LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5916 26.04.2019 Datum des Originals: 26.04.2019/Ausgegeben: 02.05.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2267 vom 9. April 2019 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/5715 Wie wird das Kupieren von Schnäbeln in der Geflügelhaltung in NRW praktiziert? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Geflügelhaltung soll das Kürzen der Schnabelspitze verhindern, dass die Tiere aus Stress und Langeweile andere Tiere durch Picken verletzen. Um das erneute Wachstum zu verhindern, wird bei der Amputation nicht nur durch das Horn des Schnabels gearbeitet, sondern auch durch den Knochen. Dies stellt eine äußerst schmerzhafte Prozedur für die Tiere dar. Abgesehen von den Schmerzen beim Schnabelkupieren selbst, leiden die Tiere anschließend häufig an chronischen Schmerzen und haben Probleme bei der Gefiederpflege. Im Juli 2015 verpflichtete sich der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft in einer freiwilligen Vereinbarung zum Verzicht auf das Schnabelkürzen in Deutschland. Auf die Schaffung einer einheitlichen rechtlichen Regelung im Tierschutzgesetz jedoch verzichtet die Bundesregierung bislang, auch wenn bereits einige Bundesländer, wie beispielsweise Niedersachsen, ein grundsätzliches Verbot fürs Schnabelkürzen geschaffen haben. Die Kontrolle der Einhaltung tierschutzrechtlicher Vorschriften einschließlich der Erteilung der Erlaubnis zum Kürzen der Schnabelspitze nach § 6 Absatz 3 Nummer 1 und 2 des Tierschutzgesetzes obliegt den zuständigen Behörden der Länder. Für die Amputation der Schnäbel bei Puten ist derzeit kein zugelassenes Schmerzmittel auf dem Markt erhältlich. Lediglich der Wirkstoff Natrium-Salizylat – ähnlich Aspirin – ist als Schmerzmittel für die Anwendung bei Puten zugelassen, für die Amputation jedoch völlig ungeeignet. Sofern weiterhin Betriebe von der Schnabelkürzung Gebrauch machen, müsste ein neuer Wirkstoff untersucht und zugelassen werden, was erfahrungsgemäß einen erheblichen Zeitraum einnehmen würde. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5916 2 Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2267 mit Schreiben vom 26. April 2019 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Das Vermeiden von zootechnischen Eingriffen bei landwirtschaftlichen Nutztieren stellt einen wichtigen tierschutzpolitischen Schwerpunkt der Landesregierung dar. So konnte in diversen Projekten im Wege einer Auftragsforschung durch das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz gezeigt werden, dass die Ursachen für das gegenseitige Bepicken beim Geflügel nicht nur in Langeweile und Haltungsstress liegen, sondern auch der Magen-Darm-Gesundheit bei diesem Geschehen eine entscheidende Bedeutung zukommt. Nachdem es gelungen war, zunächst bei der Legehenne die hierfür verantwortlichen Einflussgrößen zu identifizieren und Abhilfemaßnahmen aufzuzeigen, werden seit 2017 in Nordrhein-Westfalen bei Legehennen keine Schnäbel mehr kupiert. Gleichzeitig wirkt sich die bessere Darmstabilität auch positiv auf den Befiederungszustand der Tiere aus. Bei Mastputen dagegen ist die Sachlage anders; eine Übertragung der Erkenntnisse bei Legehennen auf die Tierart Pute ist insofern nur begrenzt möglich. Hierzu hat das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz am 11. Dezember 2018 eine Fachveranstaltung mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Behörden und Verbänden durchgeführt, um die bisher vorliegende Erkenntnislage zu beraten, die vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz bis dahin veranlassten Untersuchungen zu bewerten und die noch offenen Fragestellungen zu diskutieren. Auch wenn es in einer Untersuchung im Rahmen der Auftragsprojekte des Fachministeriums unter Feldbedingungen inzwischen gelungen ist, Mastputen mit ungekürzten Schnäbeln zu halten, wurde von den Teilnehmern übereinstimmend eingeschätzt, dass es zur Absicherung noch ergänzender Untersuchungen bedarf. Bei summarischer Betrachtung sei es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu früh, auf das Schnabelkürzen bei Puten-Eintagsküken verantwortbar in der Fläche verzichten zu können. In dieser Frage stellen die weiteren Aktivitäten des Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz konzeptionell darauf ab, bei reduzierter Besatzdichte durch Anpassungen in der Futterration die Darmstabilität zu verbessern und die Relevanz bestimmter Einflussgrößen wie etwa von Außenklimareizen oder das gezielte Herbeiführen von Ruhepausen durch Änderungen im Lichtregime zu prüfen. Bereits jetzt kann jedoch schon als Empfehlung festgestellt werden, dass bei Puten nur dann auf Schnabelkürzen verzichtet werden sollte, wenn gleichzeitig in der Aufzuchtphase ausreichend Möglichkeiten des natürlichen Abriebs gegeben sind (sog. „Blunting“); denn das Wachstum des Putenschnabels ist natürlicherweise auf einen Abrieb bei der Futtersuche ausgerichtet. Wird Puten bei unbehandelten Schnäbeln die Möglichkeit des natürlichen Abriebs nicht angeboten, kommt es zu einem überlangen Wachstum der Oberschnäbel mit der Folge, dass diese spontan spleißen und abbrechen können mit entsprechenden Schmerzen und Belastungen für die Tiere. Außerdem stellen die dann überlangen, teils messerscharfen Schnäbel eine nicht zu unterschätzende Verletzungsgefahr für das betreuende Personal dar. Insofern sollten weitere Untersuchungen zum Verzicht auf das Kürzen von Oberschnäbeln bei Puten möglichst mit praxistauglichen Maßnahmen für einen natürlichen Schnabelabrieb verbunden werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5916 3 1. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung bezüglich illegaler betäubungslos durchgeführter Schnabelamputationen vor? 2. Wie viele Betriebe in NRW haben derzeit eine gültige Ausnahmegenehmigung nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 TierSchG? Bitte auflisten nach Tierart (Puten, Hühnern, (Moschus-) Enten, Gänsen) und Landkreisen. In Nordrhein-Westfalen gibt es eine Putenbrüterei; diese hat eine befristete veterinärbehördliche Genehmigung für das Kürzen von Oberschnäbeln bei Eintagsküken. Für Eintagsküken von Legehennen werden keine entsprechenden Ausnahmegenehmigungen erteilt; hier wird seit 2017 auf das Schnabelkürzen verzichtet. Für andere Geflügelarten ([Moschus-] Enten, Gänse) gibt es in Nordrhein-Westfalen keine Brüterei. 3. Welche Betäubungsmittel sind nach Kenntnis der Landesregierung für die Indikation bei einer Schnabelteilamputation von Geflügel zugelassen? Bitte Betäubungsmittel und Analgetika angeben für Puten, Hühner, (Moschus-) Enten, Gänse benennen. In Deutschland sind drei Tierarzneimittel (Avicylat, Cylabel und Solacyl) mit dem Wirkstoff Natriumsalicylat für den Einsatz bei Puten zugelassen. Der Wirkstoff gehört zur Stoffgruppe der nicht-steroidalen Antiphlogistika, die einen allenfalls schmerzlindernden Effekt haben. Lediglich das Tierarzneimittel Avicylat ist noch für die Anwendung bei Puten derzeit im Handel in Deutschland verfügbar. Die Arzneimittel Cylabel und Solacyl stehen derzeit nicht für den Einsatz bei Puten oder anderen Geflügel zur Verfügung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass derzeit ausschließlich der nicht-steroidale antiphlogistische Wirkstoff Natriumsalicylat und nur in Form des Arzneimittels Avicylat für die Anwendung bei Puten bei Entzündung der oberen Atemwege zugelassen und auch im Handel erhältlich ist. Es gibt, basierend auf der Recherche in den führenden Datenbanken AMIS (Stand: 16.04.2019) und Vetidata (Stand 11.04.2019), keine weiteren Stoffe aus der in Frage 3 der Kleinen Anfrage abgefragten Stoffgruppen, die für die anderen in Frage kommenden Tierarten beim Schnabelkürzen zugelassen sind. Damit ist die Auswahl für die Anwendung bei Puten auf ein Arzneimittel beschränkt; für alle anderen in Rede stehenden Tierarten steht kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung. 4. Welche zugelassenen Betäubungsmittel bzw. Analgetika kommen nach Kenntnis der Landesregierung während der Schnabelteilamputation von Geflügel im Einzelfall, nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 TierSchG gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 TierSchG zum Einsatz? Bitte angeben für Puten, Hühner, (Moschus-) Enten, Gänse. Nach einem Bericht des LANUV, dem eine Abfrage bei den Kreisordnungsbehörden zugrunde liegt, ist diesen derzeit kein Einsatz von zugelassenen Betäubungsmitteln oder Analgetika für den oben beschriebenen Zweck bekannt. 5. In Niedersachsen ist das Schnabelkürzen bei Legehennen seit dem 1. Januar 2017 verboten. Wie viele Betriebe in Niedersachsen haben derzeit eine gültige Ausnahmegenehmigung nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 TierSchG? Bitte vergleichend mit Blick auf die letzten 5 Jahre nach Tierart auflisten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5916 4 Bei der Beantwortung wird davon ausgegangen, dass sich die Frage nicht auf das Land Niedersachsen, sondern auf Nordrhein-Westfalen bezieht. Für Eintagsküken von Legehennen wird seit 2017 keine Ausnahmegenehmigung für das Schnabelkürzen mehr erteilt. Die bis dahin übliche Praxis wurde zu diesem Zeitpunkt eingestellt. In Nordrhein-Westfalen gibt es neben Brütereien für Legehennen noch eine Brüterei für Putenküken. Dieser Brüterei liegt eine gültige Ausnahmegenehmigung vor.