsmaßstäbe angelegt. Die Hochschulen können darüber hinaus selbstständig Studienorte errichten; dazu benötigen sie das Einvernehmen des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft. Bei den in diesem Zusammenhang anzustellenden Prüfungen werden Anforderungen aus der Region an den Ausbau von bestimmten Fachqualifikationen und zur Entwicklung innovativer Studienangebote eine Rolle spielen. Darüber hinaus ist zu bewerten, wie Innovation, Bedarf und finanzielles Engagement aus der Region miteinander in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Bezogen auf die Kohleregion Ibbenbüren wird auch hinsichtlich der möglichen Errichtung von Hochschulen, Hochschulstandorten oder Studienorten berücksichtigt werden müssen, dass sich etwa 35 km von Ibbenbüren entfernt der Standort Steinfurt der Fachhochschule Münster befindet.