LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6549 17.06.2019 Datum des Originals: 14.06.2019/Ausgegeben: 21.06.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2581 vom 31. Mai 2019 des Abgeordneten Dr. Christian Blex AfD Drucksache 17/6406 Sinkendes Vertrauen in staatlichen Verbraucherschutz Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aus der neuen Studie des Verbrauchermonitors vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ergibt sich, dass sich die Bundesbürger weniger Sorgen um Verbraucher- und Gesundheitsthemen machen. Insbesondere die Sorge um Antibiotika-Resistenzen ging deutlich zurück, aber auch die Sorge um Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln und ähnliche Belastungen. Trotz künstlicher Aufregung um die Qualität unserer Lebensmittel zeigt sich, dass der Verbraucher mündig genug ist zu erkennen, dass unsere in Deutschland angebotenen Lebensmittel sicher sind. Über Dreiviertel aller Verbraucher schätzen sie als sicher ein.1 Dass das Vertrauen in den staatlichen Verbraucherschutz im Vergleich zur Erhebung im Sommer 2018 um 7 Prozentpunkte auf 51 % gesunken ist, sollte jedoch nachdenklich machen. Möglicherweise hat das künstliche Aufbauschen vermeintlicher Skandale zu diesem sinkenden Vertrauen beigetragen. Einer Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft über Lebensmittelskandale in Deutschland von 2000 bis 2012 liefert in diesem Zusammenhang wichtige Erkenntnisse.2 Die meisten Lebensmittelskandale dauerten nur ca. 3 Monate, die längsten 8 Monate. Meist werden pro Jahr ein Skandal, seltener zwei Skandale in den Medien thematisiert. Die Analyse identifiziert 15 Lebensmittelskandale, die zu signifikanter Medienaufmerksamkeit führten. Des Weiteren heißt es: „In der Periode zwischen den Jahren 2000 und 2012 waren vor allem tierische Produkte Gegenstand von Lebensmittelskandalen. Dies deutet darauf hin, dass tierische Produkte und die vorgefallenen Störfälle in deren Produktion eine höhere Schadenswahrnehmung beim Verbraucher verursachen als 1 https://www.topagrar.com/panorama/news/bundesbuerger-weniger-besorgt-ueber-rueckstaende-inlebensmittel -11542011.html?utm_content=start 2 http://buel.bmel.de/index.php/buel/article/view/95/Kohne%2C%20Ihle.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6549 2 pflanzliche Produkte. Die Produktionsweise und ihr Nutzen sind den Konsumenten offensichtlich weniger zugänglich und führen daher eher zu Verunsicherungen, sodass sie eher verdächtigt werden, schädlich für die menschliche Gesundheit zu sein.“ Auffällig ist auch, dass Lebensmittelskandale häufig zu Beginn eines Jahres ihren Anfang nahmen, da die Medien bei den Verbrauchern nach den wichtigen Feiertagen eine hohe Sensibilität für den Themenkomplex erwarten. Kritisch wird in der Studie auch angemerkt, dass der Gesetzgeber sich tendenziell zu sehr von der öffentlichen Meinung und der sie auslösenden Wucht der Berichterstattung während eines Skandals dazu verleiten lässt, neue Gesetze zu verabschieden, um den Skandal mittels Aktionismus in politische Profilierung umzusetzen. Das geschieht, obwohl Potential und Ausmaß der Gesundheitsgefährdung der bisherigen Lebensmittelskandale häufig nicht so akut waren, wie medial dargestellt. Ein weiterer Aspekt von wirtschaftlicher und politischer Bedeutung ist das Ausmaß an Hysterie und Einseitigkeit in der Medienberichterstattung im Verlauf von Lebensmittelskandalen, da gerade das Aufdecken einer Lebensmittelkontaminierung nicht allein illegales Verhalten von einzelnen Akteuren in der Lebensmittelwertschöpfungskette bedeutet, sondern auch für die Qualität und das Funktionieren der existierenden Kontrollmechanismen spricht. Die Folgen von Lebensmittelskandalen auf politische Entscheidungsprozesse waren dennoch enorm, was anhand der häufig induzierten Gesetzesänderungen als plausibel erscheint. In der Ernährungswirtschaft sind jedoch temporär und langfristig signifikante Schäden entstanden.3 Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2581 mit Schreiben vom 14. Juni 2019 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Das EU-Recht legt eindeutig fest, dass die Lebensmittelunternehmer für die Sicherheit der Lebensmittel die Verantwortung tragen. Die Überwachungsbehörden setzen das Lebensmittelrecht durch und führen die Eigenkontrollen durch und kontrollieren Maßnahmen der Lebensmittelunternehmer. Ein Lebensmittelskandal ist im Lebensmittelrecht nicht definiert. Die EU legt in der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 fest, dass bei relevanten Geschehen in Bezug auf die Sicherheit der Lebensmittel mit möglichen Risiken auf die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher Krisenmanagementstrukturen aufzubauen sind. Bei dieser Definition wird auch berücksichtigt, dass „gefühlte“ Risiken vorliegen können. So können Geschehen, wie die Verarbeitung nicht deklarierten Pferdefleisches oder der Nachweis von Fipronil in Eiern, die keine gesundheitlichen Risiken haben, trotzdem das Vertrauen von Verbraucherinnen und Verbraucher in die Sicherheit der Lebensmittelkette beeinträchtigen. Deshalb werden sowohl vom EU-Recht als auch vom Bundesrecht diese Fälle mit berücksichtigt. 1. Wie bewertet die Landesregierung das sinkende Vertrauen in den staatlichen Verbraucherschutz vor dem Hintergrund der Logik medialer Berichterstattung über Lebensmittelskandale? 3 http://buel.bmel.de/index.php/buel/article/view/95/Kohne%2C%20Ihle.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6549 3 Die Landesregierung nimmt die Ergebnisse des Verbrauchermonitors des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zur Kenntnis. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Ergebnisse mit den aktuellen Tätigkeiten in der amtlichen Überwachung zusammenhängen, liegen der Landesregierung nicht vor. Eine „Logik“ medialer Berichterstattung über Lebensmittelskandale ist nicht erkennbar. Es ist jedoch Zielsetzung der amtlichen Lebensmittelüberwachung, das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Sicherheit der gesamten Lebensmittelkette zu erhalten und faktenbasiert zu informieren. 2. Wie bewertet die Landesregierung die Arbeit der Verbraucherzentrale NRW vor dem Hintergrund medialer Hysterie angesichts vergangener Lebensmittelskandale? Die Verbraucherzentrale NRW wird bei vielen Geschehen frühzeitig in die Informationsvermittlung eingebunden. Sie übernimmt unabhängig die Information und Beratung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie ist damit ein wichtiges Element im Rahmen der Krisenkommunikation. 3. Wie haben sich die finanziellen Zuwendungen des Landes an die Verbraucherzentrale NRW seit 2000 entwickelt? Die Verbraucherzentrale NRW erhält seit 2001 eine institutionelle Förderung aus dem Einzelplan 10 Kapitel 10 040. Bis einschließlich 2000 erfolgte die institutionelle Förderung aus dem Einzelplan 08. Die im Einzelplan 10 Kapitel 10 040 für die institutionelle Förderung der Verbraucherzentrale NRW zur Verfügung gestellten Mittel haben sich seit 2001 wie folgt entwickelt: Jahr Institutionelle Förderung Verbraucherzentrale NRW 2001 10.259.100.- € 2002 10.430.000.- € 2003 10.430.000.- € 2004 9.390.000.- € 2005 9.390.000.- € 2006 8.900.000.- € 2007 8.900.000.- € 2008 8.800.000.- € 2009 9.020.000.- € 2010 9.650.000.- € 2011 10.650.000.- € 2012 11.450.000.- € 2013 12.250.000.- € 2014 13.050.000.- € 2015 13.850.000.- € 2016 13.988.500.- € 2017 14.278.400.- € 2018 14.960.000.- € 2019 15.780.000.- € LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6549 4 4. Welche der seit 2000 stattgefundenen Lebensmittelskandale zogen Gesetzesänderungen nach sich? Im Folgenden sind relevante Geschehnisse aus dem Bereich der Lebensmittel- und Futtermittelkette aufgeführt, die zu Gesetzesänderungen geführt haben: Das Geschehen um die Bovine spongiforme Encephalopathie (BSE) hat auf EU- und Bundesebene mit zu einer grundlegenden Neuordnung des Lebensmittelrechts beigetragen. So wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 über Lebensmittelsicherheit die strikte Trennung zwischen Risikobewertung und Risikomanagement eingeführt. Der Vorsorgegesichtspunkt ist seitdem zentrales Element im Lebensmittelrecht. Diverse Dioxingeschehen wurden sowohl in den 90er Jahren als auch später festgestellt. Diese führten zur Anpassung der EU-Rechtsvorschriften in Bezug auf Höchstgehalte für Dioxine und dl-PCB (dioxinähnliche polychlorierte Biphenyle). Zuletzt wurde in Deutschland aufgrund eines Dioxingeschehens das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch durch § 44a Mitteilungs- und Übermittlungspflichten über Untersuchungsergebnisse zu gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen ergänzt. Die so genannten Gammelfleischgeschehnisse in den Jahren 2005 und 2006 führten zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift im Schnellwarnsystem. Die Geschehnisse um die nicht deklarierte Verarbeitung von Pferdefleisch waren mit Anlass, § 40 Abs. 1a des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs über Information der Öffentlichkeit einzuführen. Das Fipronilgeschehen war mit Anlass, die EU-Regelungen zum Schnellwarnsystem in Bezug auf gesundheitliche Risiken, Verwaltungszusammenarbeit und Lebensmittelbetrug zu präzisieren. Das Geschehen um Enterohämorraghische Escherichia coli (EHEC) im Jahr 2011 führte zur Änderung der EU-Anforderungen an sprossenerzeugende und verarbeitende Betriebe. In Deutschland war dies Anlass, den Bund-Länder-Vertrag über die Zusammenarbeit in Krisenfällen abzuschließen. 5. Inwiefern entsprach das objektive Risiko der vergangenen Lebensmittelskandale den sich daraus ergebenden politischen Folgen? Unter der Prämisse, dass wie im EU-Recht vorgesehen nicht nur objektivierbare Gefahren und damit verbundene Risiken für die menschliche Gesundheit, sondern auch gefühlte Risiken in der Überwachung zu berücksichtigen sind, zeigt die Zusammenschau vieler Geschehen, dass die Anpassungen und Weiterentwicklungen im Lebensmittelrecht richtig sind.