LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6132 08.05.2019 Datum des Originals: 08.05.2019/Ausgegeben: 13.05.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2314 vom 11. April 2019 des Abgeordneten Markus Wagner AfD Drucksache 17/5774 Migrantischer Antisemitismus und Rechtsextremismus - Verteilung und kategoriale Zuordnung von politisch motivierten Straftaten in amtlichen Statistiken Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ein aggressiver Afghane hat auf dem Münchener Oktoberfest 2018 den Hitlergruß gezeigt und später eine Körperverletzung begangen. Die Polizei machte die Straftaten daraufhin publik und bestätigte die kritische Nachfrage eines Twitter-Nutzers, ob das Zeigen des Hitlergrußes nun als politisch motivierte Kriminalität – rechts (PMK - rechts) erfasst werden wird.1 Die Begründung der Polizei für diese kategoriale Zuordnung gibt die „Junge Freiheit“ wie folgt wieder: „Als ‚Politisch Motivierte Kriminalität – rechts’ (PMK – rechts) würden Delikte erfaßt, die Bezüge ‚zu völkischem Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus’ hätten und ‚diese ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren’. Dies sei bei dem hitlergrüßenden Afghanen der Fall gewesen. Straftaten, die der PMK – rechts zugeordnet würden, könnten unabhängig von der Nationalität oder dem soziologischen Hintergrund einer Person begangen werden, gab die Polizei zu bedenken.“2 Auf einer abstrakt-begrifflichen Ebene mag diese Zuordnung unter bestimmten Rahmenbedingungen begründet sein; allerdings liegt ein diskutabler Problemkomplex im Raum der politisch-praktischen Schlussfolgerungen vor. Schließlich werden in öffentlichen Diskursen mit der politisch motivierten Kriminalität rechts in der Regel und fast ausschließlich strafbewährte Handlungen von ethnisch deutschen Rechtsextremisten willentlich oder unwillentlich assoziiert, was wiederum unmittelbare Auswirkungen auf die zu schlussfolgernden politischen, zivilgesellschaftlichen und administrativen Anschlusshandlungen hat. 1 Vgl. Junge Freiheit (2018): Hitlergrüßender Afghane läßt rechte Straftaten wachsen; online im Internet: https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2018/hitlergruessender-afghane-laesst-rechtestraftaten -wachsen/. 2 Ebd. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6132 2 Des Weiteren ist einem Artikel der WELT aus dem Jahre 2017, der sich auf einen Bericht des „Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“ bezieht, zu entnehmen, dass „fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten grundsätzlich immer dann dem Phänomenbereich ‚Politisch motivierte Kriminalität Rechts’ zugeordnet [würden, d. Verf.], ‚wenn keine weiteren Spezifika erkennbar’ und ‚keine Tatverdächtigen bekannt geworden sind’. So tauche der Schriftzug ‚Juden raus’ generell als ‚rechtsextrem motiviert’ in Statistiken auf, obwohl eine solche Parole auch in islamistischen Kreisen populär ist. ‚Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild über die Tatmotivation und den Täterkreis’, schrieben die Autoren des Expertenberichts. Die Experten belegen dies durch Umfragen unter Juden in Deutschland, von denen acht Prozent angaben, Angehörige oder Bekannte seien ‚in den letzten zwölf Monaten’ körperlich attackiert worden; 36 Prozent sprachen von ‚verbalen Beleidigungen/Belästigungen’ und 52 Prozent von ‚versteckten Andeutungen’.“ Dazu die Autoren: „Besonders häufig wurden muslimische Personen als Täter angegeben: 48 Prozent der verdeckten Andeutungen, 62 Prozent der Beleidigungen und 81 Prozent der körperlichen Angriffe gingen nach dieser Einschätzung von muslimischen Personen aus.“3 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2314 mit Schreiben vom 8. Mai 2019 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität" (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten; sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben; durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. 3 WELT (2017): Zahl der antisemitischen Delikte in Deutschland steigt; online im Internet: https://www.welt.de/politik/deutschland/article168436745/Zahl-der-antisemitischen-Delikte-in- Deutschland-steigt.html. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6132 3 Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a Strafgesetzbuch als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungs-zusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet. Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK). 1. Wie viele Straftaten der Phänomenbereiche PMK-rechts, PMK-links, PMK- Ausländerkriminalität und PMK-sonstige politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund wurden in den Jahren 2015 bis heute in Nordrhein- Westfalen erfasst? Für den Zeitraum 01.01.2015 bis 23.04.2019 (Datum der aktuellen Abfrage) wurden 27.266 Straftaten mit extremistischem Hintergrund gemeldet. Die jährliche und phänomenologische Verteilung entnehmen Sie bitte der folgenden Tabelle: 2019 2018 2017 2016 2015 Gesamt PMK-Ausländer 823 556 1379 PMK-ausländische Ideologie 24 581 419 1024 PMK-Links 101 1351 1351 1535 2064 6402 PMK-Rechts 452 3716 3747 4674 4421 17010 PMK-religiöse Ideologie 2 53 121 176 PMK-Nicht zuzuordnen 15 227 683 160 190 1275 PMK-Gesamt 594 5928 6321 7192 7231 27266 2. Wie viele antisemitisch motivierte Straftaten wurden in jedem der genannten Jahre insgesamt erfasst? (Bitte nach Delikt(gruppen) aufschlüsseln) 3. Bei wie vielen jener Straftaten in jedem der o. g. Jahre konnte/n ein Tatverdächtiger bzw. mehrere Tatverdächtige ermittelt werden (Angaben bitte in absoluten Zahlen, als auch prozentual)? Die Fragen 2 und 3 werden gemeinsam beantwortet. Für den oben genannten Zeitraum wurden 1.282 antisemitische Straftaten erfasst. 564 (44,0%) davon wurden aufgeklärt. Die jährliche und phänomenologische Verteilung entnehmen Sie bitte der folgenden Tabelle: 2019 2018 2017 2016 2015 Gesamt PMK-Ausländer 9 30 39 PMK- ausländische Ideologie 0 29 17 46 PMK-Links 0 2 0 1 5 8 PMK-Rechts 39 311 294 283 227 1154 PMK- religiöse Ideologie 1 5 6 12 PMK- Nicht zuzuordnen 1 3 7 4 8 23 PMK-Gesamt 41 350 324 297 270 1282 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6132 4 Weitergehende Daten bitte ich der Anlage zu entnehmen. 4. Wie viele der ermittelten Tatverdächtigen besaßen zum Tatzeitpunkt nicht ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft? Von den 694 ermittelten Tatverdächtigen besaßen 636 die deutsche Staatsbürgerschaft. Hiervon besaßen zwölf Personen eine weitere Staatsbürgerschaft. Von den verbliebenen 58 Personen waren zwölf Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union und 46 Staatsangehörige eines Staates des afrikanischen, asiatischen oder europäischen Kontinents oder staatenlos. 5. Trifft es auch für das Bundesland Nordrhein-Westfalen zu, dass antisemitische Straftaten immer dem Phänomenbereich PMK-rechts zugeordnet werden, auch dann, wenn hypothetisch linksextreme oder islamistische Motive denkbar wären? Die Richtlinien zum Kriminalpolizeilichen Meldedienst - Politisch motivierte Kriminalität gelten bundeseinheitlich und sind somit auch für Nordrhein-Westfalen bindend. Bei der Erfassung im Rahmen des KPMD-PMK werden Straftaten in die Phänomenbereiche PMK-Links, PMK-Rechts, PMK-Ausländische Ideologie oder PMK-Religiöse Ideologie eingeordnet, wenn Hinweise aus dem Sachverhalt auf einen der genannten Phänomenbereiche schließen lassen. Kann der Sachverhalt keinem der genannten Phänomenbereiche zugeordnet werden, erfolgt die Zuordnung in den Bereich PMK-nicht zuzuordnen. Um eine abschließende Zuordnung vornehmen zu können, werden alle bekannten Informationen zu jedem Sachverhalt gemäß der Vorgaben der bundesweiten Richtlinien des KPMD-PMK in einer Einzelfallprüfung gesichtet und bewertet. Eine Straftat kann immer nur einem Phänomenbereich zugeordnet werden. Bei antisemitischen Straftaten ist in der Regel eine rechte Tätermotivation zu vermuten. Sind andere Motivationslagen zu erkennen beziehungsweise berechtigte Zweifel an einer rechten Motivation erkennbar, erfolgt eine andere phänomenologische Zuordnung. Anlage zur Kleinen Anfrage 2314 Politisch motivierte Kriminalität Antisemitische Straftaten 01.01.2015-23.04.2018 Deliktsgruppen Anz. agkl. % Anz. agkl. % Anz. agkl. % Anz. agkl. % Anz. agkl. % Anz. agkl. % Tötungsdelikte (einschließlich Versuche) 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Branddelikte 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Sprengstoffdelikte 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Landfriedensbruchdelikte 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr etc. 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Körperverletzungsdelikte 1 1 100,0 16 12 75,0 5 4 80,0 1 1 100,0 8 7 87,5 31 25 80,6 Widerstandshandlungen 0 0 0,0 0 0 0,0 1 1 100,0 1 1 100,0 0 0 0,0 2 2 100,0 Raub 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Erpressung 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Freiheitsberaubung 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Sexualdelikte 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Zwischensumme Gewaltdelikte 1 1 100,0 16 12 75,0 6 5 83,3 2 2 100,0 8 7 87,5 33 27 81,8 Bedrohungen/Nötigungen 0 0 0,0 5 2 40,0 4 3 75,0 1 0 0,0 2 0 0,0 12 5 41,7 Sachbeschädigungen 3 0 0,0 28 1 3,6 26 1 3,8 18 0 0,0 20 1 5,0 95 3 3,2 Verstöße gegen §§ 86, 86a StGB 11 2 18,2 59 24 40,7 56 14 25,0 51 16 31,4 56 13 23,2 233 69 29,6 Volksverhetzungen 24 10 41,7 203 118 58,1 200 92 46,0 202 99 49,0 158 87 55,1 787 406 51,6 Störung des öffentlichen Friedens 0 0 0,0 3 2 66,7 0 0 0,0 1 1 100,0 2 0 0,0 6 3 50,0 Beleidigungen 1 0 0,0 31 16 51,6 22 9 40,9 21 10 47,6 19 9 47,4 94 44 46,8 Verstöße gegen das Vereinsgesetz 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 0 0 0,0 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz 0 0 0,0 0 0 0,0 1 1 100,0 0 0 0,0 0 0 0,0 1 1 100,0 sonstige Straftaten 1 0 0,0 5 1 20,0 9 4 44,4 1 0 0,0 5 1 20,0 21 6 28,6 Summe Gesamt 41 13 31,7 350 176 50,3 324 129 39,8 297 128 43,1 270 118 43,7 1282 564 44,0 2015 Gesamt2019 2018 2017 2016