LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6545 17.06.2019 Datum des Originals: 13.06.2019/Ausgegeben: 21.06.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2443 vom 8. Mai 2019 des Abgeordneten Sven W. Tritschler AfD Drucksache 17/6135 Wolfspolitik statt Wolfsromantik – Was tut die Landesregierung angesichts der wachsenden Wolfspopulation? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Vor knapp 200 Jahren wurden die letzten Wölfe auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein- Westfalens erlegt. 2018 wies das Umweltministerium erstmals ein Wolfsgebiet in Nordrhein- Westfalen aus, nachdem im Gebiet um Schermbeck die standorttreue Wolfsfähe „GW954f“ festgestellt werden konnte. Zuvor war es in der Gegend vermehrt zu Schafsrissen gekommen. Bundesweit ist der Wolf auf dem Vormarsch. Der Sprecher des Deutschen Jagdverbands (DJV) erklärte gegenüber der „BILD“: „In den nächsten Tagen wird die nächste Wolfsgeneration in Deutschland geboren, dann leben bereits über 1.300 Wölfe hierzulande.“1 Der Sprecher erklärte weiterhin: „Die Zeit drängt – wir brauchen endlich ein aktives Management des Wolfes und Rechtssicherheit für Jäger.“ Nach übereinstimmenden Medienberichten hat auf Bundesebene inzwischen das Kanzleramt das Thema Wolf zur Chefsache erklärt, nachdem zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium keine Einigung erzielt werden konnte.2 Nachdem die Landesregierung in ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 4. September 2017 (Drs. 17/740) keinen Handlungsbedarf zu erkennen vermochte und im Wesentlichen auf die bisherigen und nach aller Erfahrung wenig tauglichen Maßnahmen verwiesen hat (Entschädigungszahlungen für Nutztierhalter, „Herdenschutzmaßnahmen“), schien es zwischenzeitlich zu einem zaghaften Umdenken zu kommen: 1 https://www.welt.de/newsticker/news1/article193007459/Jaeger-Jagdverband-fordert-von- Kanzleramt-Rechtssicherheit-bei-Wolfsmanagement.html – abgerufen am 6. Mai 2019 2 Beispielhaft: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nach-ressortstreit-kanzleramt-bestimmt-ueberabschuss -von-woelfen-16169084.html – abgerufen am 6. Mai 2019 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6545 2 Nach der vorgenannten Ausweisung eines Wolfsgebietes um Schermbeck brachten die regierungstragenden Fraktionen im November 2018 einen Antrag mit dem Titel „Den Wolf in Nordrhein-Westfalen von Anfang an mit einer Strategie begleiten“ in das Plenum des Landtags ein (Drs. 17/4299). Dort ist u.a. davon die Rede, dass die stark wachsende Population des Wolfes Folgen für dessen Schutzstatus haben müsse. Unter Umständen müsse er von den Anlagen II und IV in die Anlage V der FFH-Richtlinie überführt werden. Weiterhin wird im Antrag anerkannt, dass der Schutz vor Wolfsrissen durch Herdenschutzzäune insbesondere in der Weidetierhaltung häufig unpraktikabel ist. Schließlich wird die Landesregierung beauftragt, ein Fütterungsverbot für Wölfe in das Landesrecht aufzunehmen. Der Antrag wurde in der Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz vom 16. Januar 2019 abschließend beraten und unverändert angenommen. Andere Bundesländer haben mit der Wolfsproblematik bereits länger zu kämpfen und sind inzwischen weiter: Im April erlaubte die sächsische Landesregierung per Erlass u.a. den erleichterten Abschuss von verhaltensauffälligen Wölfen. Auch Experten plädieren für eine Normalisierung des Umgangs mit dem Wolf und einen rationalen Umgang mit wachsenden Populationen, wie er in anderen europäischen Ländern längst gängige Praxis ist. So sprachen sich europäische Wolfsforscher und Jagdexperten auf einer Tagung im April 2019 in Halberstadt für Abschussquoten aus, wie sie im Baltikum praktiziert würden. Diese seien die beste Möglichkeit, den Schutz der Wölfe mit der Akzeptanz in der Bevölkerung in Einklang zu bringen.3 In Mecklenburg-Vorpommern, das vom Vormarsch des Wolfes besonders hart getroffen wird, hat sich inzwischen ein Bündnis aus 14 Verbänden gebildet. Nachdem Wölfe dort bereits 1,80 Meter hohe Elektrozäune überwinden und es zu mehr als 600 Attacken auf Schafe, Rinder, Rentiere und Wölfe kam, fordert Detlef Kurreck, der Präsident des dortigen Bauernverbands, eine Revision des überhöhten Schutzstatus des Wolfes. Die „baltisch-osteuropäische Population“ bestehe aus rund 8.000 Tieren und dieser sei daher nicht mehr zu rechtfertigen. Er appellierte weiterhin an die Landesregierung, die Jagd auf den Wolf endlich zuzulassen.4 Nordrhein-Westfalen ist aufgrund seiner geografischen Lage noch relativ wenig von der Wolfsproblematik betroffen. Gleichwohl kommt es immer wieder zu Zwischenfällen mit umherziehenden Wölfen. Seit vergangenem Jahr ist nun auch das erste standorttreue Tier nachgewiesen. Aufgrund der stark wachsenden Population in Deutschland ist es allerdings nur noch eine Frage der Zeit, bis auch hier mehr und mehr Wölfe heimisch werden. Gerade aber in 3 https://www.volksstimme.de/sachsen-anhalt/jagd-forscher-fuer-abschussquote-bei-woelfen - abgerufen am 6. Mai 2019 4 https://www.n-tv.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/Immer-mehr-Woelfe-Buendnis-fordertklarere -Regelungen-article20994441.html - abgerufen am 6. Mai 2019 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6545 3 Nordrhein-Westfalen wird dies mit besonders großen Problemen einhergehen, da das Bundesland von allen Flächenländern am dichtesten besiedelt ist. Eine sinnvolle und unideologische Wolfspolitik, die die berechtigten Interessen aller Bürger, aber auch des Umwelt- und Artenschutzes im Blick hat, muss daher frühzeitig und vorbeugend ein umfassendes Instrumentarium schaffen, um eine kontrollierte Ausbreitung des Wolfes ohne Gefahren für Menschen und Nutztiere zu gewährleisten. Die Ministerin für Umwelt. Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2443 mit Schreiben vom 13. Juni 2019 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Welche Maßnahmen und Vorgaben aus dem Antrag der regierungstragenden Fraktionen vom November vergangenen Jahres (Drs. 17/4299) wurden inzwischen umgesetzt? 2. Falls Maßnahmen und Vorgaben noch nicht umgesetzt wurden: Wie ist der Sachstand? Die Fragen 1 und 2 werden wegen des bestehenden Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Zur Umsetzung des am 17.01.2019 beschlossenen Antrags bedarf es vielfältiger Maßnahmen und Initiativen, deren Sachstand sich wie folgt darstellt: Das damalige Umweltministerium hat Anfang 2017 die „Richtlinien über die Gewährung von Billigkeitsleistungen und Zuwendungen zur Minderung oder Vermeidung von durch den Wolf verursachten wirtschaftlichen Belastungen“, die sog. „Förderrichtlinien Wolf“ (Runderlass vom 03.02.2017, MBl. NRW S. 85) in Kraft gesetzt. Mit diesen Richtlinien hat das Land Nordrhein- Westfalen den Rahmen geschaffen, um den Weidetierhaltungen eine finanzielle Unterstützung in Form von Billigkeitsleistungen und Zuwendungen zu gewähren, damit die mit der Rückkehr des Wolfes verbundenen wirtschaftlichen Belastungen verhindert oder reduziert werden können. Mit der Ende März dieses Jahres in Kraft getretenen Änderung der Förderrichtlinien Wolf (Runderlass vom 06.03.2019, MBl. NRW S. 122) hat das Land Nordrhein-Westfalen hier weitere deutliche Verbesserungen erzielt: der Fördersatz für investive Herdenschutz-Maßnahmen wurde von 80% auf 100% erhöht, zusätzlich zur bisherigen Förderung in ausgewiesenen Wolfsgebieten sind nun Herdenschutzmaßnahmen (Prävention) auch in Wolfsverdachtsgebieten sowie in den Pufferzonen um Wolfsgebieten förderfähig. Damit können in Nordrhein-Westfalen Herdenschutzmaßnahmen auch in den drei Pufferzonen „Schermbeck“, „Senne“ und „Stegskopf“ gefördert werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass von der finanziellen Unterstützung durch das Land nach den Förderrichtlinien Wolf private und gewerbliche Tierhaltungen gleichermaßen profitieren. Berufsschäfereien und Hobbyhaltungen werden gleichbehandelt. Der Bund hat Anfang des Jahres angekündigt, eine Förderung von Präventionsmaßnahmen gegen Wolfsübergriffe im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) vorzubereiten. Zur Umsetzung laufen zwischen dem für diesen Förderbereich federführenden Bundeslandwirtschaftsministerium und den LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6545 4 Ländern bereits konkrete Beratungen, die auch eine mögliche Förderung des Arbeitsaufwands bei Herdenschutzmaßnahmen beinhalten. Den von einem Wolfsübergriff betroffenen Weidetierhaltungen in Nordrhein-Westfalen wird nach Tierrissen umgehend und unbürokratisch geholfen. Innerhalb von 24 Stunden nach einem Schadensereignis ist ein Mitglied des landesweiten Wolfsberaternetzwerks beim Tierhalter vor Ort, um die näheren Umstände des Risses zu protokollieren und Proben für die genetische Analyse zur Feststellung des möglichen Verursachers Wolf zu nehmen. Somit fungieren die Wolfsberaterinnen und Wolfsberater als erste Ansprechpartner für die geschädigten Weidetierhaltungen, denen im Falle der Feststellung des Wolfs als Verursacher nach der amtlichen Wertermittlung die Billigkeitsleistung von den Bewilligungsbehörden unproblematisch schnell und unbürokratisch ausgezahlt werden kann. Das Bundeskabinett hat am 22.05.2019 den „Zweiten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“ beschlossen, der die von Seiten des Bundes geplanten Neuregelungen zum Wolfsmanagement beinhaltet. Inhalte dieses Gesetzentwurfs sind unter anderem ein Fütterungsverbot für Wölfe, eine Klarstellung zur Schadensschwelle sowie zum Herdenschutz und ein Gebot zur Entnahme von Hybriden. Dieser Gesetzentwurf wird in Kürze im Bundesrat beraten. Durch die aktuelle Einleitung des offiziellen Gesetzgebungsverfahrens einschließlich des Bundesratsverfahrens mit Beteiligung der Länder werden in Kürze die geänderten gesetzlichen Regelungen in Kraft treten. Speziell für den Umgang mit dem Wolf werden dann bundesweit einheitliche Regelungen gelten, die für mehr Klarheit und Rechtssicherheit sorgen werden. Insoweit bedarf es in Bezug auf das Fütterungsverbot keiner gesonderten gesetzlichen Regelung des Landes Nordrhein-Westfalen. Gleiches gilt für die Regelungen zum Umgang mit verhaltensauffälligen Wölfen. Hier bedarf es analog zu den bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelungen für die Genehmigung von Ausnahmen zusätzlich bundesweit abgestimmter einheitlicher Regelungen zum konkreten Vorgehen bei Wölfen mit auffälligem Verhalten. Für den Umgang mit Wölfen, die sich Menschen gegenüber auffällig verhalten, existiert bereits ein Konzept mit entsprechenden Handlungsempfehlungen der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf (veröffentlicht als BfN-Skript 502; https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/service/Dokumente/skripten/Skript502.pdf). Hier bedarf es seitens des Bundes ergänzend der verbindlichen Festlegung entsprechender Regelungen für Wölfe, die wiederholt empfohlene Herdenschutzmaßnahmen überwinden. 3. Hat die Landesregierung auf bundes- bzw. EU-Ebene Anstrengungen unternommen, um den Wolf angesichts seiner massiv wachsenden Population in Mitteleuropa aus den Anhängen II und IV in den Anhang V der FFH-Richtlinie zu überführen? Da sich der Wolf nach den fachlichen Bewertungen im Rahmen der maßgeblichen Fauna- Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) nach wie vor in einem „ungünstigen Erhaltungszustand“ befindet, ist der europarechtlich vorgegebene Schutzstatus des Wolfes unverändert aktuell und gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang hat die Europäische Kommission mehrfach betont, dass eine Änderung der FFH-RL zum Zwecke der Änderung des Schutzstatus des Wolfes nicht in Betracht kommt. Initiativen der Länder und des Bundes zur Änderung der FFH- RL sind daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgversprechend. Vor diesem Hintergrund sieht die Landesregierung hier derzeit keinen Handlungsbedarf. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6545 5 4. Können die Maßnahmen des Freistaats Sachsen (Abschusserlaubnis für Wölfe unter bestimmten Bedingungen) ein Vorbild für NRW sein? 5. Können Abschussquoten nach Vorbild der baltischen Staaten ein Vorbild für NRW sein? Die Fragen 4 und 5 werden wegen des bestehenden Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet: Das Land Nordrhein-Westfalen orientiert sich beim konkreten Umgang mit dem Wolf an dem europarechtlichen und bundesgesetzlichen Rahmen und soweit möglich an den bundeseinheitlich abgestimmten Vorgaben. Die Europäische Kommission vertritt zum Umgang mit problematischen Wölfen die Auffassung, dass das vorhandene Schutzregime des bundesrechtlichen Artenschutzrechts ausreichenden Handlungsspielraum bietet. Während in den baltischen Staaten der Wolf in Anhang V der FFH-Richtlinie gelistet ist, findet für Wölfe in Deutschland wegen des schlechten Erhaltungszustandes das strengere Schutzregime des Anhangs IV der FFH-Richtlinie Anwendung. Eine reguläre Jagd beziehungsweise Abschussquoten sind daher in Deutschland europarechtlich nicht zulässig. Insofern sieht die Landesregierung Abschussquoten für den Wolf nicht als Vorbild. Das Land Sachsen wird in Kürze eine Wolfsmanagementverordnung in Kraft setzen, mit der unter anderem fünf Situationen geregelt werden, in denen Wölfe gezielt vergrämt oder getötet werden dürfen. Dabei verbleibt die Entscheidung, ob ein Wolf vergrämt oder getötet werden darf, weiterhin bei den zuständigen Landkreisen beziehungsweise Kreisfreien Städten. Auch in Nordrhein-Westfalen liegt die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme bei den Landkreisen und den kreisfreien Städten. Bei der aktuellen Bestandssituation des Wolfes in Nordrhein-Westfalen sieht die Landesregierung keine Ansätze, die für Nordrhein-Westfalen hier einen Handlungsbedarf begründen würden.