LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/5953 30.04.2019 Datum des Originals: 30.04.2019/Ausgegeben: 06.05.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2192 vom 25. März 2019 des Abgeordneten Dr. Martin Vincentz AfD Drucksache 17/5540 Anstieg der Zahl der Drogentoten in Nordrhein-Westfalen – wie begegnet die Landesregierung dieser verhängnisvollen Entwicklung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mehreren Medienberichten zu Folge ist die Zahl der Drogentoten in Nordrhein-Westfalen 2018 stark angestiegen. Es starben 240 Menschen durch den Konsum illegaler Drogen, wie das Landeskriminalamt NRW auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Somit ergab sich ein Anstieg um 37 Todesfälle, respektive 18 %, gegenüber dem Vorjahr. Die Statistik erfasst nur den Konsum verbotener Substanzen, demgegenüber finden Todesfälle durch legale Drogen wie Zigaretten oder Alkohol keine Berücksichtigung. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2192 mit Schreiben vom 30. April 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet. 1. Worauf führt die Landesregierung den starken Anstieg an Todesfällen zurück? Die Steigerung der Anzahl von Rauschgifttoten um 37 (+18,2%) ist auf die Zunahme der Todesfälle von Langzeitkonsumenten zurückzuführen. Während im Jahr 2017 insgesamt 87 Langzeitkonsumenten verstarben, stieg die Zahl im Jahr 2018 um 63 Todesfälle auf 150. Bei den genannten Todesfällen ist ein langjähriger Rauschgiftkonsum die Ursache zum Tode führender organischer Erkrankungen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5953 2 2. Welche Maßnahmen zur Prävention und Behandlung bereits bestehender Suchterkrankungen hat die Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren initiiert? In Nordrhein-Westfalen ist in den letzten Jahrzehnten ein differenziertes Suchtpräventionsund -hilfesystem aufgebaut worden. Die komplexen Präventions- und Hilfeangebote sind vor allem darauf gerichtet, durch frühzeitige Aufklärung und Intervention eine Suchtentwicklung zu verhindern, die gesundheitliche und soziale Lage von Suchtkranken zu verbessern und die für einen nachhaltigen Ausstieg aus dem Suchtmittelkonsum notwendige soziale und berufliche Reintegration zu erleichtern. Als eine spezifische Maßnahme zur verbesserten Prävention des Konsums illegaler Drogen hat die Landesregierung die Landespräventionskampagne „Sucht hat immer eine Geschichte“ 2017 und 2018 ausgebaut. Die Landeskoordinierungsstelle Suchtvorbeugung hat beispielsweise einen „Methodenkoffer“ mit Materialien zur Cannabisprävention entwickelt. Die vom Land geförderten Methodenkoffer stehen allen Prophylaxefachkräften in Nordrhein- Westfalen zur Verfügung und können bei Präventionseinsätzen in Schulen und Freizeiteinrichtungen genutzt werden. In der Behandlung von drogenabhängigen Menschen nimmt die Substitutionsbehandlung eine besondere Rolle ein. Daher hat das Land sich in den letzten fünf Jahren aktiv in Beratungen auf Bundesebene eingebracht, um eine Reform der gesetzlichen Grundlage für die Substitutionsbehandlung zu erreichen. Mit der Neufassung der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung in 2017 wurde nicht nur die Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte bei der Substitutionsbehandlung erhöht, sondern auch die Rahmenbedingungen an die vorhandene wissenschaftliche Evidenz angepasst. Auf maßgebliche Initiative Nordrhein-Westfalens hat die Gesundheitsministerkonferenz 2018 den Bund aufgefordert, die vorgenannten Änderungen umfassend zu evaluieren. Ein entsprechender Evaluationsauftrag ist vom Bundesministerium für Gesundheit inzwischen vergeben worden. Innerhalb der letzten fünf Jahre ist zudem speziell für die Zielgruppe der von illegalen Drogen abhängigen Menschen ein Projekt zum Auf- und Ausbau der Selbsthilfeaktivitäten gefördert LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5953 3 worden. Neben der Stabilisierung von drogenabhängigen Menschen durch die Anbindung an Selbsthilfegruppen werden Schulungen zum Verhalten bei Drogennotfällen durchgeführt. Darüber hinaus zielt das Projekt auf eine Informationsverbesserung zu speziellen Gesundheitsfragen wie z.B. Hepatitis C Virus (HCV)-Behandlungen. Das Land beteiligt sich zudem seit 2017 an dem Projekt „HIV? Hepatitis? Das CHECK ich!“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit drei Standorten. Das Projekt ermöglicht einen niedrigschwelligen Zugang zu kostenlosen und anonymen Tests auf HIV und HCV für drogenabhängige Menschen. Es wird außerdem erprobt, wie die Weiterleitung positiv getesteter Personen in das medizinische Versorgungssystem gelingen kann. Durch die Änderung der Drogenkonsumraumverordnung vom 1. Dezember 2015 wurde die Nutzung der Drogenkonsumräume von substituierten drogenabhängigen Menschen zugelassen, verbunden mit der Möglichkeit einer zielgruppenspezifischen Beratung. Hierdurch wird den besonderen gesundheitlichen Risiken dieser Zielgruppe entgegengewirkt. Der Drogenkonsum unter kontrollierten Bedingungen ermöglicht ein sofortiges Eingreifen bei einem medizinischen Notfall. In den letzten Jahren sind trotz insgesamt steigender Konsumvorgänge keine Todesfälle in Drogenkonsumräumen in Nordrhein-Westfalen verzeichnet worden (Berichte zur Nutzung der Drogenkonsumräume in Nordrhein-Westfalen sind auf der Seite der Landesstelle Sucht NRW http://www.landesstellesuchtnrw .de/publikationen.html einsehbar). Die Polizei Nordrhein-Westfalen unterstützt die Aktivitäten der Suchtprävention durch Aufklärung und Information, um delinquentes Verhalten insbesondere in Form von Erwerb und Besitz illegaler Drogen zu verhindern und die Begehung von Straftaten unter Einfluss von legalen und illegalen Drogen zu verhindern bzw. zu reduzieren. Der polizeifachliche Beitrag zielt darauf ab, insbesondere Jugendliche über rechtliche Aspekte und Folgen des Konsums legaler sowie illegaler Suchtmittel aufzuklären und zu einem normgerechten Verhalten anzuhalten. In Veranstaltungen vermittelt die Polizei Nordrhein-Westfalen ihre spezifischen Erkenntnisse zur Prävention von Drogenkriminalität vorrangig an Multiplikatoren (Eltern, Lehrer, sonstige Erziehungsverantwortliche, etc.) und erhöht dadurch deren Sach- und Handlungskompetenz, insbesondere hinsichtlich des Erkennens von Drogen und Hilfsmitteln des Drogenkonsums, über rechtliche Aspekte, zur Anzeigenerstattung und Ermittlungsverfahren sowie durch die Nennung von Opfer- und Hilfeeinrichtungen. Die Internetseite des Programms Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) www.polizei-beratung.de, informiert Bürgerinnen und Bürger zu Fragen des Drogenkonsums sowie über Hilfe- und Beratungsstellen. Zudem stellt sie Informationsmedien des ProPK für Eltern und Erziehungsverantwortliche zur Verfügung. Auf der Internetseite des ProPK für Kinder und Jugendliche, www.polizeifürdich.de, hält die Polizei Nordrhein-Westfalen altersgerechte Informationen zum Thema Drogen und Sucht sowie Angaben zu Hilfe- und Beratungsstellen vor. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) ist Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft Suchtvorbeugung sowie im Landesarbeitskreis Jugendhilfe, Polizei und Schule. In beiden Landesgremien informiert das LKA NRW regelmäßig über die Lage zur Rauschgiftkriminalität und spezifische polizeiliche Präventionsansätze. Darüber hinaus führt das LKA NRW einmal jährlich für Vertreterinnen und Vertreter der Kreispolizeibehörden die Dienstbesprechung “Drogenprävention“ durch. Im Rahmen der Dienstbesprechung werden aktuelle Phänomene und Entwicklungen (z. B. gesundheitliche Risiken von E-Zigaretten und E-Shishas, neuen Konsumformen von Cannabis und der Verbreitung von Crystal Meth) sowie interdisziplinäre Präventionsansätze vorgestellt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/5953 4 3. Welche Maßnahmen zur Prävention und Behandlung bereits bestehender Suchterkrankungen, beispielsweise in Form von Hilfsangeboten, plant die Landesregierung zukünftig, um dieser verheerenden Entwicklung Einhalt zu gebieten? Die Ausgestaltung des lokalen Suchthilfesystems liegt zuvorderst in kommunaler Verantwortung (siehe hierzu auch die Antwort auf Frage 2). Des Weiteren findet landesseitig ein regelmäßiger Austausch mit den Suchthilfeeinrichtungen vor Ort statt. Insbesondere die vom Land geförderte Landesstelle Sucht NRW kann daher auf Handlungsbedarfe mittels Fortbildungsmöglichkeiten und landesweiter Vernetzung und gegenseitigem Austausch ergänzend reagieren. Zudem können vor allem Träger der Suchthilfe und Kommunen im Rahmen des „Aktionsplans gegen Sucht NRW“ Modellprojekte zur innovativen Weiterentwicklung des Suchthilfesystems vor Ort beantragen. Auf Grund der vorgenannten besonderen Bedeutung der Substitutionsbehandlung hat die Landesregierung darüber hinaus gemeinsam mit den Akteuren der ambulanten Versorgung (Ärztekammern, Kassenärztliche Vereinigungen, Apothekerkammer, Suchthilfe und Suchtselbsthilfe) 2017 eine Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung der Therapie in Nordrhein- Westfalen ins Leben gerufen. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die in Nordrhein-Westfalen eine Substitutionsbehandlung durchführen, nimmt derzeit ab. Daher widmet sich die Arbeitsgruppe zunächst dem Thema der Gewinnung neuer und junger Ärztinnen und Ärzte für die Substitutionsbehandlung. Eine entsprechende Informationsbroschüre ist in Arbeit und wird voraussichtlich im Sommer fertiggestellt werden. Die Polizei Nordrhein-Westfalen führt die in der Antwort auf Frage 2 beschriebenen Maßnahmen auch zukünftig durch. 4. Wenn man die Todesfälle, hervorgerufen durch legale Drogen, mit einbezieht, auf wie viele Todesfälle kommt man dann insgesamt in Nordrhein-Westfalen für die vergangenen fünf Jahre? Belastbare Angaben zu Todesfällen in Nordrhein-Westfalen, die ausschließlich auf den Konsum legaler Drogen wie Tabak und Alkohol zurückzuführen sind, liegen der Landesregierung nicht vor. Schätzungen für Deutschland belaufen sich auf etwa 74.000 Todesfälle im Jahr, die durch riskanten Alkoholkonsum oder durch den kombinierten Konsum von Alkohol und Tabak verursacht werden (Quelle: Jahrbuch Sucht 2018, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen - DHS). Der geschätzte Anteil für Nordrhein-Westfalen beläuft sich auf ca. 15.000 Todesfälle. An den Folgen des Rauchens starben im Jahr 2013 in Deutschland schätzungsweise 121.000 Menschen (Quelle: Jahrbuch Sucht 2018, DHS). Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich danach ein geschätzter Anteil von 24.000 Menschen. Hinzu kommen bundesweit schätzungsweise 3.300 Todesfälle im Jahr durch Passivrauchen (Quelle: Jahrbuch Sucht 2016, DHS).