LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5917 26.04.2019 Datum des Originals: 25.04.2019/Ausgegeben: 02.05.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2189 vom 22. März 2019 der Abgeordneten Heike Gebhard und Sebastian Watermeier SPD Drucksache 17/5528 Wie bewertet die Landesregierung die wirtschaftliche Bedeutung des Steinkohlekraftwerkstandortes Gelsenkirchen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit dem Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (umgangssprachliche „Kohlekommission“) sind auch weitergehende Fragen zur Zukunft der Steinkohlekraftwerksstandorte aufgetreten. Mit dem Abbau von Kraftwerkskapazitäten soll die Steinkohleverstromung einen vergleichbaren Anteil zum Ausstieg aus der Kohleverstromung leisten wie die öffentlich stärker beachtete Braunkohleverstromung. Im Unterschied zur Situation der Braunkohlestandorte (insbesondere auch der Förderreviere) wird die Situation der Steinkohlekraftwerksstandorte im Abschlussbericht aber nur sehr zurückhaltend thematisiert. Insbesondere finden sich (abgesehen von der Perspektive auf den teilweisen Ersatz durch Gaskraftwerke am gleichen Standort) keine Vorschläge für konkrete Strukturwandelmaßnahmen an den Standorten. Ebenso bleibt die finanzielle Ausstattung für etwaige Strukturhilfen an den Steinkohlestandorten unklar. Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Bodo Löttgen sprach in diesem Zusammenhang in der Plenardebatte am 20.2.2019 von noch zu verteilenden Sondermitteln, die in keiner Konkurrenz zu den für die Braunkohlestandorten vorgesehenen Mitteln stünden. Diese Position findet sich auch in Entschließungsantrag von CDU und FDP (17/5179). Hier heißt es wörtlich: “(…) Standorte von Steinkohlekraftwerken erhalten bei besonderer Betroffenheit eigene, von den Mitteln für Braunkohlereviere unabhängige, Strukturmittel (…).“ Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 2189 mit Schreiben vom 25. April 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5917 2 1. Welche über die Energiegewinnung hinausgehenden verbundwirtschaftlichen Beziehungen bestehen am Steinkohlekraftwerksstandort Gelsenkirchen (Nutzung von Druck und Dampf an Industriestandorten, Fernwärme, Weiternutzung von Nebenprodukten)? Das Kraftwerk Scholven und das wärmegeführte Fernwärmekraftwerk Buer des Energieunternehmens Uniper leisten einen hohen Beitrag zur Versorgungssicherheit im deutschen und europäischen Stromverbund. Das Kraftwerk Scholven hat sich zudem zu einem Verbundstandort für Industrieunternehmen im nördlichen Ruhrgebiet entwickelt. Aus dem Standort heraus werden Industriekunden wie BP oder Ineos direkt mit Strom, Prozessdampf, entmineralisiertem Wasser und Druckluft beliefert. Diese Industrieunternehmen beliefern wiederum weitere Industrieunternehmen in der Region und darüber hinaus. Umgekehrt bezieht das Kraftwerk Scholven von umliegenden Industrieunternehmen Einsatzstoffe wie Kondensat, Ammoniak oder Kalksteinmehl. 2. Finden alle diese Nutzungen begrenzt auf die Stadt Gelsenkirchen statt? Das Kraftwerk Scholven beliefert große Industrieunternehmen in der Region Gelsenkirchen / Gladbeck mit Dampf. Es leistet außerdem einen wesentlichen Beitrag zur Fernwärmeversorgung im Ruhrgebiet. Fernwärme wird aus dem Steinkohlekraftwerk im Wesentlichen an Fernwärmekunden in den Städten Gladbeck, Gelsenkirchen, Hassel, Herten und Recklinghausen geliefert. Zudem beliefert das Kraftwerk das Unternehmen Baumineral, das deutschlandweit Produkte für den Beton- und Zementbau produziert, mit Kesselsand, Flugasche, Strom und Druckluft. Die Firma Rigips wird mit REA-Gips beliefert, um damit Gipsprodukte für den deutschen Markt herzustellen. 3. Wie beurteilt die Landesregierung vor diesem Hintergrund die im Kommissionsbericht enthaltene Empfehlung, Strukturhilfen für Steinkohlestandorte von einem Anteil von 0,9 Prozent der regionalen Wertschöpfung abhängig zu machen? Die Landesregierung begrüßt den Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ nicht zuletzt auch deshalb, weil die Kommission die Forderung der Landesregierung aufgegriffen hat, dass auch die von einem schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung betroffenen Steinkohlekraftwerksstandorte ebenfalls Strukturhilfen erhalten sollen. Die Kommission empfiehlt, Strukturhilfen zu leisten, wenn der Anteil der Steinkohlewirtschaft an der regionalen Wertschöpfung von erheblicher Relevanz ist. Aktuell berät die Bundesregierung darüber, ab welchem Anteil der Steinkohlewirtschaft an der regionalen Wertschöpfung diese von erheblicher Relevanz ist. Der entsprechende Wert soll in dem zu verabschiedenden Strukturstärkungsgesetz der Bundesregierung verbindlich aufgenommen werden. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ hat als Orientierungsmaßstab einen Anteil von 0,9% genannt. Hintergrund dieser Empfehlung ist, dass das Mitteldeutsche Braunkohlenrevier mit 0,9% den geringsten Anteil der Braunkohlewirtschaft an der regionalen Wertschöpfung der betroffenen Braunkohlereviere aufweist. Ziel der Landesregierung bei den Verhandlungen in Berlin ist, dass möglichst viele Steinkohlekraftwerksstandorte in Nordrhein-Westfalen von den Strukturhilfen des Bundes profitieren können, wenn sie von dem Ausstieg aus der Kohleverstromung betroffen sind. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5917 3 4. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu am Standort Gelsenkirchen geplanten Maßnahmen der Folgenutzung des Steinkohlekraftwerksstandortes vor, insbesondere mit Blick auf die von Minister Prof Dr. Pinkwart öffentlich in Aussicht gestellte Umrüstung auf den Energieträger Gas? Welche Steinkohlekraftwerke aufgrund der Empfehlungen der WSB-Kommission zu welchem Zeitpunkt vom Ausstieg aus der Kohleverstromung betroffen sein und vollständig stillgelegt werden oder auf den Energieträger Gas umgerüstet werden, ist derzeit nicht absehbar. Dies ist eine unternehmerische Entscheidung, die auf Grundlage der von der Bundesregierung mit den Kraftwerksbetreibern zu führenden Verhandlungen aufsetzt. Unabhängig von den Empfehlungen der WSB-Kommission plant das Energieunternehmen Uniper bis Ende 2022 die traditionelle Stromproduktion aus Steinkohle durch eine Gasturbinen-KWK-Anlage zu ergänzen und danach voll umfänglich zu ersetzen. Die am Standort Scholven von Uniper erzeugten Produkte wie Strom, Wärme, Dampf sowie ggf. vollentsalztes Wasser und Druckluft können auch weiterhin von Industrieunternehmen in der Region bezogen werden. Hinzu kommt die Sicherstellung der Wärmeversorgung im Ruhrgebiet mit Fernwärme. 5. In welcher Dimension bewegen sich die von Herrn Löttgen erwähnten Sondermittel nach Wissensstand der Landesregierung und nach welchem Verteilschlüssel würde der Standort Gelsenkirchen davon profitieren? Im Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ heißt es, dass für die Strukturhilfen an betroffenen Steinkohlestandorten „zusätzliche Mittel“ bereitgestellt werden sollen. Sowohl die Höhe der Sondermittel für die Steinkohlekraftwerksstandorte als auch deren Verteilschlüssel sind Gegenstand der derzeitigen Beratungen der Bundesregierung. Die Landesregierung setzt sich für ein angemessenes Budget und einen fairen Verteilschlüssel ein.