LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6637 24.06.2019 Datum des Originals: 21.06.2019/Ausgegeben: 27.06.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2536 vom 15. Mai 2019 der Abgeordneten Stefan Kämmerling, Karl Schultheis und Eva-Maria Voigt-Küppers SPD Drucksache 17/6312 Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Lieferung von Brennelementen aus Deutschland an die „Pannenreaktoren“ in Belgien? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Ausstieg aus der Kernenergie ist in Deutschland beschlossene Sache. Denn bei der Produktion von Atomstrom kommen Kräfte zum Einsatz, die im Falle eines Unfalls katastrophale Folgen haben können für Mensch und Natur. Gleichwohl leben wir als das am dichtesten besiedelte Bundesland, insbesondere in den Grenzregionen, mit einer ständigen abstrakten Gefahr, hervorgerufen durch die im benachbarten Ausland weiterhin produzierenden Atomkraftwerke. Auch, weil an dem Atommeiler in Tihange in den letzten Jahren immer wieder Risse festgestellt worden waren. Seitdem gibt es eine grenzübergreifende Bürger-Initiative gegen das AKW mit Unterstützern aus Deutschland, Belgien, Niederlanden und Luxemburg. In der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens und vielen anderen Teilen der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere in den grenznahen Regionen, besteht große Sorge in Bezug auf die Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung in den angrenzenden Nachbarländern. Wenn wiederholt Zwischenfälle auftreten und technische Auffälligkeiten in diesen kerntechnischen Anlagen festgestellt werden, wird das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger empfindlich berührt. Trotz der Risse in den Druckbehältern der belgischen Atomkraftwerke Tihange II und Doel III, die die Aufmerksamkeit der Bundesregierung vor Jahren erregt hatten, gelten die Reaktorblöcke inzwischen als sicher. Die Risse seien bereits bei der Herstellung entstanden und stellten auch im Störfall kein zusätzliches Risiko dar, berichtete der Spiegel im Juli 2018.1 Dass die umstrittenen Meiler Tihange II und Doel III ausgerechnet mit deutscher Hilfe betrieben werden, ist seit dem Frühjahr 2017 bekannt. Genauso lange gibt es Forderungen 1 https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/tihange-2-und-doel-3-experten-halten-belgische-akwfuer -sicher-a-1217598.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6637 2 nach einer Beendigung der Exporte.2 Besonders aus NRW waren diese Forderungen sehr laut. Bereits aus der Opposition heraus hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet harsche Kritik geübt. Der Ausfuhrstopp sei „ohne weiteres rechtlich möglich“. „Wer einem Brandstifter das Feuer legen verbietet und ihm gleichzeitig den Brandbeschleuniger liefert, spielt ein falsches Spiel“, hieß es 2017 in einem Antrag, den Laschet unterzeichnete.3 Noch im Oktober 2018 zitierten die Aachener Nachrichten4 Laschets Sprecher Moritz Kracht mit den Worten: „Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, den Prüfauftrag umzusetzen, einen solchen Exportstopp auf rechtssichere Weise zu erreichen.“ Einen Monat später intrigierte die NRW-Landesregierung gegen starke und weitgehende Initiativen anderer Bundesländer im Bundesrat und gegen die Initiative von Baden-Württemberg zum Exportverbot von Brennelementen.5 Ein Teilerfolg scheint dennoch erreicht: Anfang Oktober gab die Bundestagsabgeordnete der Grünen, atompolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, auf ihrer Website bekannt, dass Urenco in Zukunft auf Uranlieferungen von Gronau nach Belgien verzichten wolle.“6 Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 2536 mit Schreiben vom 21. Juni 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie sich auf verschiedenen Ebenen für eine sofortige und endgültige Stilllegung der belgischen Kernkraftwerke Tihange und Doel einsetzt. In diesem Zusammenhang wird u.a. auf die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1777 (LT-Drucksache 17/4822 vom 15. Januar 2019) hingewiesen. Die in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage 2536 formulierte Unterstellung, die nordrheinwestfälische Landesregierung habe im Bundesrat „intrigiert“ wird zurückgewiesen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat im November 2018 beim Bundesrat ein Änderungsantrag zu einem Antrag des Landes Baden-Württemberg eingebracht, der sich präziser dem Kernkraftwerk Tihange widmete. Im weiteren Beratungsverfahren ist aus diesen Anträgen ein gemeinsamer Antrag der Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Rheinland-Pfalz entwickelt worden („Entschließung des Bundesrates zur Reduktion des von grenznahen Kernkraftwerken ausgehenden Risikos für die Bevölkerung in Deutschland“, Drucksache 512/2/18). Dieser Antrag ist in der Sitzung des Bundesrats am 15. Februar 2019 beschlossen worden. In der Sitzung des Bundesrats stellte der badenwürttembergische Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Franz Untersteller zur Entstehung des gemeinsamen Antrags fest: „Mit großer Ernsthaftigkeit haben wir uns jedoch um einen Kompromiss in diesen Fragen bemüht. Und die intensiven Bemühungen haben sich, 2 https://www.aachener-nachrichten.de/nrw-region/tihange/brennelemente-fuer-tihange-gruene-undnrw -uneins_aid-33729133 3 https://www.aachener-nachrichten.de/nrw-region/tihange/brennelemente-fuer-tihange-gruene-undnrw -uneins_aid-33729133 4 https://www.aachener-nachrichten.de/nrw-region/tihange/brennelemente-fuer-tihange-gruene-undnrw -uneins_aid-33729133 5 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/brennelemente-export-nrw-100.html 6 https://kotting-uhl.de/site/kein-angereichertes-uran-aus-gronau-fuer-doel-und-tihange/ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6637 3 wie ich finde, gelohnt. Wir können einen Antrag vorlegen, der uns in der Sache selbst weiterbringt.“ Mit Ziffer 5 des Beschlusses bittet der Bundesrat die Bundesregierung, die Prüfung zur Verhinderung des Einsatzes deutscher Kernbrennstoffe in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, unverzüglich zu beginnen und zügig einen rechtssicheren und europarechtskonformen Weg aufzuzeigen, wie ein solcher Export verhindert werden kann, und diesen durch konkrete Maßnahmen schnellstmöglich umzusetzen. 1. Seit wann beliefert die Urananreichungsanlage im westfälischen Gronau nicht mehr die genannten Reaktoren in Belgien? 2. Seit wann weiß die Landesregierung, dass die sogenannten „Pannen-Reaktoren“ Tihange II und Doel III nicht mehr mit deutschen Brennelementen beliefert werden? Die Fragen 1 und 2 werden auf Grund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Urenco-Gruppe reichert im Auftrag ihrer Kunden Uran an und liefert dieses an Brennelementfabriken, in denen es zu Brennelementen für Kernkraftwerke verarbeitet wird. Die Urenco Ltd. hat weltweit langfristige Lieferverträge, die je nach Kunde von verschiedenen Anreicherungsanlagen erfüllt werden. Unmittelbar nachdem sie davon Kenntnis erhielt, hat die Landesregierung in der Sitzung des Landtages am 21. Dezember 2017 (Plenarprotokoll 17/17) mitgeteilt, dass die Urenco Deutschland GmbH nach eigener Erklärung bis auf Weiteres von der Zentrale in England keine Produktionsaufträge mehr für belgische Kernkraftwerke erhalten wird. Diese Aussage hat weiterhin Bestand. 3. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Lieferung von Brennelementen aus deutscher Produktion an Belgien? 4. Wie hat sich die Landesregierung versichert, dass die genannten Reaktoren mit Kernelementen aus deutscher Produktion beliefert wurden? Die Fragen 3 und 4 werden auf Grund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie ist bzgl. der Tätigkeiten der Urenco Deutschland GmbH in Gronau die atomrechtliche Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde. Die Lieferung von angereichertem Uran in das Ausland bedarf der Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein- Westfalen ist hierbei nicht involviert. Ergänzend wird auf die Antwort zu den Fragen 1. und 2. hingewiesen.