LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/684 19.09.2017 Datum des Originals: 19.09.2017/Ausgegeben: 22.09.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 181 vom 10. August 2017 des Abgeordneten Helmut Seifen AfD Drucksache 17/334 Gewalt gegen Lehrkräfte an Schulen in NRW Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In einer vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) veröffentlichten Studie wurde kürzlich festgestellt, dass im deutschen Schulwesen Gewalt gegen Lehrkräfte ein gravierendes Ausmaß angenommen hat. So geben 55 Prozent der Lehrkräfte im Bundesgebiet und 59 Prozent in Nordrhein-Westfalen an, dass ihnen in den letzten fünf Jahren Beispiele an ihrer Schule bekannt geworden sind, in denen Kollegen psychischer Gewalt wie Bedrohungen, Beleidigungen oder Beschimpfungen ausgesetzt waren. Jeder vierte Lehrer bekannte überdies, schon einmal selbst Opfer physischer Gewalt geworden zu sein. Der Täterkreis lässt sich genau eingrenzen. Nach Erhebungen des Verbandes gehen die Angriffe in 47 Prozent der dokumentierten Fälle von den Eltern aus. Unmittelbar darauf folgen in 45 Prozent der Fälle Angriffe von Schülern selbst. Übergriffe von Lehrerkollegen und anderen Fachkräften spielten in Nordrhein-Westfalen mit 8 Prozent der Fälle eine eher untergeordnete Rolle. In diesem Zusammenhang beklagte der Vorsitzende des VBE, Udo Beckmann, in der Neuen Westfälischen Zeitung v. 21.06. 2017: „Gewalt gegen Lehrkräfte wird häufig als Job immanent abgetan und klein geredet. Es ist skandalös, so zu tun, als sei es Bestandteil des Berufes sich beleidigen und körperlich angreifen zu lassen“. Betroffen sind Pädagogen an sämtlichen Schulformen. Schon in Grundschulen beklagen sich Lehrerinnen und Lehrer über verbale und körperliche Gewalt. Von weiterführenden Schulen, insbesondere in städtischen Problemgebieten, sind immer wieder Beispiele von gewalttätigen Übergriffen im Schulalltag bekannt geworden. Diese Berichte lassen vermuten, dass sich die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/684 2 Situation in den vergangenen Jahren weiter verschärft hat. An offiziellen Erhebungen und Daten jedoch mangelt es. Dass sich die Landesregierung und das Schulministerium in ihrem Bundesland ausreichend mit diesem brisanten Thema beschäftigen, glauben bundesweit laut VBE-Studie nur 22 Prozent der befragten Lehrkräfte; in Nordrhein-Westfalen sind es gerade einmal 17 Prozent. Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 181 mit Schreiben vom 19. September 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Innenminister und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die in der Kleinen Anfrage angegebenen Daten stimmen nicht in allen Fällen mit denen der zitierten Forsa-Umfrage „Gewalt gegen Lehrkräfte“ überein. Die tatsächlichen Daten ergeben ein anderes Bild als in der Kleinen Anfrage dargestellt. Falsch ist die Darstellung, dass die Anzahl der Elternangriffe höher sei als die Zahl der Angriffe durch Schüler. Nicht korrekt ist die Angabe, jeder vierte Lehrer sei selbst Opfer geworden, vielmehr hat ca. jeder zwölfte Lehrer in Nordrhein-Westfalen bekannt, selbst Opfer von physischer Gewalt geworden zu sein. Unabhängig von jeder Datenerhebung stellt sich die Landesregierung gegen jede Form von Gewalt. Sie duldet in Schulen weder Gewalt von Schülerinnen und Schülern untereinander noch gegen Lehrkräfte oder durch Lehrkräfte. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal von Schule ist, dass der Umgang miteinander frei von Diskriminierung und Rassismus sowie von jedweder Form psychischer und physischer Gewalt ist. Daher richten sich Gewaltpräventionskonzepte an Schulen an die gesamte Schulgemeinschaft. 1. Welche statistischen Erkenntnisse liegen der Landesregierung über körperliche und physische Gewalt gegen Lehrkräfte im Zeitraum von 2014-2017 in NRW vor? Schlüsseln Sie die vorhandenen Daten bitte nach Art der Übergriffe, der Täter und nach Schulformen auf. Bitte weisen Sie Fälle von Tätern mit deutlich erkennbarem Migrationshintergrund gesondert aus. Anhand von Statistiken der Bezirksregierungen können Aussagen über anerkannte Dienstunfälle von Lehrkräften getroffen werden, die auf Aggressivität gegen Lehrkräfte zurückzuführen sind. Die aktuelle Auswertung von anerkannten Dienstunfällen von Lehrkräften im Jahr 2015 hat Folgendes ergeben: Von 1.800 anerkannten Dienstunfällen sind 73 Fälle auf „Aggressivität gegen Lehrkräfte“ zurückzuführen . Berufskollegs, Weiterbildungskollegs und Studienseminare weisen keine Fallzahlen auf. Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen weisen je einen Fall auf, bei Gymnasien , Gesamt- und Realschulen sind jeweils drei Fälle verzeichnet, vier Fälle bei den Hauptschulen , und bei den Grundschulen beträgt die Fallzahl 16. Die höchste Fallzahl von 42 besteht bei den Förderschulen. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden nur Fälle von Taten strafbarer Handlungen erfasst. Anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) können nur Fälle von Taten strafbarer LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/684 3 Handlungen dargestellt werden. Fälle physischer Gewalt, die unterhalb einer gesetzlich geregelten Strafbarkeit liegen, werden nicht erfasst bzw. dargestellt. Die Zahl der Opfer mit der Opferspezifik „Lehrkräfte“ im Zeitraum von 2014 bis 1.Halbjahr 2017 zu den Delikten der Körperverletzung belaufen sich auf 230 (2014), 198 (2015), 222 (2016) und auf 115 (1.HJ 2017). In der PKS werden weder die Schulform noch der Migrationshintergrund der Opfer oder Tatverdächtigen erfasst. Die Verteilung der Opfer auf die Polizeibezirke des Landes Nordrhein-Westfalen ergibt sich aus nachfolgender Tabelle: Anzahl der Opfer Lehrkräfte bei Körperverletzungen 2014 – 1. HJ 2017 Kreispolizeibezirk 2014 2015 2016 1. HJ 2017 Aachen 9 7 7 4 Bielefeld 2 3 1 2 Bochum 4 3 3 3 Bonn 3 4 4 3 Dortmund 12 5 15 5 Duisburg 3 7 5 4 Düsseldorf 9 10 6 14 Essen 11 11 6 9 Gelsenkirchen 6 3 5 0 Hagen 4 1 0 0 Hamm 0 2 4 0 Köln 18 18 11 3 Krefeld 1 1 7 4 Mönchengladbach 1 2 2 2 Münster 6 11 7 4 Oberhausen 6 4 5 3 Recklinghausen 9 8 10 6 Wuppertal 9 7 17 8 Borken 6 9 2 3 Coesfeld 2 4 1 1 Düren 8 1 3 1 Ennepe-Ruhr Kreis 3 3 5 0 Euskirchen 5 6 1 2 Gütersloh 2 1 6 0 Heinsberg 3 2 1 0 Herford 3 0 5 0 Hochsauerlandkreis 7 3 7 4 Höxter 5 1 1 0 Kleve 7 4 3 1 Lippe 3 3 0 6 Märkischer Kreis 5 5 5 0 Mettmann 8 12 9 5 Minden-Lübbecke 0 0 5 0 Oberbergischer Kreis 2 4 3 1 Olpe 2 1 3 0 Paderborn 9 4 3 3 Rhein-Erft Kreis 2 6 5 1 Rheinisch-Bergischer Kreis 0 2 1 1 Rhein-Kreis Neuss 3 3 1 0 Rhein-Sieg Kreis 2 0 4 2 Siegen-Wittgenstein 6 6 2 0 Soest 3 1 3 0 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/684 4 Anzahl der Opfer Lehrkräfte bei Körperverletzungen 2014 – 1. HJ 2017 Kreispolizeibezirk 2014 2015 2016 1. HJ 2017 Steinfurt 4 3 8 5 Unna 5 3 4 4 Viersen 2 1 3 0 Warendorf 0 1 4 0 Wesel 10 2 9 1 2. Welche räumlichen oder städtischen Brennpunkte von Gewalt gegenüber Lehrerinnen und Lehrern sind der Landesregierung für Nordrhein-Westfalen bekannt? Bitte beziffern Sie Ihre Angaben über den Zeitraum von 2014 bis heute. Das Ministerium für Schule und Bildung erfasst keine Daten über räumliche oder städtische Brennpunkte von Gewalt. Eine Aufschlüsselung nach Bezirksregierungen ergibt sich aus der nachfolgenden Tabelle. Die Zahlen für das Jahr 2016 liegen noch nicht abschließend vor. Aufschlüsselung nach Bezirksregierungen, Unfall durch Aggressivität gegen Lehrkraft, in Klammern Gesamtzahl der Dienstunfälle: Bez.Reg. 2013 2014 2015 Arnsberg 31 (485) 15 (301) 31 (394) Detmold 3 (219) 8 (241) 5 (248) Düsseldorf 15 (601) 2 (109) 8 (484) Köln 9 (405) 19 (336) 12 (323) Münster 14 (389) 6 (348) 17 (351) Gesamt 72 (2099) 50 (1335) 73 (1800) Bei einem Vergleich der Gesamtzahl der Dienstunfälle durch Aggressivität gegen Lehrkräfte auf die Anzahl der beschäftigten Lehrkräfte in den jeweiligen Schuljahren würde sich eine ungefähre Häufigkeitszahl im Schuljahr 2013/2014 in Höhe von 0,04 % 2014/2015 in Höhe von 0,03 % und 2015/2016 in Höhe von 0,04 % ergeben. 3. In wie vielen Fällen wurden zwischen 2014 und heute tätliche Angriffe von Schülern gegenüber Lehrern in Nordrhein-Westfalen zur Anzeige gebracht? Eine Beantwortung der Frage 3 ist nicht möglich, da in der PKS der Beruf oder Status des Tatverdächtigen nicht erfasst wird. 4. Welche Maßnahmen wurden seitens der Schulleitung (bzw. der Justiz) ergriffen? Bitte schlüsseln Sie dabei gesondert Fälle von Mehrfachtätern aus. Die Schulen in Nordrhein-Westfalen handeln eigenverantwortlich im Rahmen der vorgegebenen Rechtsordnung. Der Gemeinsame Runderlass „Zusammenarbeit bei der Verhütung und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/684 5 Bekämpfung der Jugendkriminalität“ (Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität, Gem. RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 424 - 62.19.02 -, d. Justizministeriums - 4210 - III. 94 -, d. Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation , Pflege und Alter – 214 - 0390.5.2. -, d. Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport - 313 - 6004.1.9 - u. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung - 622. 6.08.08.04 - 50724 - v. 22.8.2014 (MBl.NRW. 2014, S. 493) gibt dabei eine Verfahrensweise vor. 5. Welche Maßnahmen der Prävention plant die neue Landesregierung, um dem Bedürfnis der Lehrkräfte nach ausreichendem Schutz nachkommen zu können? Der Referenzrahmen Schulqualität NRW legt fest: Der Umgang miteinander ist frei von Diskriminierung und Rassismus sowie von jedweder Form psychischer und physischer Gewalt. Die Landesregierung unterstützt die Schulen dabei umfassend: Das Ministerium für Schule und Bildung hat allen Schulen den „Notfallordner Hinsehen und Handeln für Schulen in NRW“ zur Verfügung gestellt. Die Thematik Gewalt gegen Lehrkräfte ist unter „Gewalt gegen Schulpersonal“ als mögliches Krisenereignis Bestandteil des Notfallordners . Kommunale Beratungsstellen in den nordrhein-westfälischen Kreisen und kreisfreien Städten vermitteln im Bedarfsfall Schulpsychologinnen und Schulpsychologen an Schulen, Lehrkräfte, Eltern sowie an Schüle-rinnen und Schüler. Eine weitere Anlaufstelle ist die Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in Nordrhein-Westfalen, die das Ministerium für Schule und Bildung gemeinsam mit der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Bezirksregierung Düsseldorf im Februar 2015 errichtet hat. In vielen Schulen gibt es darüber hinaus seit vielen Jahren Beratungs-lehrkräfte. Sie beraten Lehrkräfte – und natürlich auch Schülerinnen und Schüler und deren Eltern – insbesondere auch im Kontext mit konkreten schulischen Gewaltereignissen. Die Polizei bietet allen Schulen bilateral oder im Rahmen von Ordnungspartnerschaften aktive Kooperationsformen an, welche auf die Verhinderung von Straftaten durch Schülerinnen und Schüler sowie eine Verbesserung des Schutzes gegen Straftaten gerichtet sind. Hierzu benennen Schulen und Kreispolizeibehörden feste Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner. Erfordert die Sicherheitslage an einer Schule polizeiliches Einschreiten, werden Straftaten konsequent verfolgt und ergänzende mit der Schulleitung abgestimmte Maßnahmen der Kriminalprävention in Betracht gezogen. Dies umfasst im Übrigen auch Maßnahmen aus Anlass von Gewalt gegen Lehrkräfte. Das Ministerium für Schule und Bildung sowie das Landeskriminalamt NRW sind Mitglied im Landesarbeitskreis Jugendhilfe, Polizei und Schule Nordrhein-Westfalen (LAK NRW). Dem LAK NRW obliegt, vor allem auf lokaler Ebene die Vernetzung von Jugendhilfe, Polizei und Schule zu fördern und deren Präventionsarbeit zu unterstützen, um frühzeitig Probleme bei der Entwicklung junger Menschen zu erkennen und im Rahmen abgestimmter Zusammenarbeit angemessene Präventionsmaßnahmen zu treffen. Er hat insbesondere die Aufgabe, mögliche Präventionsansätze darzustellen und über bewährte Konzepte und Projekte zu informieren . Dazu führt der LAK NRW regelmäßig Fachtagungen zum Thema „Gewalt an Schulen“ durch.