LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5952 30.04.2019 Datum des Originals: 30.04.2019/Ausgegeben: 06.05.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2220 vom 26. März 2019 der Abgeordneten Alexander Langguth und Marcus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/5581 Vereinfacht das Listenverfahren die Besetzung von Lehrerstellen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert angesichts des gravierenden landesweiten Lehrermangels, das Einstellungsverfahren für Lehrer zu ändern.1 Konkret schlägt die GEW-Landesvorsitzende Nordrhein-Westfalens vor, das „schulscharfe“ Einstellungsverfahren für Grundschulen für drei Jahre zugunsten eines landesweiten Listenverfahrens auszusetzen. Demnach sollten Lehrer künftig wie Polizisten gezielt über das Land verteilt werden können, um insbesondere den Lehrermangel an Brennpunktschulen in den Griff zu bekommen. Derzeit läuft die Lehrerbewerbung zweistufig: Zunächst genau auf die jeweiligen Stellenangebote, die Schulen ausschreiben. Anschließend wird das übrige Kontingent an freien Stellen über eine Liste verteilt. Da es jedoch zu wenige Bewerber gibt, können diese sich zurzeit ihre Stellen aussuchen. Das NRW-Schulministerium weist den Vorstoß der GEW zurück. Eine Rückkehr zu einem Verfahren, in dem Einstellungsangebote über Listen vergeben werden, sei nicht vertretbar. Nach Aussage des NRW-Staatssekretärs im Schulministerium nutze das Land stattdessen verstärkt den sogenannten Sozialindex, um Stellen in Schulen zu schaffen, die aufgrund ihrer sozialen Lage benachteiligt seien. Der Verband für Bildung und Erziehung (VBE) schlägt dagegen eine Erhöhung der Studienkapazitäten sowie Lohngerechtigkeit unter den Lehrern vor.1 Der Landesvorsitzende des VBE NRW sagt dazu, es sei kein Zufall, dass der Personalmangel besonders spürbar an genau den Schulformen sei, die eine deutlich geringere Einstiegsbesoldung böten.2 Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 2220 mit Schreiben vom 30. April 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5952 2 dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Lehrkräftemangel ist kein nordrhein-westfälisches, sondern ein bundesweites Phänomen. Die Bundesländer sind daher bestrebt, Lehrkräften attraktive Angebote einer Beschäftigung zu bieten. Nordrhein-Westfalen bietet über eine Kombination aus Listenverfahren und Ausschreibungsverfahren den Schulen die Möglichkeit, Lehrkräfte zu gewinnen und den Lehrkräften die Möglichkeit der Bewerbung auf eine Stelle in Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen bietet Lehrkräften unmittelbar nach Abschluss ihres Vorbereitungsdienstes, jeweils mit Ablauf des 30.4 und 31.10. des Jahres, eine nahtlose Anschlussbeschäftigung an. Es wird alles versucht, die in Nordrhein-Westfalen ausgebildeten Lehrkräfte auch in Nordrhein-Westfalen zu halten. Anders als in den Vorbemerkungen der Kleinen Anfrage beschrieben, wird weit vor den Einstellungsterminen und jeweils vor der Veröffentlichung von Ausschreibungen ein vorgezogenes Listenverfahren durchgeführt, um insbesondere schwerer zu versorgende Regionen und Schulen vorrangig mit Lehrkräften zu bedienen. Das vorgezogene Listenverfahren bietet den Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern schon vor Abschluss ihres Vorbereitungsdienstes die Sicherheit einer Anschlussbeschäftigung - unter der Voraussetzung des Bestehens der Prüfung. Erst nach dem vorgezogenen Listenverfahren veröffentlichen die Schulen ihre Stellenausschreibungen. Auf diese Ausschreibungen können sich die noch verbliebenen ausgebildeten Lehrkräfte aus Nordrhein-Westfalen und aus anderen Bundesländern bewerben. Soweit die Schulen dies wünschen, können sie mit ihrer Ausschreibung auch Lehrkräfte mit einer anderen Lehramtsbefähigung (z.B. für Gymnasien und Gesamtschulen an Grundschulen) oder auch Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger ohne lehramtsbezogenen Hochschulabschluss ansprechen. Auch nach den Ausschreibungsverfahren werden weitere Listenverfahren durchgeführt, um Lehrkräfte, die bisher noch kein Einstellungsangebot erhalten haben, oder Lehrkräfte aus anderen Bundesländern, die nicht rechtzeitig zum Auswahlverfahren ihre Unterlagen nachreichen konnten, zu gewinnen. Im Jahr 2018 wurden bei 8.180 Einstellungen 1.507 Lehrkräfte über Listenverfahren eingestellt, das sind ca. 18,4 % aller Einstellungen. 1. Wie hoch ist die soziale Belastung der einzelnen Kreise und kreisfreien Städte nach dem Sozialindex? Der Kreissozialindex misst die soziale Belastung von Kreisen und kreisfreien Städten und basiert auf den soziodemografischen Merkmalen Arbeitslosenquote, Sozialhilfequote, Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sowie Anteil der Wohnungen in Einfamilienhäusern. Diese Merkmale werden in einem statistischen Verfahren (Faktorenanalyse) zu einer Skala zusammengefasst und so transformiert, dass der am wenigsten belastete Kreis / die am wenigsten belastete kreisfreie Stadt den Indexwert 0 und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5952 3 der am stärksten belastete Kreis / die am stärksten belastete kreisfreie Stadt den Indexwert 100 erhält. Die aktuellen Kreissozialindexwerte sind im Bildungsportal unter der URL https://www.schulministerium.nrw.de/docs/bp/Ministerium/Service/Schulstatistik/Kreissozialin dex/Kreissozialindexwerte.pdf veröffentlicht. 2. Mit welchen Gründen wird der Vorschlag der GEW bezüglich eines landesweiten Listenverfahrens zurückgewiesen? Die Annahme, dass eine Beschränkung im Einstellungsverfahren auf das Listenverfahren Lehrkräfte zwingen würde, ein Einstellungsangebot anzunehmen, das nicht ihren Wünschen entspricht, ist unrealistisch. Es führt dazu, dass Lehrkräfte sich nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten umsehen und auch ggfs. Angebote anderer Bundesländer annehmen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Lehrkräfte häufig warten, bis sie ein Angebot an ihrer Wunschschule erhalten. Für den Einstellungstermin 1.5.2019 konnten bereits 670 Lehrkräfte über das vorgezogene Listenverfahren gewonnen werden. Für ca. 2.000 ausgeschriebene Stellen haben ab dem 10. April 2019 Auswahlgespräche an den Schulen stattgefunden. Gegenüber dem Einstellungstermin 1.2.2019 wird sich die Besetzungsquote im Einstellungsverfahren zum 1.5.2019 deutlich verbessern. Ein Verzicht auf das Ausschreibungsverfahren zu Gunsten des Listenverfahrens würde zudem bedeuten, auf den Personenkreis der Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger zu verzichten. Diese können nicht über das Listenverfahren den Schulen zugewiesen werden, da Schulen im Rahmen der Ausschreibung das Profil für den Seiteneinstieg festlegen und im Rahmen des Auswahlgesprächs eine Bestenauslese treffen müssen. Da in NRW im Jahr 2016 knapp 7%, im Jahr 2017 11,1% und 2018 knapp 14% der Lehrkräfte über den Seiteneinstieg eingestellt und qualifiziert wurden, sind Ausschreibungsverfahren für die Lehrkräfteversorgung unverzichtbar. 3. Was verspricht sich die Landesregierung vor dem Hintergrund eines allgemeinen Lehrermangels von der Schaffung zusätzlicher Stellen mittels Sozialindexes? Die Berücksichtigung eines Sozialindexes bei der Verteilung von Lehrerstellen kann dazu beitragen, Chancenunterschiede im Bildungswesen, die aus einer sozialen Benachteiligung resultieren, zu verringern. Aus diesem Grund hat die Landesregierung die Verteilung von Stellen über den Kreissozialindex in den letzten beiden Jahren stark ausgeweitet. Ab dem Schuljahr 2019/20 werden voraussichtlich insgesamt 4.510 Stellen unter Berücksichtigung eines Kreissozialindexes zugewiesen, und zwar 1.260 Stellen gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungs- und besondere Förderaufgaben an Grundschulen und Hauptschulen, 500 Stellen für multiprofessionelle Teams, 1.750 Stellen als Förderzuschlag für die flexible Eingangsphase in der Grundschule und 1.000 sog. Integrationsstellen. Die Überlegungen der Landesregierung zu der Frage, ob künftig weitere Ressourcen unter Berücksichtigung eines Sozialindexes zugewiesen werden, sind noch nicht abgeschlossen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5952 4 4. Wie ist der Standpunkt der Landesregierung im Kontext des Lehrermangels zur Erhöhung von Studienkapazitäten und Lohngerechtigkeit (wie sie unter anderem der VBE vorschlägt)? Die Landesregierung und die Universitäten haben auf die jüngste Lehrerbedarfsprognose für das Land Nordrhein-Westfalen reagiert und die Zahl der Studienplätze in den Lehramtsstudiengängen für Grundschulen bereits deutlich erhöht. Die Erhöhung um 339 Plätze zum Studienjahr 2018/19 entspricht einer Steigerung um 18 Prozent. Darüber hinaus erfolgte ab dem WS 2018/19 ein weiterer Ausbau der Studienkapazitäten im Lehramt Sonderpädagogik. Durch das ergänzende Programm "Absicherung des Wahlrechts zwischen Inklusion und Förderschule" werden dauerhaft zusätzlich weitere 250 Bachelor- und 200 Masterstudienplätze gesichert bzw. geschaffen werden. Die Landesregierung wird die notwendigen Schritte einleiten, um die besoldungsrechtlichen Konsequenzen aus der Reform der Lehrkräfteausbildung zu ziehen.