LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6630 21.06.2019 Datum des Originals: 21.06.2019/Ausgegeben: 26.06.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2527 vom 15. Mai 2019 des Abgeordneten Alexander Langguth FRAKTIONSLOS Drucksache 17/6277 Die Partei „Die Rechte“: Antisemitische Slogans im Europawahlkampf Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aufgrund von anti-israelischen Parolen auf zwei Europawahlplakaten der Partei „Die Rechte“ erstattete der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe Anzeige wegen Volksverhetzung. Gegenstand der Strafanzeige sei unter anderem ein Plakat mit dem Slogan „Israel ist unser Unglück!“1. Dem deutsch-jüdischen Publizisten Henryk M. Broder nach sei es „ein kleiner Trick, der vor Verfolgung und Strafe schützen soll“2, dass „Die Rechte“ das Wort „Israel“, und nicht „Juden“, benutzt. Er beklagt einen Mangel an zivilgesellschaftlichem Widerstand in der Angelegenheit und fragt, wo „[d]er Aufstand der Anständigen“3 bleibe. In Broders „WELT“-Kolumne wird der zuständige Kölner Staatsanwalt zitiert, welcher befindet, „dass es sich bei der fraglichen Wahlwerbung zweifelsohne um Antisemitismus“4 handele. Der alte, nahezu identische Satz „Die Juden sind unser Unglück!“ ist im Jahre 1879 von Heinrich von Treitschke, einem preußischen Historiker und Politiker, geprägt worden und wurde vom ehemaligen nationalsozialistischen Wochenblatt „Der Stürmer“ übernommen.5 Trotz des konstatierten judenfeindlichen Charakters der Wahlkampfmotive von „Die Rechte“ erklärt der Kölner Staatsanwalt, der Straftatbestand der Volksverhetzung liege nicht vor, da „eben nicht ‚die Juden‘, sondern allein und ausdrücklich ‚Israel‘ angesprochen“6 werde. Ein Sprecher des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden attestiert dem verwendeten (Teil-)Zitat „eine 1 https://rp-online.de/nrw/panorama/nrw-juedische-gemeinden-zeigen-die-rechte-wegenvolksverhetzung -an_aid-38626241 (abgerufen am 08.05.2019) 2 https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus193010289/Wahlplakat-von-Die-Rechte-in-Koeln-Wobleibt -der-Aufstand-der-Anstaendigen.html (abgerufen am 08.05.2019) 3 ebd. 4 ebd. 5 ebd. und https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-heinrich-von-treitschke-historikertodestag --100.html (abgerufen am 08.05.2019) 6 ebd. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6630 2 bewusste Verherrlichung des Nationalsozialismus“7. Zudem könne der zweite Teil des Slogans, „Schluss damit!“, nur als „Aufforderung zur Vernichtung Israels verstanden werden“8. Im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2017 wird als Grund der Beobachtung von „Die Rechte“ u. a. die Störung einer Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht genannt, wo Parteianhänger „Nie wieder Israel“9 skandiert haben. Im Antrag „Nordrhein-Westfalen braucht einen Antisemitismusbeauftragten“ behaupten die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Landtag würde jegliche Form von Antisemitismus „aufs Schärfste“10 verurteilen. Die Bekämpfung des Antisemitismus liege auch „in der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem Judentum und dem Staat Israel“11 begründet. Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 2527 mit Schreiben vom 21. Juni 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten, dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister des Innern, der Ministerin für Schule und Bildung sowie der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Justiziabilität des Wahlplakat-Slogans „Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“ von „Die Rechte“ speziell vor dem Hintergrund, dass der erste Teil sich nur in einem Wort vom Untertitel des ehemaligen nationalsozialistischen Wochenblatts „Der Stürmer“ unterscheidet? Die Justiziabilität von Wahlslogans, d. h. ihre Eigenschaft, justiziellen Entscheidungen zugänglich zu sein, ist sowohl in straf- als auch in verwaltungsrechtlicher Hinsicht zu bejahen und in einem Rechtsstaat Selbstverständlichkeit. 2. Ist für die Landesregierung ein antisemitischer bzw. volksverhetzender Charakter des obigen Wahlkampfspruchs erkennbar? (Falls ja/nein: Bitte begründen) Der Verfassungsschutz bewertet die Plakate mit der Aufschrift „Wir hängen nicht nur Plakate“ und „Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“ als Ausdruck der aggressivkämpferischen verfassungsfeindlichen Ausrichtung der Partei „Die Rechte“. Die Plakatmotive folgen der von „Die Rechte“ seit einigen Jahren verfolgten Doppelstrategie von Provokation und Einschüchterung, um eine möglichst große öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Der Slogan „Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“ ist als antisemitisch zu bewerten. Er ist eine bewusste Anspielung auf den Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der seit 1927 auf allen Titelseiten des in der Zeit des Nationalsozialismus von Julius Streicher herausgegebenen antisemitischen Wochenblattes „Der Stürmer“ stand. 7 https://www.welt.de/regionales/nrw/article193115557/Juedische-Gemeinden-zeigen-Die-Rechtewegen -Volksverhetzung-an.html (abgerufen am 08.05.2019) 8 https://www.welt.de/regionales/nrw/article193115557/Juedische-Gemeinden-zeigen-Die-Rechtewegen -Volksverhetzung-an.html 9 https://www.im.nrw/sites/default/files/media/document/file/VS_Bericht_2017.pdf (S. 53 [S. 30 in der PDF-Ansicht], abgerufen am 08.05.2019) 10 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-2749.pdf (abgerufen am 08.05.2019) 11 ebd. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6630 3 Dementsprechend ist auch ein volksverhetzender Charakter der vorbezeichneten Äußerungen erkennbar. Ob auch eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung vorliegt, unterliegt der mit der Frage 1 angesprochenen Justiziabilität. 3. Falls die Landesregierung die in Frage 1 und 2 thematisierte Justiziabilität und/oder den antisemitischen Charakter des Wahlkampfspruchs als gegeben erachtet, welche Maßnahmen wird sie daraus ableiten? Die Landesregierung wird sich weiterhin mit großem Nachdruck für Toleranz und gegenseitigen Respekt einsetzen und Antisemitismus in jedweder Form entschlossen entgegentreten. 4. Wie viele Fälle strafrechtlich relevanter antisemitisch motivierter Übergriffe und Propagandadelikte, die von Mitgliedern von „Die Rechte“ oder ihr nahestehenden Personen begangen wurden, sind der Landesregierung für die letzten fünf Jahre bekannt? (Bitte aufschlüsseln nach Anfangsverdacht, Ermittlungsverfahren und Verurteilung) Dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen liegen keine Mitgliederlisten für die Partei „Die Rechte“ vor. Eine gesonderte statistische Erfassung von Fällen der erfragten Art erfolgt auch in den Datenbanken der Justiz nicht. Eine Beantwortung der Frage ist daher nicht möglich. 5. Vor dem Hintergrund, dass die Landesregierung in ihrem oben zitierten Antrag die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber dem Judentum und dem Staat Israel betont: Plant die Landesregierung, ggf. in Kooperation mit der Antisemitismusbeauftragten, weitere Projekte und Initiativen, die für das Phänomen des Antisemitismus, der häufig im Gewand angeblicher Israelkritik in Erscheinung tritt, sensibilisieren? (Bitte Kurzbeschreibung der Projekte und voraussichtlichen Start-/Veröffentlichungstermin angeben) Die Antisemitismusbeauftragte soll nach dem Beschluss des Landtags (Drucksache 17/2749) unter anderem präventive Maßnahmen der Antisemitismusbekämpfung koordinieren und Ansprechpartnerin für Opfer von antisemitischen Taten sein. Nach ihrer Berufung im November 2018 ist die Antisemitismusbeauftragte in einer ersten Phase ihrer Arbeit damit befasst, sich einen Überblick über die bereits vorhandenen Maßnahmen zu verschaffen und führt dazu Gespräche mit den jeweiligen Ressorts der Landesregierung. Ebenso führt sie Gespräche mit Vertretern der jüdischen Verbände, der Religionsgemeinschaften, wie auch zivilgesellschaftlichen Organisationen, um Bedarfe zu ermitteln und dort bestehende Angebote kennenzulernen. Auf dieser Basis wird sie prüfen, ob und inwieweit bestehende Maßnahmen gestärkt oder anderweitige Projekte und Initiativen angestoßen werden müssen. Die Antisemitismusbeauftragte wird dem Landtag jährlich einen Bericht über ihre Arbeit vorlegen und dort Empfehlungen zur Bekämpfung des Antisemitismus in unserem Land geben. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz greift das Thema Antisemitismus regelmäßig bei Vorträgen auf. Auch der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018 wird sich in einem gesonderten Abschnitt mit dem Antisemitismus im Extremismus befassen. Das Ministerium des Innern veranstaltet darüber hinaus am 23. September 2019 gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf sowie dem „Düsseldorfer Appell“ eine ganztägige Tagung zum Antisemitismus. In diese Tagung ist auch die Antisemitismusbeauftragte des Landes eingebunden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6630 4 Im Rahmen des Förderprogramms der „Integrationsagenturen für die Belange von Menschen mit Migrationshintergrund“ fördert das Land zudem dreizehn Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit in Trägerschaft der Freien Wohlfahrtspflege Nordrhein-Westfalen. Die Servicestellen sind dabei landesweit verortet. Sie zeigen Fälle rassistischer und struktureller Diskriminierung in der Gesellschaft auf, gehen gegen jede Form von Ausgrenzung vor und bieten Betroffenen Beratung und Unterstützung an. Als eine Servicestelle mit dem besonderen Schwerpunkt Antisemitismus wurde dabei SABRA (Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit - Beratung bei Rassismus und Antisemitismus) im Jahr 2017 in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf gegründet. SABRA leistet qualifizierte Beratungs- und Präventionsarbeit; so setzt sie umfangreiche Maßnahmen zur Antisemitismusprävention in der Schule um, leistet Sensibilisierungs- und Netzwerkarbeit und fungiert überregional als Informationsstelle zum Thema Antisemitismus. Das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen und die Jüdische Gemeinde Düsseldorf als Trägerin der SABRA, beabsichtigen ferner, eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Antisemitismus in nordrhein-westfälischen Schulen ab dem Schuljahr 2019/2020 zu vereinbaren. Die Zusammenarbeit soll sich an der Gemeinsamen Erklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Kultusministerkonferenz zur Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur in der Schule (Beschluss des Präsidiums des Zentralrats der Juden in Deutschland vom 1. September 2016 und Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 8. Dezember 2016) orientieren. Sie ist Teil der Maßnahmen des Ministeriums für Schule und Bildung zur Bekämpfung von Antisemitismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Auch innerhalb des Programms zur Förderung von Migrantenselbstorganisationen (MSO- Förderprogramm) werden mehrere Maßnahmen gegen Antisemitismus in verschiedenen Teilen Nordrhein-Westfalens gefördert. In der Landesjustiz wird dem Thema Antisemitismus ebenfalls große Bedeutung beigemessen. So erfassen die Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen seit Juli 2018 nach bundeseinheitlichen Kriterien die Anzahl der Ermittlungsverfahren wegen Straftaten, die als Hasskriminalität zu klassifizieren sind, die Anzahl der ermittelten Beschuldigten, die Anzahl der erlassenen Haftbefehle, die Art des Verfahrensabschlusses bei den Staatsanwaltschaften und die Sanktionen im Fall der Verurteilung, um das Ausmaß und die Entwicklung des Phänomens auch anhand justizieller Daten besser einschätzen zu können. Dabei werden insbesondere die Straftaten mit antisemitischem Hintergrund gesondert ausgewiesen. Seit 2017 sind zudem für den Justizvollzug Nordrhein-Westfalen im Zuge der Aus- und Fortbildung von Integrationsbeauftragten sowie von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für interkulturelle Kompetenz Fortbildungsangebote betreffend gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit entwickelt und durchgeführt worden. Die Formate befassten sich präventiv mit rassistischen Phänomenen sowie „importiertem“ oder auch bestehendem Antisemitismus. Ferner haben sich die Veranstaltungen gegen die Verbreitung entsprechender Stereotypen gerichtet. Das Zentrum für Interkulturelle Kompetenz Nordrhein-Westfalen (ZIK NRW) wird in Kürze in Kooperation mit der „Villa ten Hompel“ in Münster weitere Fortbildungen zum Thema Rassismus entwickeln, in die eigene Kapitel zum Antisemitismus und zum Antiziganismus implementiert werden sollen. Diese Formate richten sich dann auch an die Gerichte und Staatsanwaltschaften. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6630 5 Aktuell hat das ZIK NRW eine neue Veranstaltungsreihe (je drei Ein-Tagesveranstaltungen) aufgelegt, die sich an Führungskräfte aller Laufbahngruppen im nordrhein-westfälischen Justizvollzug und in den Gerichten und Staatsanwaltschaften des Landes richtet. Hier werden folgende Themen behandelt: „Die Welt ist interkulturell - wir auch?“ „Diversität als Chance erkennen“ „Ich bin kein Rassist,…aber man wird das doch noch sagen dürfen!“ In diesem Zusammenhang werden ebenfalls Antizionismus und Antiziganismus angesprochen. Darüber hinaus ist derzeit im ZIK NRW ein Fortbildungsformat in Vorbereitung, das den Umgang mit „Stammtischparolen“ behandeln wird. In diesem Rahmen sollen Argumentationshilfen gegen rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Parolen vermittelt werden. Ferner plant die Zweigstelle des ZIK NRW in der Justizvollzugsanstalt Remscheid für den Justizvollzug konkret noch folgendes Angebot: Gegen Ende 2019 soll in Zusammenarbeit mit einem geeigneten externen Partner das Thema „Antisemitismus“ in den Jugendvollzugsanstalten behandelt werden. Mit Hilfe eines Seminars sollen Vorurteile der Gefangenen abgebaut werden, wobei das Format bei Bedarf auch für die Bediensteten der Justizvollzugsanstalten angepasst werden kann. Schließlich werden durch die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen unterschiedliche Projekte umgesetzt und gefördert, die sich mit Antisemitismus in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen auseinandersetzen. Darüber hinaus hat die Landeszentrale für politische Bildung sowohl in ihrem Multimedia- als auch in ihrem Publikationsangebot Titel, die das Thema Antisemitismus aus verschiedenen Perspektiven behandeln. Hierzu gehören etwa das Buch „Globaler Antisemitismus“ von Prof. Dr. Samuel Salzborn oder die Dokumentation „Junge Muslime in Auschwitz“. Zu den weiteren Projekten der Landeszentrale für politische Bildung gehören (Auswahl): • Ausstellung „Du Jude!“ – Alltäglicher Antisemitismus in Deutschland • Projekttage „Aktueller Antisemitismus in Deutschland“ • Projekt „Antisemi…was? Reden wir darüber!“ (von der Landeszentrale gefördertes Kooperationsprojekt des Jüdischen Museums Westfalen, Dorsten, und des Geschichtsorts „Villa ten Hompel“, Münster)