LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6447 04.06.2019 Datum des Originals: 03.06.2019/Ausgegeben: 07.06.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2409 vom 2. Mai 2019 des Abgeordneten Alexander Langguth FRAKTIONSLOS Drucksache 17/5959 Young Carer Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Abschlussbericht des Projekts „Die Situation von Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige“ des Departments für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke heißt es, dass für einen Teil der Kinder und Jugendlichen, welche regelmäßig für chronisch kranke Familienmitglieder sorgen, ihnen helfen und sie pflegen, die Pflege zu einer unüberwindbaren Belastung werden könne. Wenn die Pflege den Alltag der Pflegenden dominiere, drohen nachteilige emotionale, soziale, schulische und körperliche Auswirkungen für ihre gesamte Entwicklung. Je stärker der Unterstützungsbedarf sei, desto unsichtbarer werde die Not der Familie, da die Öffentlichkeit aus Angst vor einem Eingriff von Autoritäten, welcher die Familie auseinander reißt, gescheut werde. Ausgehend von den Bevölkerungszahlen von Ende 2016 gebe es schätzungsweise 95.919 Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren in NRW, welche eine Pflegeverantwortung haben, wobei fast zwei Drittel von ihnen Mädchen seien. Dabei gelten laut Abschlussbericht diejenigen Kinder, welche nur im Haushalt und/ oder bei der Medikation helfen, noch nicht als Kinder mit Pflegeverantwortung (Young Carer). Diese treffe dann ein, wenn Kinder unabhängig von der Hilfe im Haushalt und/ oder der Medikation in den Kategorien Mobilität, Ankleiden, Waschen und Duschen, Ernährung und/ oder Intimpflege tätig seien. Es gebe 2018 bei weitem noch kein flächendeckendes Unterstützungsangebot für Kinder und Jugendliche chronisch kranker Eltern in Deutschland.1 1 Vgl. Abschlussbericht zum Projekt „Die Situation von Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige“ Universität Witten/Herdecke S. 8f, S. 41 und S. 67, Projektleitung Prof. Dr. Sabine Metzing, Projektförderung durch das Bundesministerium für Gesundheit. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Pflege/Berichte/Abs chlussbericht_KinderundJugendlichepflegAngeh.pdf (abgerufen am 26.04.2019) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6447 2 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 2409 mit Schreiben vom 3. Juni 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und der Ministerin für Schule und Bildung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die seit Jahrzehnten von pflegenden Angehörigen erbrachten Leistungen finden mittlerweile in unserer Gesellschaft vermehrt Anerkennung. Doch ist die Verantwortung, die durch Kinder und Jugendliche, die sich um die Mitglieder ihrer Familien, pflegebedürftige Eltern und Geschwister, kümmern, übernommen wird, für viele junge Menschen eine meist versteckt getragene Last, durch die sie sehr oft an die Grenzen ihrer körperlichen und psychischen Belastungsfähigkeit geführt werden. Auch sind die Risiken langfristig negativer Folgen in Form von sozialer Isolation und reduzierteren Möglichkeiten in Ausbildung und Beruf nicht zu unterschätzen. Trotzdem liegen zu dieser Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen nur sehr wenige Informationen und Daten vor. Vor diesem Hintergrund fand die Untersuchung des Zentrums für Qualität in der Pflege auch in der zuständigen Fachabteilung große Beachtung. Die Landesregierung stimmt z.B. gerade eine Projekt-skizze ab, um „Junge Pflegende“ durch geeignete Angebote in ihrer herausfordernden Situation zu unterstützen. Um die besonderen Herausforderungen, die Kinder und Jugendliche mit Pflegeverantwortung in Deutschland treffen, transparenter betrachten zu können, wurde durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Portal „Pausentaste“ eingerichtet. Durch dieses Projekt soll ein Bewusstsein für die spezifische Situation - sowohl bei den jungen Menschen selbst als auch bei der Beratung - geschaffen werden. Das Thema der Pflege-verantwortung im jungen Alter soll mehr Aufmerksamkeit erhalten. Das Projekt ist ein offenes Angebot für junge Menschen mit Pflege-verantwortung, die sich engagieren und mitarbeiten möchten. Generell steht betroffenen Kindern und Jugendlichen das System der Kinder- und Jugendhilfe entsprechend den Regelungen des SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, unterstützend und beratend zur Seite. In einer Reihe der Kommunen arbeiten die kommunalen Jugendämter und kommunalen Gesundheitsämter verstärkt und zielgruppengerechter zusammen, damit auch in diesen Fällen durch Beratung und mit Unterstützung durch jugendhilferechtliche Angebote gemeinsam dafür Sorge getragen wird, dass das Kindeswohl geschützt wird. Die Jugendämter werden hierbei durch Beratung und Fortbildungsangebote der beiden Landesjugend-ämter Rheinland und Westfalen-Lippe unterstützt. 1. Welche Hilfen für betroffene Kinder und Jugendliche werden von den Schulen in NRW angeboten, sodass die Teilhabe am staatlichen Bildungsangebot optimal ermöglicht wird? „Young Carer“ erhalten Hilfe über die zuständigen Jugendämter. An den Schulen begleiten Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter be-troffene Schülerinnen und Schüler. An weiterführenden Schulen stehen darüber hinaus Beratungslehrkräfte zur Verfügung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6447 3 2. In welchem Ausmaß wird das Thema im Fortbildungsangebot für Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen in NRW berücksichtigt? Im Hinblick auf die Beratungstätigkeit von Lehrkräften in der Schule setzt nachhaltige Bildungspolitik auf Prävention in Form einer Präventionskette, die sich am Lebensweg der Lernenden orientiert. Vor diesem Hintergrund findet das Thema „Young Carer“, d.h. die Übernahme nicht altersgerechter Versorgungsrollen durch Lernende, an verschiedenen Stellen Eingang in die Qualifizierung von Beratungslehrkräften. Diese werden für die Wahrnehmung der Problematik als möglichem Hinter-grund für verändertes oder problematisches Verhalten oder für Lern- und Leistungsschwierigkeiten sensibilisiert. „Young Carer“ können diesen z.B. im Kontext der Zusammenarbeit mit außerschulischen Einrichtungen, von Schullaufbahnfragen, der Zusammen-arbeit mit Eltern, von individueller Förderung, von Migration, von Kinderschutz, von Schulabsentismus und bei Fragen der sozialen Kompetenz begegnen. Eine stichprobenartige Befragung ergab, dass sich Beratungslehrkräfte aufgrund ihrer Qualifizierung für die Unterstützung im Bereich „Young Carer“ als gut gewappnet sehen. Entsprechend ihrer Rolle als Lotsinnen und Lotsen werden Beratungslehrkräfte in die Lage versetzt, mit den zuständigen externen Kooperationspartnern zusammenzuarbeiten bzw. deren Unterstützung zu vermitteln. Auch im Bereich der Schulpsychologie findet eine Vernetzung mit zahl-reichen Institutionen der psychosozialen Unterstützung statt, so dass Schulpsychologen in Teilen die Lotsenfunktion für Schulen, aber auch für anfragende Eltern und Lernende übernehmen können. Auf der inhaltlichen Ebene werden Ratsuchende bei zahlreichen und unterschiedlichsten Beratungsanfragen unterstützt. Aus diesem Grund sind Schulpsychologinnen und Schulpsychologen auch mit Fragen zur Thematik „Young Carer“ vertraut. Ein direktes Fortbildungsangebot mit diesem Themenschwerpunkt kann bei Bedarf eingerichtet werden. 3. Welche privat organisierten Hilfsangebote für Young Carer wurden in den vergangenen zehn Jahren aus Landesmitteln in ihrer Arbeit unterstützt? Eine spezielle Förderung von Hilfeangeboten für „Junge Pflegende“ ergänzend zu den allgemeinen Angeboten, die generell für pflegende Angehörige bereitgehalten werden, insbesondere im Bereich der Pflegeselbsthilfe, gibt es bisher nicht. 4. Wie bewertet die Landesregierung das gesamte Unterstützungsangebot in NRW? Vor dem bereits dargelegten Hintergrund, dass es sich hier um ein Thema handelt, bei welchem sich die Betroffenen sehr wenig öffnen, ist es sehr schwer, ein spezielles Beratungsangebot in einer größeren Breite bereit zu halten. Daher findet die Unterstützung betroffener Jugendlicher vorwiegend im System der bereits dargelegten Kinder- und Jugendhilfe bzw. allgemein im Rahmen der generellen Begleitung der pflegenden Angehörigen statt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6447 4 5. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung aktuell, um ein flächendeckendes Unterstützungsangebot für Kinder und Jugendliche chronisch kranker Eltern in NRW sicherzustellen? Für Kinder (chronisch) psychisch kranker Eltern hat die Landesregierung in den letzten Jahren im Rahmen der Landesinitiative „Starke Seelen“ vielfältige Projekte gefördert. Näheres dazu kann dem Sachstands-bericht zur Landesinitiative „Starke Seelen" (Vorlage 17/897) entnommen werden. Neben der vorstehend dargelegten Begleitung im schulischen Bereich sowie im Rahmen der Landesinitiative „Starke Seelen“ hat das Land mit dem Landesförderplan Alter und Pflege Möglichkeiten, das Themenfeld des „Young Carers“ durch geeignete Projekte zu begleiten. Aktuell befindet sich die Landesregierung z.B. in der Prüfung einer Projektskizze zur Unterstützung von Kindern mit einem demenz-erkrankten Elternteil, mit dem Ziel, ein Konzept für eine modellhafte und adressatenbezogene Gruppenarbeit inkl. flankierender Elternarbeit zu entwickeln.