LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5935 29.04.2019 Datum des Originals: 29.04.2019/Ausgegeben: 03.05.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2218 vom 26. März 2019 der Abgeordneten Alexander Langguth, Frank Neppe und Marcus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/5578 Kosten der schleppenden Energiewende für Wirtschaft und Bevölkerung – Droht in NRW ein Blackout? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die politisch forcierte Energiewende in Deutschland kommt derzeit nur schleppend voran. Insbesondere der Ausbau der notwendigen Stromtrassen liegt weit hinter den ursprünglichen Planungen zurück, dies ist unter anderem auf zahlreiche Rechtsverfahren von Betroffenen sowie unzureichende Planung zurückzuführen. Gleichzeitig wird Deutschland voraussichtlich bis 2038 vollständig aus der Kohleverstromung aussteigen, der Ausstieg aus der Kernenergie ist bereits für das Jahr 2022 geplant. Zwar sind regenerative Energien zu bestimmten Zeiten schon heute in der Lage, nahezu vollständig den Strombedarf zu decken und damit von deutscher Seite die Stabilität des europäischen Verbundnetzwerkes zu gewährleisten, während Dunkelflauten ist das Stromnetz jedoch zur Grundlastsicherung zwingend auf andere Energiequellen angewiesen. Hierdurch werden regelmäßig Redispatch- und Einspeisemanagement-Maßnahmen notwendig. Die Kosten für Netzstabilsierungsmaßnahmen sind laut Bundesnetzagentur im Jahr 2017 bereits auf 1,4 Mrd. Euro gestiegen (von 880 Mio. Euro im Jahr 2016 und 1,1 Mrd. Euro im Jahr 2015), diese Kosten werden letztlich auf die Netzentgelte umgelegt.1 Hinzu kommen erhebliche Umsatzeinbußen und Produktionsausfälle bei den von Stromabschaltungen betroffenen Unternehmen. So beklagte unlängst die in Neuss ansässige Hydro Aluminium, dass zwar ein Entgelt für Abschaltungen gezahlt werde, welche im Übrigen nur 15 Minuten vorher 1 https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/20180618_Net zSystemSicherheit.html (abgerufen am 21.03.2019) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5935 2 angekündigt werden, diese jedoch nicht ansatzweise den tatsächlichen Schaden, z.B. durch die Verletzung von Lieferverpflichtungen, decken.2 Mit Blick auf die Stabilität des europäischen Verbundnetzes stellt die steigende Zahl von Netzstabilisierungsmaßnahmen ein zunehmendes Risiko dar. Sinkt oder steigt die Frequenz im Verbundnetzwerk deutlich unter bzw. über 50-Hertz und kann diese Schwankung nicht durch entsprechende Maßnahmen reguliert werden, drohen flächendeckende Blackouts. In einem solchen Fall werden kaltstartfähige Kraftwerke benötigt, um die Stromversorgung wieder schrittweise aufzubauen; regenerative Energien können dies nicht leisten. Zwar können Smart-Grids und Energiespeicherlösungen das Risiko eines Blackouts senken, jedoch ist die Entwicklung, gerade von Speicherlösungen, derzeit noch nicht in einem Umfang gegeben, um das Risiko signifikant zu reduzieren. Der Einsatz von großen Batterie-Speicherkraftwerken ist als Baustein zur Sicherung der Netzstabilität zwar ein guter Ansatz, jedoch derzeit untauglich für den flächendeckenden Einsatz. Auch sind die ökologischen Auswirkungen sowie die Arbeitsbedingungen bei der Gewinnung der benötigten Rohstoffe mehr als nur bedenklich. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 2218 mit Schreiben vom 29. April 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. 1. Ist der Landesregierung bekannt, wie häufig in den Jahren 2018 und 2019 (1. Quartal) in NRW Redispatch- und Einspeisemanagement-Maßnahmen durchgeführt wurden und für welche Zeiträume Verbraucher bzw. Erzeuger vom Netz genommen wurden? Bitte chronologisch nach Maßnahmen, Dauer und Umfang aufschlüsseln. Redispatch und Einspeisemanagement zählen zu den Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen und sind in §13 des Energiewirtschaftsgesetzes geregelt. Die Bundesnetzagentur veröffentlicht jedes Jahr Quartalsberichte zu diesen Maßnahmen. Darüber hinaus werden die Daten im Jahresbericht der Bundesnetzagentur – dem Monitoringbericht – zusammengefasst. Für das Jahr 2018 sind bisher die Berichte für die Quartale eins bis drei fertiggestellt. Der Monitoringbericht für 2018 wurde noch nicht veröffentlicht. Die Datenlagen zu den Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen in den genannten Berichten sind jeweils aggregiert dargestellt, so dass eine chronologische Aufschlüsselung nach Maßnahmen, Dauer und Umfang – wie angefragt – nicht möglich ist. Angaben hinsichtlich der Redispatchmaßnahmen in Deutschland werden innerhalb der Berichterstattung der Bundesnetzagentur unterteilt nach den Regelzonen der vier Übertragungsnetzbetreiber dargestellt. Eine länderscharfe Aufschlüsselung der Daten gibt es nicht. Da Nordrhein-Westfalen annähernd gänzlich in der Regelzone der Amprion GmbH liegt, werden nachfolgend mit Blick auf Angaben zum Redispatch die Zahlen für die Regelzone der Amprion GmbH verwendet, was somit eher eine konservative Überschätzung des Redispatchbedarfs in Nordrhein-Westfalen darstellt. Demnach wurden innerhalb der Quartale eins bis drei im Jahr 2018 in der Regelzone der Amprion GmbH sog. Redispatch- Einzelüberlastungsmaßnahmen in Höhe von 801 GWh vorgenommen (Deutschland 8.516 2 https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/lichtblicke-kolumnen/deutschland-fast-ohne-strom/ (abgerufen am 21.03.2019) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5935 3 GWh). Die Maßnahmen im Rahmen des Einspeisemanagements (Ausfallarbeit) in Nordrhein- Westfalen beliefen sich im selben Zeitraum auf 160,7 GWh (Deutschland 3.639 GWh). Eine Abschaltung von Verbrauchern (Lasten) im elektrischen Versorgungsnetz Deutschlands kann nach §13 Energiewirtschaftsgesetz im Rahmen der Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen (z. B. zur Gewährleistung der Systemstabilität) oder durch Regelungen im Zusammenhang mit der „Verordnung zu abschaltbaren Lasten“ erfolgen. Sowohl für die Maßnahmen nach §13 Energiewirtschaftsgesetz als auch für die Vereinbarungen nach der Verordnung zu abschaltbaren Lasten gibt es keine länderscharfe Datenerhebung. 2. Wie hoch waren im vorgenannten Zeitraum die Kosten für Redispatch- und Einspeisemanagement-Maßnahmen sowie die Schäden und Entschädigungen für betroffene Unternehmen in NRW? Die vorläufige Kostenschätzung der Übertragungsnetzbetreiber für Redispatchmaßnahmen mit Marktkraftwerken in der Regelzone der Amprion GmbH beträgt für die Quartale eins bis drei des Jahres 2018 19,1 Mio. Euro (Deutschland 226 Mio. Euro). Die geschätzten Entschädigungsansprüche hinsichtlich der Maßnahmen im Einspeisemanagement in Nordrhein-Westfalen für die Quartale eins bis drei im Jahr 2018 belaufen sich auf 11,32 Mio. Euro (Deutschland 408,2 Mio. Euro). Eine Aufstellung über die Vergütungen hinsichtlich der Vereinbarungen nach der Verordnung zu abschaltbaren Lasten liegt der Landesregierung ebenso wenig vor wie ein Gesamtüberblick über finanzielle Schäden von Unternehmen, die durch Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen oder Versorgungsstörungen etwaig betroffen waren. 3. Sieht die Landesregierung, mit Blick auf den Kernenergie- und Kohleausstieg, NRW ausreichend gerüstet, um die Grundlast in Zeiten von Dunkelflauten sicherzustellen? Innerhalb des Energiewirtschaftsgesetzes sind verschiedene Mechanismen zur Vorhaltung von Leistungsreserven für solche Fälle verankert, bei denen Angebot und Nachfrage nach Strom nicht ausgeglichen werden können. Zu diesen Mechanismen zählen insbesondere die Netzreserve (§13d EnWG), die Kapazitätsreserve (§13e EnWG), die Sicherheitsbereitschaft von Braunkohlekraftwerken (§13g EnWG) und Netzstabilitätsanlagen (§11 Abs. 3 EnWG). Darüber hinaus werden für Kraftwerke, die bei den Übertragungsnetzbetreibern und der Bundesnetzagentur gemäß EnWG §13b zur Stilllegung angemeldet werden, Analysen zur Systemverträglichkeit der geplanten Stilllegung bei den Übertragungsnetzbetreibern durchgeführt. Eine auf dieser Basis von der Bundesnetzagentur zu genehmigende Ausweisung des stillzulegenden Kraftwerks als systemrelevant seitens der Übertragungsnetzbetreiber führt dazu, dass ein Weiterbetrieb des betreffenden Kraftwerks von bis zu 24 Monaten erfolgen kann. Vor dem Hintergrund der von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ in ihrem Abschlussbericht Ende Januar 2019 empfohlenen schrittweisen Reduktion der Kohleverstromung in Deutschland und deren Beendigung spätestens 2038 sowie des bereits vereinbarten Ausstiegs aus der Kernenergienutzung bis Ende 2022 hat die Landesregierung mit darauf hingewirkt, dass im o. g. Abschlussbericht u. a. folgende Empfehlungen verankert wurden: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5935 4 Weiterentwicklung des Versorgungssicherheits-Monitorings der Bundesregierung zu einem risikoorientierten Stresstest Einführung von Revisionsklauseln in den Jahren 2023, 2026, 2029 und 2032 zur umfassenden Überprüfung des Kohleausstiegspfades, der hierfür notwendigen Voraussetzungen und der damit verbundenen Auswirkungen Prüfung eines systematischen Investitionsrahmens, sofern sich bis 2023 keine ausreichenden neuen Kraftwerkskapazitäten im Bau befinden 4. Ist das Land NRW ausreichend auf einen möglichen flächendeckenden Blackout vorbereitet, um Sicherheit und Grundversorgung aufrechtzuerhalten? Bitte Maßnahmen benennen. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Grundversorgung im Land Nordrhein- Westfalen wird durch das flächendeckende, Ebenen übergreifende Krisenmanagement in der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr schadens- und ursachenunabhängig sowie durch aufbauund ablauforganisatorische Vorkehrungen im polizeilichen Bereich sichergestellt. Im Bereich des Katastrophenschutzes bestehen in Nordrhein-Westfalen besondere Verpflichtungen. So sind die Kreise und kreisfreien Städte nach § 4 Absatz 3 des Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) verpflichtet, Katastrophenschutzpläne aufzustellen und fortzuschreiben. Im Rahmen der Aufstellung der Katastrophenschutzpläne sind alle Szenarien – und damit auch ein großflächiger Stromausfall – unter Einbeziehung der als kritisch eingestuften Infrastrukturen zu betrachten und entsprechende Schutzmaßnahmen vorzuplanen. Die Katastrophenschutzbehörden in Nordrhein-Westfalen sind insoweit auf einen möglichen Blackout vorbereitet. Die örtlichen Vorkehrungen werden ergänzt durch die Landeskonzepte zur überörtlichen Hilfe und über das o.a. Krisenmanagement der flächendeckenden Krisenstabsstrukturen koordiniert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Sicherung der Versorgung der Bevölkerung im Ereignisfall – insbesondere mit zunehmender Dauer eines Blackouts – hinsichtlich Schutzumfang und Schutzniveau nur an der Aufrechterhaltung des staatlichen Gemeinwesens insgesamt ausrichten kann. Jede im Rahmen des Selbstschutzes gelebte Eigenvorsorge von Bürgerinnen und Bürgern stellt einen wichtigen ergänzenden Baustein neben der staatlichen Gefahrenvorsorge und Gefahrenabwehr dar. 5. Ist der Landesregierung mit Blick auf einen möglichen Blackout bekannt, wie viele kaltstartfähige Kraftwerke derzeit und nach aktuellem Planungsstand im Laufe der nächsten 20 Jahre zur Verfügung stehen? Die sogenannte Schwarzstartfähigkeit von Erzeugungseinheiten ist eine Systemdienstleistung, die Betreiber von Erzeugungseinheiten anbieten können. Die Schwarzstartfähigkeit zum Versorgungswiederaufbau im elektrischen Energieversorgungssystem wird meist von Pumpspeicherwerken und Gaskraftwerken bereitgestellt. Darüber hinaus ist der Bau eines Wärmespeichers mit Schwarzstartfähigkeit im Rheinischen Revier geplant.