LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/671 18.09.2017 Datum des Originals: 18.09.2017/Ausgegeben: 21.09.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 170 vom 4. August 2017 der Abgeordneten Michael Hübner und Karl Schultheis SPD Drucksache 17/306 Lieferungen von atomarem Material für belgische Atomkraftwerke Tihange und Doel – Problemlösung statt geistiger Brandstiftung Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Landtag NRW hat sich in der 16. Wahlperiode mehreren und meist fraktionsübergreifend unterstützten Initiativen mit der besorgniserregenden Situation der Kernkraftwerke Tihange und Doel in Belgien befasst (z.B. Drucksache 16/13612). Gemeinsames Ziel war es, dass die genannten Kernkraftwerke aufgrund der zahlreichen technischen Pannen und der hohen Sicherheitsrisiken für die Bevölkerung in NRW stillzulegen sind. Am 28. März 2017 wurde bekannt, dass im Zeitraum von Juni 2016 bis März 2017 68 Brennelemente aus dem niedersächsischen Lingen nach Belgien geliefert wurden. Dies geschah, obwohl bereits seit Jahren bekannt ist, dass in den belgischen Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 zahlreiche Risse im Material der Reaktordruckbehälter gefunden wurden. Seit der Wiederinbetriebnahme 2015 wurden die Reaktoren immer wieder auf Grund von Zwischenfällen abgeschaltet bzw. heruntergefahren. Die SPD-geführte Landesregierung hatte sich zuletzt in intensiven Gesprächen mit Nachdruck bei der Bundesregierung darum bemüht, dieses Ziel zu erreichen. Auch der am 30.03.2017 beschlossene Beitritt des Landes NRW zur Klage der Städteregion Aachen gegen die Verlängerung der Betriebsgenehmigung für den Reaktor in Tihange dient diesem Zweck. Darüber hinaus ist es im Zuge des konsequenten Atomausstiegs, wie in die SPD-geführte Bundesregierung 2002 beschlossen hat, auch das Ziel, die Produktion und Auslieferung von atomaren Brennelementen und angereichertem Uran einzustellen. Hierzu sind sowohl durch die frühere Landesregierung wie auch durch die derzeitige Bundesregierung bereits Gutachten eingeholt worden, die die juristischen Möglichkeiten sowohl zur Einstellung der Produktion von Brennelementen im nordrhein-westfälischen Gronau wie auch der Verhinderung weiterer Brennelementelieferungen an die Pannenreaktoren bewerten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/671 2 In dem Entschließungsantrag Ds. 16/14777 von CDU und FDP vom 5.4.2017 versuchten die Antragteller in einem durchsichtigen Wahlkampfmanöver den Eindruck zu erwecken, die rechtlichen Möglichkeiten zur Einstellung der Brennelementelieferungen würden durch die Bundesregierung nicht ausgeschöpft und die Sicherheit der Bevölkerung in NRW sei dadurch sowie durch angeblich verantwortungsloses Handeln der damaligen Landesregierung bzgl. der Lagerung vom atomarem Material in Jülich gefährdet. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 170 mit Schreiben vom 18. September 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet. 1. Welche Schritte hat die neue Landesregierung im Unterschied zu ihrer Vorgängerin unternommen, um für eine sichere Lagerung der Jülicher Atomkugeln „ohne schuldhaftes Verzögern“ durch das Forschungszentrum Jülich zu sorgen? Die Jülicher Gesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN) als atomrechtlich verantwortliche Betreiberin des heutigen AVR-Behälterlagers, der seitens der Landesatomaufsicht die unverzügliche Räumung des Lagers aufgegeben ist, führt die Planungen zur Entfernung der Kernbrennstoffe aus dem Lager in Jülich fort. Sie verfolgt weiterhin die bekannten drei Optionen (Neubau, Verbringung nach Ahaus, Verbringung in die USA), die sämtlich bedeuten, dass die Brennelemente nicht an ihrem heutigen Aufbewahrungsstandort verbleiben. 2. Auf Basis welcher rechtlichen Bewertung hält die neue Landesregierung einen Exportstopp von Brennelementelieferungen an die genannten Atomkraftwerke Tihange und Doel für durchsetzbar? 3. Welche Bewertung seitens der CDU-geführten Bundesregierung, insbesondere seitens des Bundeskanzleramtes, über die rechtlichen Möglichkeiten zur Einstellung der Lieferungen von Brennelementen und anderem atomaren Material liegen der Landesregierung vor und wie bewertet sie diese? Die Fragen 2 und 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Ein Gutachten, welches die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW) in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Ergebnis, dass ein Exportstopp möglich sei. Folgt man der dortigen Rechtsansicht, so könnte § 3 Abs. 3 Nr. 2 Atomgesetz (AtG) die Grundlage für ein Exportverbot darstellen, da die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet sein könnte. Die Bewertung des innerhalb der Bundesregierung für diese Fragen federführend zuständigen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), für einen Exportstopp von Brennelementelieferungen bestehe keine rechtlich belastbare Grundlage, beruht auf einem vom BMUB zu dieser Frage in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten. Der Landesregierung liegt diese „Rechtliche Begutachtung der Genehmigung nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 AtG für die Ausfuhr von Kernbrennstoffen nach Belgien und Frankreich“, erstellt von Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, vor. Eine darüber hinausgehende oder gesonderte Bewertung dieser Fragen seitens des Bundeskanzleramts ist der Landesregierung nicht bekannt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/671 3 4. Auf welche Mitglieder der Bundesregierung bezieht sich unter Berücksichtigung der Antwort zu Frage 3 nach Auffassung der Landesregierung der von CDU und FDP in Drs. 16/14777 geäußerte Vergleich mit jemandem, der einem Brandstifter Brandbeschleuniger aushändigt? Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung, die Intention Antrag stellender Fraktionen bei deren parlamentarischer Arbeit in einer zurückliegenden Legislaturperiode des Landtags zu ergründen und einzelne Formulierungen im Nachhinein zu interpretieren. 5. Welche Schritte –abgesehen von entsprechenden Presseverlautbarungen- hat die neue Landesregierung unternommen, um auf die Stilllegung der Atomkraftwerke Tihange und Doel hinzuwirken und wie unterscheiden sich diese von der Vorgängerregierung? Es wurden u.a. Gespräche mit der Bundesregierung aufgenommen. Es wurde auch bereits mit den zuständigen belgischen Stellen und dem hiesigen Übertragungsnetzbetreiber Amprion Kontakt aufgenommen, um die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Energieversorgung zu intensivieren, was letztlich zur faktischen Entbehrlichkeit insbesondere der Kernkraftwerke Tihange 2 und Doel 3 führen soll. Zudem unterstützt die Landesregierung mehrere Verfahren gegen den weiteren Betrieb der Kernkraftwerke. Derzeit sind insgesamt vier Verfahren mit Beteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Sache anhängig: 1. eine verwaltungsrechtliche Klage vor dem belgischen Staatsrat gegen die Genehmigung des Wiederanfahrens von Tihange 2 durch die belgischen Behörden, 2. eine zivilrechtliche Klage gegen den Betrieb von Tihange 2 gegen den Betreiber, 3. eine Beschwerde an das Espoo-lmplementation-Comittee wegen der Laufzeitverlängerung von Tihange 1 und Doel 1 und 2; eine parallele Beschwerde an die EU-Kommission wurde seitens der Kommission am 27. Juli 2017 geschlossen, die Landesregierung prüft insoweit die Möglichkeit weiterer Schritte. Auch prüft die Landesregierung im engen Austausch mit den Vertretern der betroffenen Region weitere rechtliche Schritte, insbesondere im Bereich des Beihilferechts.