LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5882 18.04.2019 Datum des Originals: 18.04.2019/Ausgegeben: 25.04.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2143 vom 12. März 2019 des Abgeordneten Frank Müller SPD Drucksache 17/5417 Umgang mit Inter*-Menschen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Anerkennung und der gleichberechtigte Umgang mit Intersexuellen haben mit der Diskussion und der Einführung des Geschlechtsmerkmals „divers“ an Fahrt aufgenommen. Gleichwohl scheint es zu vielen Menschen noch nicht durchgedrungen zu sein, dass intersexuelle Menschen biologisch nicht festgelegt sind. Beschämend, verletzend und diskriminierend ist es daher, wenn sogar politisch Verantwortliche wie jüngst die CDU- Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sich auf Kosten einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe profilieren wollen. Die inhaltliche Reduzierung von Intersexualität auf die Frage des Toilettenbesuchs wird daher zu Recht aus vielen Richtungen als geschmacklos bzw. diskriminierend gewertet. Die derzeit laufende Diskussion zeigt, dass der Umgang mit Minderheiten und in diesem besondere Falle das Verständnis von Intersexualität leider noch immer zu wünschen übrig lässt. Bemerkenswert: Während viele Menschen die Aussagen der CDU-Vorsitzenden aufgrund des Witzes der „Mächtigen auf Kosten der Kleinen“ besonders als Widerspruch im Karneval kritisieren, versuchen nicht zuletzt Vertreter*innen der Landesregierung den Vorfall zu relativieren. Da über Männer und Frauen Witze gemacht würden, müsste man auch mit Witzen über das dritte Geschlecht klarkommen (vgl.: https://www1.wdr.de/nachrichten/krampkarrenbauer -karneval-nrw-reaktionen-100.html). Nordrhein-Westfalen hat sich in der Vergangenheit zu einem modernen, offenen und bunten Land entwickelt. Die Herabwürdigung einzelner gesellschaftlicher Gruppen steht hierzu im diametralen Widerspruch. Sie sind nicht nur als Angriff auf einzelne Personen(gruppen) zu werten, sondern torpedieren auch die Werte unseres Bundeslandes. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5882 2 Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 2143 mit Schreiben vom 18. April 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten sowie allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. 1. Wie bewertet der Ministerpräsident die Aussage der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, dass Toiletten für Intersexuelle für Männer seien, die „noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen.“? 2. Wie bewertet der Ministerpräsident die Auffassung der Staatssekretärin Serap Güler, dass „in fast jeder Büttenrede […] Frauen- oder Männerwitze vor[kommen], über die gelacht wird. Wer also das dritte Geschlecht als solches gleich behandeln will, sollte auch mit Witzen über diese klarkommen“? Die Fragen 1 und 2 werden im Zusammenhang beantwortet: Der Ministerpräsident bewertet grundsätzlich keine Büttenreden. 3. Welche Herausforderungen sieht die Landesregierung mit Blick auf die gesellschaftliche Akzeptanz von Inter*-Menschen? Die Landesregierung ist der Auffassung, dass inter* Menschen als Teil gesellschaftlicher Vielfalt Respekt und Unterstützung aus Gesellschaft und Politik verdienen, die ihnen einen Schutz vor gesellschaftlicher Diskriminierung und Ausgrenzung bieten. Sie setzt sich für ein Verbot von geschlechtszuweisenden kosmetischen Operationen bei intergeschlechtlichen, nicht einwilligungsfähigen Personen ein, insbesondere an Säuglingen und Kindern, wenn aus medizinischer Sicht keine Notwendigkeit hierzu besteht. Die Landesregierung hält es darüber hinaus für erforderlich, für Eltern von intergeschlechtlich geborenen Kindern einen niedrigschwelligen Zugang zu wichtigen Informationen zu schaffen, auch um derartige kosmetische Operationen zu vermeiden. Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration prüft derzeit, wie die Beratungs- und Informationsstrukturen für intergeschlechtliche Menschen verbessert werden können. 4. Welche Initiativen und Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, um das Verständnis für geschlechtliche Vielfalt zu erhöhen? Eine Vielfalt von Lebensentwürfen bereichert das gesellschaftliche Zusammenleben in Nordrhein-Westfalen. Die Landesregierung setzt sich engagiert für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von lsbti* Personen ein – für ein Leben ohne Benachteiligung, Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung. Wertschätzung, Respekt und Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe – unabhängig von der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität – sind der Landesregierung ein zentrales Anliegen. Damit dies gelingt, ist Politik für geschlechtliche Vielfalt eine Querschnittsaufgabe innerhalb der Landesregierung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5882 3 Dementsprechend gibt es viele unterschiedliche Maßnahmen und Handlungsfelder von der Öffentlichkeits-, Informations- und Aufklärungsarbeit über die Gewaltprävention und Antidiskriminierungsarbeit bis hin zur Unterstützung der lsbti* Selbstorganisation. Unter anderem gehören folgende Projekte dazu: Aus dem Bereich des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration richtet das Projekt SCHLAU NRW seinen Fokus in der Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit in Schulen und der Jugendarbeit auch auf inter* und trans* Personen. Das Aufgabenspektrum der Fachstelle der Anti-Gewalt Arbeit für Lesben, Schwule und Trans* in NRW umfasst die Themen Gewalt und Diskriminierung im Hinblick auf häusliche Gewalt und Diskriminierung. Die Integrationsagenturen und die Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit in Trägerschaft der Freien Wohlfahrtspflege setzen sich mit ihren vielen verschiedenen Maßnahmen für eine vielfältige und offene Gesellschaft ein. Im Kinder- und Jugendförderplan des Landes Nordrhein-Westfalen ist in den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe die Berücksichtigung von lsbti* Kindern und Jugendlichen mit ihren spezifischen Bedürfnissen und Bedarfen durchgängiges Leitprinzip. Darüber hinaus werden aus dem Kinder-und Jugendförderplan Fachstellen gefördert, die in ihren Angeboten geschlechtliche Vielfalt berücksichtigen: • Die nordrhein-westfälische Fachberatungsstelle „gerne anders!“ unterstützt Fachkräfte, Einrichtungen, freie Träger und Kommunen darin, junge Lesben, Schwule und Bisexuelle sowie trans* Personen verstärkt als Zielgruppe der Jugendarbeit in den Blick zu nehmen. • Die Fachstelle der Queeren Jugend Nordrhein-Westfalen bietet Unterstützung, Vernetzung und Qualifizierung für die queeren Jugendgruppen und ihre Gruppenleitungen an. • Die FUMA Fachstelle Gender & Diversität richtet sich mit ihren Fortbildungen an Fachkräfte der Kinder-und Jugendarbeit. Die Fortbildungen sollen dazu beitragen, Geschlechterdemokratie und die Anerkennung von Verschiedenheit und Vielfalt zu fördern. Dazu kommen „Angebote für junge lsbti* Menschen“, deren Ziel es ist, in der Jugendförderung Toleranz und Vielfalt in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität als selbstverständlich zu leben und zugleich den Zusammenhalt und das gemeinsame Erleben zu fördern. Die Kampagne ANDERS & GLEICH in Trägerschaft der LAG Lesben in NRW e.V. leistet landesweit mit diversen Medien Informations- und Antidiskriminierungsarbeit zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Nordrhein-Westfalen. Dabei unterstützt sie auch die Selbsthilfe und Trägerstrukturen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und queeren Menschen (LSBTIQ*). Insbesondere zu Themen geschlechtlicher Vielfalt werden Ratsuchende durch die landesgeförderte Beratungsstruktur für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter* (LSBTI*) und ihre Angehörigen in Nordrhein-Westfalen unterstützt. Durch die Präsenz der Beratungsstellen in Bochum, Dortmund, Köln, Raum Krefeld, Münster und Siegen wird die Sichtbarkeit geschlechtlicher Vielfalt erhöht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5882 4 Darüber hinaus prüft das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration derzeit, wie die Beratungs-und Informationsstrukturen für intergeschlechtliche Menschen verbessert werden können. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales berücksichtigt über die Arbeit des Kompetenzzentrums Frauen und Gesundheit bei Maßnahmen mit Schwerpunkt sexueller Orientierung auch trans* Menschen und trägt so zur Sichtbarmachung geschlechtlicher Vielfalt im Gesundheitssystem bei. Die Landesregierung setzt im Bereich des Ministeriums für Schule und Bildung die Kooperation im Antidiskriminierungsprojekt „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“ fort. Zu diesem Programm gehört auch die Förderung der Akzeptanz gegenüber inter* und trans* Menschen an den Schulen. Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung arbeitet an der Erstellung eines Landesaktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen Jungen, Männern und (L)SBTTI. Ziel des Landesaktionsplans ist es, Maßnahmen zur Prävention und nachhaltigen Bekämpfung von Gewalt gegen Jungen, Männer und (L)SBTTI zu beschreiben und Impulse zur Schaffung von Rahmenbedingungen zu setzen, die umfassenden Schutz und eine bedarfsgerechte Unterstützung von Betroffenen gewährleisten. Sensibilität für homo- und transfeindliche Motivation von Gewalt ist in allen Bereichen erforderlich. Alle Ressorts definieren schließlich mögliche Anpassungsbedarfe in den Stellenausschreibungen. In verschiedenen Bereichen der Landesver-waltung werden Stellenausschreibungstexte bereits jetzt nicht mehr le-diglich binärgeschlechtlich ausgeschrieben. Auf die Antwort der Landes-regierung vom 5. März 2019 (Drucksache 17/5313) auf die Kleine An-frage 1989 vom 30. Januar 2019 wird insoweit verwiesen.