LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6326 20.05.2019 Datum des Originals: 16.05.2019/Ausgegeben: 23.05.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2375 vom 15.04.2019 der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky AfD Drucksache 17/5843 Welchen Einfluss hat die „Scharia-Resolution“ der parlamentarischen Versammlung des Europarats auf die zukünftige Integrations- und Innenpolitik der Landesregierung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Resolution 2253 (2019) der „Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PVER) (Die „Scharia“, Die „Kairoer Menschenrechtserklärung“ und die „Europäische Menschenrechtskonvention“) wurde am 22.01.2019 angenommen. Diese Resolution zeigt auf, dass es sich beim islamischen Gesetz – der Scharia – um eine juristisch religiöse Ordnung handelt, die mit dem modernen westlichen Recht in Konkurrenz steht und, dass die Scharia der Europäischen Menschenrechtserklärung (EMRK) klar widerspricht. Besorgt zeigt man sich über eine offizielle oder offiziöse Anwendung der Scharia in einigen Mitgliedsstaaten. (Albanien, Aserbaidschan, Türkei, Griechenland/ Thrakien, England und Wales) Gemäß Artikel 2 der Resolution 2253 darf die Religionsfreiheit nicht andere Menschenrechte außer Kraft setzen. In Artikel 3 wird angemahnt, dass der allgemeingültige Grundsatz der Trennung von Staat und Religion auch weiterhin zu beachten sei. Nach Ansicht der Versammlung sind die verschiedenen islamischen Menschenrechtserklärungen seit 1980 (u.a. die „Kairoer Erklärung“) nicht vereinbar mit den universalen Menschenrechten. Eine Unvereinbarkeit der Scharia mit der „Europäischen Menschenrechtskonvention“ sieht die Versammlung gemäß Artikel 6 in folgenden Bereichen: Scheidungsrecht, Erbschaftsrecht, Verbot der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Religion, Gleichheit der Ehepartner, Recht auf Leben, Verbot der Todesstrafe, der Folter sowie unmenschlicher Behandlung, Rechtsanspruch auf einen fairen Prozess, Recht auf Respektierung der Privatsphäre, Religionsfreiheit, Ausdrucksfreiheit). Gemäß Artikel 9 der Resolution 2253 ruft die Versammlung alle Mitglieder des Europarats auf, die Menschenrechte zu schützen, ohne religiöse und kulturelle Ausnahmen. In Artikel 11 der Resolution 2253 werden Forderungen gegenüben den Mitgliedsstaaten benannt. Pluralismus, Toleranz und ein „Geist der Offenheit“ sollen gestärkt werden. Es wird ein verstärktes LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6326 2 Engagement beim Prozess der Überwindung der „Kairoer Erklärung“ mit dem Ziel der Kompatibilität einer künftigen Menschenrechtserklärung der OIC-Staaten1 mit der „Europäischen Menschenrechtskonvention“, welche verbindlich für alle Mitgliedsstaaten gilt, eingefordert. In diesem Zusammenhang ist eine Diskussion über mögliche Grenzen der Religionsfreiheit aus juristischer Sicht durchaus legitim. Zwar verpflichtet die bereits mit der Weimarer Reichsverfassung erfolgte Trennung von Staat und Kirche den Staat zur weltanschaulichen Neutralität gegenüber religiösen Bekenntnissen und Weltanschauungen, die „Religionsfreiheit“ (Art. 4 GG), genauer die Freiheit der Ausübung nach Art. 4 Abs. 2, ist allerdings nicht misszuverstehen als ein Recht, sich von der Bindung an Recht und Gesetz auszunehmen; auch Art. 4 gilt nur im Rahmen aller anderen gesetzlichen Bestimmungen, nicht absolut. Die „Religionsfreiheit“ betrifft zunächst die Inhalte und Glaubensvorstellungen einer Religion als solcher, d. h., in der Definition genuin religiöser Bestimmungen werden einer Religionsgemeinschaft keine Vorschriften gemacht. Dies bedeutet indes nicht, dass etwa gesetzwidrige Religionsausübung und verfassungsfeindliche Bestrebungen beworben werden dürften oder gar zu (hierzulande) strafrechtlich relevanten Handlungen aufgerufen werden dürfte. Betreffend die Abwägung der rechtlichen Problematik bestimmter Gebote des Islams gegenüber der „Religionsfreiheit“ bestimmt Art. 140 GG (darin: Art. 136 der Weimarer Reichsverfassung, Abs. 1): „Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“ Insbesondere werden die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten, wie etwa Gesetzestreue, durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt, mit anderen Worten: Die Gebundenheit an die staatlichen Gesetze kann nicht durch die Berufung auf die Ausübung der Religionsfreiheit eingeschränkt werden. Grundlage des Zusammenlebens in Deutschland ist die freiheitliche demokratische Grundordnung, das Grundgesetz sowie die Grundsätze gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Gebundenheit an staatliche Gesetze kann dabei durch die Religionsfreiheit nicht eingeschränkt oder gar ausgehebelt werden. Die Schranke der Religionsfreiheit liegt nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts bei der Gewährleistung der Menschenwürde aus Artikel 1 Absatz 1 GG. Diese Schranke ist, wie von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats bestätigt, bei der Scharia in vielen der unter Artikel 6 der Resolution 2253 genannten Aspekte als überschritten anzusehen. Wer sich von diesen Aspekten nicht distanziert, gerät folglich in Konflikt nicht nur mit der EMRK, sondern auch mit der Gewährleistung der Menschenwürde gemäß GG und somit auch mit der eigenen Verfassungsmäßigkeit. Der Ministerpräsident hat die Kleine Anfrage 2375 mit Schreiben vom 16. Mai 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister des Innern und dem Minister der Justiz beantwortet. 1. Welche muslimischen Gemeinden und Verbände sind nach ihrem Selbstverständnis untrennbar mit der Scharia verbunden? 1 OIC = Organisation für islamische Zusammenarbeit LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6326 3 2. Welche Auswirkungen hat unter Berücksichtigung der Resolution der „Parlamentarischen Versammlung des Europarats“ diese untrennbare Verbindung mit der Scharia auf die zukünftige Zusammenarbeit der Landesregierung mit diesen Gemeinden und Verbänden? Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Die Scharia umfasst die Gesamtheit der religiösen und rechtlichen Normen und Regeln des Islam. Die Normen und Regeln der Scharia bieten daher Musliminnen und Muslimen eine Orientierung, sie prägen ihr Alltags- und Verbandsleben allerdings unterschiedlich stark. Denn das Verständnis sowie die konkrete Auslegung und Anwendung der Scharia haben im Verlauf der Jahrhunderte zahlreiche Wandlungen erfahren und variieren entsprechend der Vielfalt des Islam. Religiöse Gemeinschaften, die unter Berufung auf die Scharia der hier geltenden Rechtsordnung zuwiderhandeln, werden konsequent vom Verfassungsschutz beobachtet. Religiös motivierte Straftaten werden nach Maßgabe geltenden Rechts verfolgt und geahndet. Da die Zusammenarbeit der Landesregierung mit den islamischen Gemeinden und Verbänden auf der Grundlage der geltenden Rechtsordnung erfolgt, sind aus Sicht der Landesregierung keine Anpassungen erforderlich. 3. Ist unter Berücksichtigung der Resolution eine Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts, ohne eine uneingeschränkte Distanzierung von den in der Resolution beanstandeten Punkten, überhaupt möglich? (bitte begründen) Die Anerkennung einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts setzt ihre Rechts- und Verfassungstreue voraus. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, wird in jedem Antragsverfahren individuell, sorgfältig und unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände – gegebenenfalls unter Zuhilfenahme externen Sachverstands – geprüft. 4. Auf welchem Wege plant die Landesregierung die Resolution kurz- bis mittelfristig in die Landesgesetzgebung einzupflegen? (z.B. Landesverfassung NRW, Teilhabe- und Integrationsgesetz NRW) Siehe Antwort auf die Fragen 1 und 2. 5. Sollen auch weiterhin Gemeinden und Verbände organisatorisch und finanziell gefördert bzw. unterstützt werden, die sich z.B. in ihren Schriften und Predigten zur Scharia bekennen? (bitte begründen) Siehe Antwort auf die Fragen 1 und 2.