LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5909 25.04.2019 Datum des Originals: 25.04.2019/Ausgegeben: 30.04.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2219 vom 26. März 2019 der Abgeordneten Alexander Langguth, Frank Neppe und Marcus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/5579 „Divers“, „intersexuell“, „transsexuell“ – Angabe von Geschlecht und sexueller Orientierung in Stellenausschreibungen und deren Einfluss auf den Bewerbungsprozess Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Oktober 2017 entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass es im Geburtenregister auch die Möglichkeit geben müsse, ein drittes Geschlecht für jene Menschen einzutragen, die weder eindeutig dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordenbar sind. Arbeitsrechtler wiesen darauf hin, dass es vor diesem Hintergrund zukünftig nicht mehr ausreichen werde, in Stellenanzeigen lediglich die herkömmliche Geschlechterordnung, „w/m“ bzw. „m/w“, in der Jobbeschreibung anzuführen.1 Ab 2019 sind Stellenanzeigen nur dann konform mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wenn sie auch „das dritte Geschlecht mit 'i' für intersexuell oder 'd' für diverse enthalten“.2 Ein Rechtsanwalt für Arbeitsrecht der Wirtschaftskanzlei „Simmons & Simmons“ empfiehlt seinen Kunden Stellenbeschreibungen entsprechend anzupassen. Laut ihm herrsche in der Literatur Einigkeit, „dass man das Urteil auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und Stellenausschreibungen beziehen“ müsse. Eine Missachtung der neuen Richtlinien könne „teure und imageschädigende Klagen“ zur Folge haben.3 1 https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/article180767606/Arbeitsmarkt-Wofuer-stehen-D-X-und-I-in- Stellenanzeigen.html (abgerufen am 12.03.2019) 2 https://www.springerprofessional.de/recruiting/arbeitsrecht/das-dritte-geschlecht----was-arbeitgeberwissen -muessen/16181700 (abgerufen am 12.03.2019) 3 https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/article180767606/Arbeitsmarkt-Wofuer-stehen-D-X-und-I-in- Stellenanzeigen.html (abgerufen am 12.03.2019) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5909 2 Die IHK Wiesbaden fasst auf ihrer Website die elementaren Inhalte des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zusammen: Durch das AGG seien Ungleichbehandlungen aufgrund von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Identität unzulässig, „soweit nicht im Einzelfall Ausnahmen zugelassen sind“.4 Weiter heißt es: „Bei Verstößen drohen dem Arbeitgeber Klagen der betroffenen Bewerber, die neben entstandenem Schaden (Aufwendungen für die Bewerbung, entgangenes Einkommen) auch eine Entschädigung in Höhe von bis zu drei Monatsgehältern geltend machen können“ und eine „ungleiche Behandlung kann unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein, wenn u. a. damit die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten oder Personen mit Fürsorgepflichten gefördert wird“. Ein Paragraph, der festlegen würde, dass Frauen bei einer Bewerbung gegenüber Männern mit gleicher Eignung zu bevorzugen seien, findet sich im Originaltext des AGG nicht.5 Hingegen rekurrieren mehrere Stellenausschreibungen, die im Web zu finden sind, auf das Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern für das Land Nordrhein-Westfalen (LGG). Dort heißt es: „Bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung sind Frauen bei Begründung eines Arbeitsverhältnisses bevorzugt einzustellen.“6 Die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung hat die Kleine Anfrage 2219 mit Schreiben vom 25. April 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister des Innern und dem Minister der Justiz beantwortet. 1. Sieht die Landesregierung ein Konfliktpotenzial zwischen der im Landesgleichstellungsgesetz (LGG) festgelegten beruflichen Förderung von Frauen und der neuen Berücksichtigung der Gruppe des Geschlechts „divers“? (Wenn ja/nein, bitte begründen) 2. Wenn 1.) mit „ja“ beantwortet werden kann: Welche Schritte erachtet die Landesregierung als notwendig, um potenziellen Konflikten vorzubeugen? 3. Kann eine Person im Rahmen des Jobbewerbungsprozesses für sich beanspruchen, das Geschlecht „divers“ zu besitzen, wenn dies nicht qua Geburtenregister verifiziert ist? 4. Falls eine als „divers“ geltende Person angibt, sich primär oder wenigstens partiell mit dem weiblichen Geschlecht zu identifizieren, kann sie sich dann im 4 https://www.ihkwiesbaden .de/recht/rechtsberatung/Personal/Auswirkungen_des_Gleichbehandlungsgesetzes_AGG_ auf_Stellenaussc/1255690 (abgerufen am 15.03.2019) 5 www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/AGG/agg_gleichbehandl ungsgesetz.pdf (abgerufen am 12.03.2019) 6 https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=1&bes_id=4847&anw_nr=2&aufgehoben=N& det_id=401365 (abgerufen am 18.03.2019) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5909 3 Rahmen einer Jobbewerbung auf die im LGG verankerte berufliche Förderung von Frauen berufen? 5. Manche Stellenausschreibungen neueren Datums enthalten als Geschlechtsangabe neben „divers“ bzw. „intersexuell“ auch „t“ für „transsexuell“. Im Gegensatz zu „divers“ ist „transsexuell“ kein biologisch feststellbares und per Geburtenregister eintragbares Geschlecht. Hat die Landesregierung Pläne, eine gesetzliche Normierung der in Stellenausschreibungen benutzten Begriffe zu realisieren? Die Fragen 1 bis 5 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet: Die Landesregierung sieht kein Konfliktpotential für Stellenbesetzungen. Eine Regelung zur Ausgestaltung von Stellenausschreibungen gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht. Die inhaltlichen Vorgaben an die Ausgestaltung einer Stellenausschreibung ergeben sich aus dem in Art. 33 Absatz 2 GG normierten Prinzip der Bestenauswahl unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Das Landesgleichstellungsgesetz (LGG) stützt sich auf den verfassungsrechtlichen Auftrag in Artikel 3 Absatz 2 GG zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Es bezieht sich gemäß § 1 LGG hinsichtlich der Förderung von Frauen zum Abbau bestehender Benachteiligungen auf das weibliche Geschlecht. Als „divers“ geltende Personen sind keine Frauen oder Männer, sondern gehören einem dritten Geschlecht an. Deren Gleichbehandlung stützt sich auf § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) i.V.m. Artikel 3 Absatz 3 GG. Nach § 22 Absatz 3 Personenstandsgesetz (PStG) kann bei Kindern, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können, im Geburtenregister wahlweise die Angabe "divers" eingetragen oder von einer Angabe des Geschlechts abgesehen werden. Daneben eröffnet § 45b PStG für den dort näher bezeichneten Kreis von Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung die Möglichkeit, bei Vorliegen bestimmter weiterer Voraussetzungen gegenüber dem Standesamt zu erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere in § 22 Absatz 3 PStG vorgesehene Bezeichnung ersetzt oder gestrichen werden soll. Der Aspekt Trans* ist – anders als Inter* – „biologisch“ nicht feststellbar. Vielmehr empfinden Trans* Menschen ihr biologisches Geschlecht, das ihnen nach äußeren Geschlechtsmerkmalen von anderen zugewiesen wird, als falsch und sich selbst zu dem anderen Geschlecht zugehörig. Trans* Menschen streben in der Regel einen Wechsel in das jeweilige andere Geschlecht an und möchten sich grundsätzlich im binären Geschlechtsrollenmodell einordnen lassen. Für intergeschlechtliche Menschen, die sich zumeist nicht binär einordnen lassen möchten, hat der Gesetzgeber das sogenannte „dritte Geschlecht“ im Personenstand geschaffen. Der Regelungsgegenstand des Personenstandsrechts ist allein auf die registerrechtlichen Aspekte beschränkt.