LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/6781 04.07.2019 Datum des Originals: 03.07.2019/Ausgegeben: 09.07.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2605 vom 6. Juni 2019 des Abgeordneten Alexander Langguth FRAKTIONSLOS Drucksache 17/6484 Wohnungslosigkeit in Wechselwirkung mit psychischen Problemen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Oft sind es Schicksalsschläge, die Menschen das innere Gleichgewicht verlieren lassen und die für sie schließlich zu Wohnungslosigkeit führen – was dann noch ein weiterer schwerer Schicksalsschlag ist. Lag eine seelische Erkrankung nicht schon vorm Eintritt der Wohnungslosigkeit vor, so kommt es oft dazu, wenn jemand kein Zuhause mehr hat, sozialer Ächtung und Unsicherheit ausgesetzt ist sowie den Gefahren des Lebens auf der Straße und selbst in Gemeinschaftsnotunterkünften. Der Geschäftsführer des katholischen Vereins für soziale Dienste in Paderborn erklärt, warum es für Wohnungslose unter anderem oft schwer ist, Hilfsangebote anzunehmen: „Häufig liegen psychische Erkrankungen zugrunde.“ Und weiter: „Dann gibt es aber auch Menschen, für die der Weg zurück in das System schwierig ist, weil sie ein gebrochenes Selbstwertgefühl haben, wenn sie zuvor lange als Mensch zweiter Klasse behandelt wurden.“1 Die „Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe“ (BAG W) kritisiert, dass Restriktionen beim Einlass in Notunterkünfte auch dazu führten, dass Obdachlose nicht unterkämen.1 Wer alkoholisiert sei, mit Hund käme oder mit großen psychischen Problemen vor der Tür stehe, dürfe nicht bei jeder Einrichtung ins Warme, führt die Geschäftsführerin der BAG W aus.1 So nachvollziehbar diese Regeln sind, bedeuten sie doch auch, dass Menschen mit erheblichen psychischen Erkrankungen inklusive Suchterkrankungen ohne Zugang zur Notunterkunft mitunter buchstäblich im Regen stehen bleiben. Für viele, die auf der Straße leben, ist ihr Hund eine wichtige psychische Stütze als Sicherheitsfaktor, letzter Besitz und Ansprechpartner. Aufgabe des Hundes als Vorbedingung für trockene Nächte in einer Notunterkunft ist für sie daher kein echtes Hilfsangebot. Eine weitere Schwierigkeit im Gesamtkontext stellt zudem die vielerorts angespannte Situation am Wohnungsmarkt dar. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6781 2 Wohnungslosigkeit und psychische Probleme wirken oft gegenseitig verstärkend.2,3 Wichtig sind deshalb Programme, die Wohnungslosigkeit zu verhindern helfen oder aus der schon eingetretenen Wohnungslosigkeit helfen und dabei gleichzeitig psychische Probleme beachten und, insofern dieses möglich ist, bekämpfen.2,3 Doch scheitert dieses oft an systembedingten Hindernissen. „Zwischen den Hilfesystemen für psychisch Kranke und der Wohnungslosenhilfe gibt es leider nur unzureichend koordinierte Schnittstellen sowie hohe sozialrechtliche Hürden, die die notwendige psychiatrische Versorgung von Wohnungslosen verhindern", erklärt ein Soziologe des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim.3 Beispielsweise seien bestimmte gesetzlich vorgesehene Eingliederungshilfen nur für Menschen mit einem festen Wohnsitz zugänglich.3 Dass auch bei drohender Räumungsklage die Situation oft noch zu retten ist und Wohnungslosigkeit zu verhindern, wenn Menschen mit unbehandelten seelischen Erkrankungen rechtzeitig Unterstützung aus einem entsprechenden Programm bekommen, zeigt zum Beispiel das ausgelaufene Mannheimer Motiwohn-Projekt.2,3,4 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 2605 mit Schreiben vom 3. Juli 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. 1. Welche Anlaufstellen oder sonstigen Hilfsangebote gibt es in Nordrhein-Westfalen für psychisch erkrankte Menschen, denen Wohnungslosigkeit droht? Die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen erfolgt grundsätzlich innerhalb der Regelstrukturen des Gesundheitssystems (ambulante, teilstationäre und stationäre Versorgung). Bei der psychosozialen Versorgung kommt den Sozialpsychiatrischen Diensten bei den unteren Gesundheitsbehörden eine besondere Bedeutung zu. Die Sozialpsychiatrischen Dienste bieten Beratung für psychisch und suchtkranke Menschen und deren Angehörige sowie vor- und nachsorgende Hilfen nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) an. Dabei sind die unteren Gesundheitsbehörden verpflichtet, zur Unterstützung und Ergänzung der eigenen Maßnahmen mit verschiedenen Einrichtungen zusammenzuarbeiten, darunter auch mit der Sozialhilfe (§ 6 Satz 1 PsychKG). Gemäß der „Erhebung und Analyse der ambulanten Suchthilfestrukturen in Nordrhein- Westfalen“ (2019) bestehen landesweit insgesamt 288 Einrichtungen, die ambulante Suchtberatung durchführen. In der Regel ist die Suchtberatung kostenfrei und anonym zugänglich. Dieses Beratungsangebot steht selbstverständlich auch für Menschen mit einer Suchterkrankung, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, offen. 42 Prozent der Suchtberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen bieten weitere niedrigschwellige Hilfen an, dazu gehören z. B. Kontaktcafés, Drogenkonsumräume, Drogentherapeutische Ambulanzen und Notschlafstellen. Damit besteht in Nordrhein-Westfalen insbesondere auch für obdachlose suchtkranke Menschen ein breites niedrigschwelliges Beratungsangebot. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/6781 3 2. Welchen Anteil haben jeweils welche Sucht- oder anderen psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Schizophrenie unter den Wohnungslosen Nordrhein-Westfalens? (bitte Ausführungen auch nach Geschlecht, Alter, Familienstand, Nationalität und beruflicher Qualifikation.) Es liegen dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales keine landesweiten Daten zum Anteil von psychischen Erkrankungen oder Suchterkrankungen bei wohnungslosen Menschen vor. Es muss gemäß lokaler Untersuchungen davon ausgegangen werden, dass es sich bei den betroffenen Frauen und Männern um eine durch psychische Störungen und Suchtmittelabhängigkeit hoch belastete Personengruppe handelt. Nach einer Metaanalyse der vorhandenen deutschen Studien (Schreiter und andere, 2017) kann davon ausgegangen werden, dass etwa 77 Prozent der Menschen ohne Wohnung an mindestens einer psychischen oder Suchterkrankung leiden, wobei die Suchtmittelabhängigkeit mit gut 60 Prozent die häufigste Erkrankung darstellt. 3. Welche Anlaufstellen oder sonstigen Hilfsangebote gibt es in Nordrhein-Westfalen für psychisch erkrankte Obdachlose? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Wie ausreichend ist nach Meinung der Landesregierung das Hilfsangebot zur Verhinderung der Wohnungslosigkeit psychisch Erkrankter sowie zur Beendigung der Wohnungslosigkeit Obdachloser? Ein wichtiger Baustein in der neuen „Landesinitiative gegen Wohnungslosigkeit in Nordrhein- Westfalen“ ist die weitere Verbesserung der psychiatrischen Versorgung, um damit die Gefahr einer eintretenden Wohnungslosigkeit bei dieser Zielgruppe weit möglichst zu reduzieren. Dabei sind sowohl eine Bestandsaufnahme zum Problemfeld Wohnungslosigkeit bei Patientinnen und Patienten mit psychischen Störungen zur Verbesserung der Datenlage geplant, als auch die Identifikation von Modellen guter Praxis in Nordrhein-Westfalen, die ihren Fokus auf den komplexen Hilfebedarf von psychisch erkrankten Menschen legen, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Ebenfalls werden in der „Landesinitiative gegen Wohnungslosigkeit in Nordrhein-Westfalen“ Maßnahmen zum Ausbau des Hilfeangebots für wohnungslose suchtkranke Menschen enthalten sein. Ziel ist eine Stärkung der Suchthilfe für Menschen ohne Wohnung oder in prekären Wohnverhältnissen und eine bessere Vernetzung von Wohnungslosen- und Suchthilfe. 5. Welche Pläne hat die Landesregierung, um darauf hinzuwirken, die sozialrechtlichen Hürden für die psychiatrische Versorgung Wohnungsloser zu senken oder zu eliminieren? Es wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen.