LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6331 21.05.2019 Datum des Originals: 20.05.2019/Ausgegeben: 24.05.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2383 vom 17.04.2019 der Abgeordneten Sigrid Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/5869 Wie wirkt die Inklusionsbremse an Gymnasien? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Aufbau eines inklusiven Bildungssystems ist eine völkerrechtliche Aufgabe, die sich aus der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ergibt. Es richtet sich an alle Ebenen und alle Schulformen. Es erfordert ein schrittweises und gleichzeitig zielgerichtetes Handeln, damit das separierende, traditionelle Schulsystem überwunden werden kann. Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat 2015 erklärt, dass die Umsetzung des Rechts auf inklusive Bildung als transformativer Prozess im Rahmen einer systemischen Reform zu begreifen sei, die einen tiefgreifenden Wandel der Bildungssysteme nach sich ziehe. 2016 hat der Ausschuss erneut hervorgehoben, dass Staaten, die neben dem regulären Schulsystem ein Sonderschulsystem weiter aufrechterhalten, ihre Verpflichtung nicht erfüllen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist für die Bundesrepublik und explizit auch für NRW die Monitoringstelle, die die Umsetzung der UN-Konvention begleitet und bewertet. Auch nach Ansicht des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist ein Weiterbestand der Schulformen mit der UN-Konvention vereinbar, allerdings nur für den Übergang und nicht auf Dauer. Die Monitoringstelle hat in ihrem letzten Bericht deshalb bemängelt, dass die neue Landesregierung den Fortbestand der Förderschulen erleichtert hat, ohne zu erkennen zu geben, wie das Ziel des Aufbaus eines inklusiven Bildungssystems verfolgt wird. Neben dem Erhalt auch kleinster Förderschulen verbunden mit ineffizientem Ressourceneinsatz hat die Landesregierung auch eine weitere Schulform sonderbehandelt. Gymnasien sollen nach den Eckpunkten zur Neuausrichtung der Inklusion in Zukunft in der Regel nur zielgleich unterrichten. Zieldifferent lernende Schülerinnen und Schüler sollen außen vor bleiben - obwohl so viele Gymnasien in NRW wie in keinem anderen Bundesland sehr wohl gezeigt haben, dass sie zieldifferent arbeiten können. Das gilt nicht nur für das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim, das mit dem Jakob Muth-Preis im Jahr 2016 ausgezeichnet wurde. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6331 2 Diese Ausgrenzung der Gymnasien aus der inklusiven Entwicklung im Bildungssystem widerspricht dem menschenrechtlichen Verständnis von Inklusion. Gymnasien, die (weiterhin) auch zieldifferent unterrichten wollen, dürfen dies nur bei Vorliegen eines Konzeptes. Gemäß der Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion kann die Schulaufsicht solche Gymnasien bei der regionalen Planung berücksichtigen. Die Formulierung legt nahe, dass die Schulaufsicht davon Gebrauch machen kann oder nicht. Weiter heißt es: „Wenn es die örtliche Situation nach gemeinsamer Einschätzung von Schulaufsicht und Schulträger zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Gemeinsames Lernen nach § 19 Absatz 5 SchulG erforderlich macht, ist eine Beteiligung von Gymnasien auch bei zieldifferenter Förderung anzustreben. Entsprechende Fälle sind der obersten Schulaufsicht anzuzeigen.“ Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 2383 mit Schreiben vom 20. Mai 2019 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Mit der erfolgten Absenkung der Mindestgrößen für Förderschulen wurde ein Weg beschritten, um pädagogisch angemessen und bezüglich der Ressourcen vertretbar Wahlmöglichkeiten zwischen dem Besuch allgemeiner Schulen und spezialisierter Förderschulen zu sichern. Diese Wahlmöglichkeit für Familien erachtet die Landesregierung als hohes Gut. Eine „Ausgrenzung“ von Gymnasien aus der inklusiven Entwicklung, wie von der Fragestellerin dargestellt, findet nicht statt. An Gymnasien wird die sonderpädagogische Förderung in der Regel zielgleich erfolgen. Auch die zielgleiche sonderpädagogische Förderung stellt einen wichtigen Beitrag zur Inklusion dar. Das Land begrüßt und unterstützt jedoch auch eine zieldifferente Förderung und setzt darauf, dass sich daran möglichst viele Gymnasien beteiligen. Der „Runderlass zur Neuausrichtung der Inklusion in den öffentlichen allgemeinbildenden weiterführenden Schulen“ vom 15. Oktober 2018 bestimmt hierzu, dass die Schulaufsichtsbehörde an Gymnasien Gemeinsames Lernen in Förderschwerpunkten mit zieldifferentem Unterricht einrichten kann, wenn a) sie sich mit dem Schulträger darüber verständigt hat, dass dies aufgrund des örtlichen Schulangebots erforderlich ist, um den An-spruch der Schülerinnen und Schüler auf Gemeinsames Lernen zu erfüllen und die Schulleitung sich zuvor, zu der beabsichtigten Entscheidung äußern konnte; solche Fälle sind dem Ministerium anzuzeigen oder b) die Schulkonferenz des Gymnasiums der Schulaufsichtsbehörde aufgrund eines Beschlusses nach § 65 Absatz 2 Nr. 8 SchulG vorschlägt, Gemeinsames Lernen mit zieldifferentem Unterricht an der Schule einzurichten. Wenn es die örtliche Situation nach gemeinsamer Einschätzung von Schulaufsicht und Schulträger zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Gemeinsames Lernen nach § 19 Absatz 5 SchulG erforderlich macht, ist zudem eine Beteiligung von Gymnasien auch bei zieldifferenter Förderung anzustreben. Ein Gymnasium soll dann in der Regel jährlich nicht weniger als sechs Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Eingangsjahrgang aufnehmen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6331 3 1. Wie viele Gymnasien haben erklärt, dass sie weiter Schüle-rinnen und Schüler auch zieldifferent unterrichten wollen (bitte nach Kommunen aufgeschlüsselt)? Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 2. Welche Unterstützung erhalten die Gymnasien, die weiterhin zieldifferentes Lernen anbieten, seitens der Bezirksregierungen bzw. des Landesinstituts? Gymnasien, die zieldifferentes Gemeinsames Lernen anbieten, erhalten die gleiche Unterstützung von Seiten des Ministeriums für Schule und Bildung wie alle anderen weiterführenden Schulen des Gemeinsamen Lernens (z. B. Unterstützung durch die Schulaufsicht, Inklusionsfachberaterinnen und – fachberater, Unterstützungsmaterialien durch die Qualitäts- und Unterstützungsagentur – Landesinstitut für Schule). Zu den Unterstützungsleistungen und der neuen Ressourcensteuerung wird außerdem auf die Antwort zu den Fragen 3, 4 und 5 der Kleinen Anfrage 2230 (LT-Drs. 17/6133) sowie auf die Antwort zu Frage 5 der Kleinen Anfrage 2043 (LT-Drs. 17/5442) verwiesen. 3. Wie viele Fälle wurden der obersten Schulaufsicht angezeigt, in denen Schulaufsicht und Schulträger zu der Einschätzung kamen, dass es zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Gemeinsames Lernen nach § 19 Abs.5 SchulG erforderlich ist, eine Beteiligung von Gymnasien auch bei zieldifferenter Förderung anzustreben? Der Ausschuss für Schule und Bildung wurde von Seiten der Landesregierung in der Sitzung am 3. April darüber informiert, dass das Ministerium für Schule und Bildung eine Abfrage bei den Bezirksregierungen zum Ergebnis des Anmeldeverfahrens für das kommende Schuljahr 2019/20 mit Blick auf das Gemeinsame Lernen initiiert hat. Nach Eingang der Berichte der Bezirksregierungen werden diese Daten nun auf ihre Plausibilität hin geprüft, so dass zum jetzigen Zeitpunkt noch keine abschließenden Zahlen zu nennen sind. Dem Ausschuss wurde zugesichert, dass dieser nach Abschluss dieser Prüfungen selbstverständlich umfänglich unterrichtet wird. 4. Sofern solche Gymnasien nicht von der jeweiligen Bezirks-regierung bei der regionalen Planung berücksichtigt werden: Worin ist das begründet? Es ist die Aufgabe der Schulaufsichtsbehörde, mit dem Schulträger auch unter dem Kriterium der Bündelung ein auskömmliches Angebot an Plätzen für das Gemeinsame Lernen vorzuhalten, damit allen Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Übergang aus Klasse 4 in Klasse 5 ein Platz in einer allgemeinen Schule angeboten werden kann. In einigen Regionen des Landes ist die Zahl der benötigten Plätze für das Gemeinsame Lernen aufgrund des örtlichen Schulangebotes für das Schuljahr 2019/20 so auskömmlich, dass damit Gymnasien nicht in zieldifferente sonderpädagogische Förderung einbezogen werden müssen. Dem Ministerium für Schule und Bildung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Bezirksregierungen nicht erlasskonform gehandelt haben. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6331 4 5. Mit welchen Begründungen sind die Gymnasien, die bislang zieldifferent arbeiten, und jetzt davon Abstand nehmen, ausgestiegen? Der Runderlass vom 15. Oktober 2018 „Neuausrichtung der Inklusion in den öffentlichen allgemeinbildenden weiterführenden Schulen“ sieht hierzu keine Darlegung von Gründen vor.