LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6310 20.05.2019 Datum des Originals: 09.05.2019/Ausgegeben: 23.05.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2378 vom 16.04.2019 des Abgeordneten Sven W. Tritschler AfD Drucksache 17/5864 Neutralitätspflicht von Beamten Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Beamte müssen ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht erfüllen und haben insbesondere bei politischer Betätigung zurückhaltend aufzutreten (sog. Neutralitätspflicht). Ferner sind sie zur Verschwiegenheit verpflichtet. Pflichtverletzungen können strafrechtliche und auf Grundlage des Bundesdisziplinargesetzes auch dienstrechtliche Konsequenzen haben, die bis zum Verlust des Beamtenstatus reichen können. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2378 mit Schreiben vom 9. Mai 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten sowie allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Pflicht zur politischen Mäßigung, Neutralität, Unparteilichkeit und Verfassungstreue vor dem Hintergrund der politischen Polarisierung? Beamtinnen und Beamte stehen in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis. Durch diese Sonderstellung werden ihnen eine Reihe besonderer Pflichten auferlegt. Aus § 33 Abs. 1 Satz 1 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) ergibt sich die Verpflichtung zur parteipolitischen Neutralität bei der Amtsführung. Die Pflicht der Beamtinnen und Beamten, ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen, ergibt sich zudem aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG. Durch diese Verpflichtung haben Beamtinnen und Beamte jeder verfassungsmäßigen Regierung loyal zur Verfügung zu stehen. In einer Demokratie wird durch die parteipolitische Neutralität des Beamtentums die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung insbesondere in Zeiten politischer Veränderungen gesichert. Beamtinnen und Beamte dürfen in ihrer Amtsführung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ohne Rücksicht auf ihre eigene LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6310 2 politische Einstellung nicht befangen erscheinen. Sie sind zur parteipolitisch neutralen Amtsführung verpflichtet. Zum Leitziel der Gemeinwohlverpflichtung zählen insbesondere die Achtung der Grundrechte und der Prinzipien des Artikels 20 des Grundgesetzes (GG). Eine unparteiische, gerechte, dem Gemeinwohl verpflichtete und für alle Bürgerinnen und Bürger glaubwürdige Amtsführung ist nur möglich, wenn alle Beamtinnen und Beamte von einer gemeinsamen verfassungspolitischen Grundlage ausgehen. Deshalb bestimmt § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, dass sich die Beamtinnen und Beamte durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten müssen. Diese Verpflichtung ist umfassend; sie betrifft gleichermaßen dienstliches wie außerdienstliches Verhalten. Die politische Treuepflicht fordert von den Beamtinnen und Beamten, dass sie sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen oder diffamieren (BVerfG, Beschluss vom 22.05.1975, Az.: 2 BvL 13/73E). Beamtinnen und Beamte sind generell zur Mäßigung verpflichtet, wenn sie sich politisch betätigen (§ 33 Abs. 2 BeamtStG). Ihnen wird grundsätzlich das Recht eingeräumt, sich politisch zu engagieren, da sie als Grundrechtsträger ein Anrecht auf Meinungsfreiheit und politische Mitgestaltung haben. Das Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot soll dabei aber sicherstellen, dass die unparteiische und gemeinwohlorientierte Amtsführung nicht leidet. Dies betrifft nicht nur dienstliche Entscheidungen, sondern auch das gesamte Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes. Bei der Meinungsäußerung außerhalb des Dienstes – etwa im Wahlkampf – ist darauf zu achten, dass das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Verwaltung gewahrt wird. 2. Wie bewertet die Landesregierung diese Pflichten insbesondere bei Lehrkräften? Wie andere Beamtinnen und Beamte sind Lehrerinnen und Lehrer zur politischen Mäßigung, Neutralität, Unparteilichkeit und Verfassungstreue verpflichtet. Lehrerinnen und Lehrer genießen – wie alle Bürgerinnen und Bürger – das Recht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes. Bei der Ausübung dieses Rechtes haben sie allerdings – wie alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst – Einschränkungen zu beachten, die sich aus dem Beamtenverhältnis als öffentlich-rechtlichem Dienst- und Treueverhältnis oder aus einem bestehenden tariflichen Arbeitsverhältnis ergeben. Zu den beamtenrechtlichen Pflichten gehört auch, das Amt unparteiisch und gerecht zu führen. Bei politischer Betätigung sind Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren. Darüber hinaus verpflichtet § 2 Abs. 8 des Schulgesetzes Lehrerinnen und Lehrer zu politischer Neutralität gegenüber den ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schülern. Politische Meinungsäußerungen von Lehrkräften sind nicht ausgeschlossen, unterliegen jedoch einem Gebot von ausgewogener Darstellung und Zurückhaltung. Es bedeutet auch nicht, dass alle Positionen als gleichberechtigt dargestellt werden müssen, beispielsweise wenn sie sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten oder die dort niedergelegten Grund- und Menschenrechte in Frage stellen. Auf diesem Grundsatz politischer Bildung im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und der damit verbundenen Zielsetzung der Bildung und Erziehung zu mündigen, an den Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung orientierten, handlungsfähigen Bürgerinnen und Bürgern basieren die geltenden Kernlehrpläne in Nordrhein-Westfalen, die für Schulen und Lehrkräfte bindend sind LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6310 3 3. Wie bewertet die Landesregierung diese Pflichten im Hinblick auf Polizistinnen und Polizisten? Für Beamtinnen und Beamte im Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 Landesbeamtengesetz Nordrhein-Westfalen (LBG NRW) gelten die Regelungen des § 33 BeamtStG gleichermaßen. Insoweit haben auch Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte des Landes Nordrhein-Westfalen das Neutralitätsgebot des § 33 Abs. 1 BeamtStG sowie das Mäßigungsund Zurückhaltungsgebot aus § 33 Abs. 2 BeamtStG zu beachten. Dies gilt insbesondere in den Zeiten vor Wahlen. Aus diesem Grund gibt das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen regelmäßig vor bevorstehenden Wahlen allen Behörden, auch den Polizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen, auf, ihre Beschäftigten über den Inhalt der „Hinweise zur Aufgabenerfüllung im öffentlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen“ zu unterrichten. Für die Polizeibehörden gilt dabei insbesondere, dass zwar die polizeiliche Aufgabenerfüllung bei Wahlkundgebungen zu gewährleisten ist, jedoch eine logistische Unterstützung oder Mitgestaltung von Parteiveranstaltungen durch Organisationseinheiten der Polizei nicht in Betracht kommt. Welche Zurückhaltung das Mäßigungsgebot verlangt, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt konkret von den jeweiligen Amtsfunktionen, der mit dem Amt verbundenen Verantwortung und der öffentlichen Wahrnehmung des Amtes ab. Dabei nimmt der Grad an Mäßigung und Zurückhaltung mit steigender Nähe zu der dienstlichen Tätigkeit zu. 4. Wie lauten in NRW die rechtlichen Rahmenbedingungen, um den Beamtenstatus zu verlieren? § 24 Absatz 1 BeamtStG regelt den Verlust der Beamtenrechte bei strafgerichtlicher Verurteilung zu mindestens einer einjährigen, bei bestimmten Staatsschutzdelikten sechsmonatigen Freiheitsstrafe, der Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter oder bei einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die Verwirkung eines Grundrechts nach Artikel 18 GG. In diesen Fällen endet das Beamtenverhältnis automatisch kraft Gesetzes, ohne dass es eines Disziplinarverfahrens bedarf. Für alle weiteren Dienstvergehen bedarf es der Einleitung eines Disziplinarverfahrens. § 47 Abs. 1 BeamtStG definiert generell-abstrakt den Begriff des Dienstvergehens. Danach begehen Beamtinnen und Beamte ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzten; unter anderem ist als Dienstvergehen ein Verstoß gegen das Mäßigungsgebot nach § 33 Abs. 2 BeamtStG zu werten. Das Nähere über die zu verhängenden Sanktionen und das Verfahren zu ihrer Durchsetzung bei Dienstvergehen regelt das Landesdisziplinargesetz (LDG NRW). § 5 LDG NRW sieht als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis vor. Mit der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gehen der Anspruch auf Dienstbezüge und Versorgung sowie die Befugnis, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel zu führen und die Dienstkleidung zu tragen, verloren. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis kann nur mit einer vor den Disziplinargerichten zu erhebenden Disziplinarklage mit dem Ziel einer Entfernung aus dem Dienst erreicht werden. Voraussetzung für einen solchen gerichtlichen Ausspruch ist eine Bewertung des jeweiligen Einzelfalles. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6310 4 5. Wie viele disziplinar- bzw. dienstrechtliche Verfahren gab es im Zeitraum zwischen 2013 und 2018 gegen Beamte in NRW wegen der Verletzung der Dienstpflicht zur politischen Mäßigung, Neutralität, Unparteilichkeit und Verfassungstreue? Hierzu liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Eine statistische Erfassung nach einzelnen „Dienstvergehen“ ist nicht möglich. Dies hat seinen Grund in dem persönlichkeitsbezogenen Wesen des Disziplinarrechts. Der Begriff des „Dienstvergehens“ ist im Gegensatz zum Strafrecht hinsichtlich der Tatbestände nicht im Einzelnen gesetzlich festgelegt und mit bestimmten Disziplinarmaßnahmen in Zusammenhang gebracht. § 47 Abs. 1 BeamtStG definiert das „Dienstvergehen“ insoweit nur als schuldhafte Verletzung von Dienstpflichten. Eine Aufschlüsselung nach bestimmten einzelnen „Dienstvergehen“ ist bereits aus diesem Grund nicht möglich.