LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/7244 28.08.2019 Datum des Originals: 28.08.2019/Ausgegeben: 02.09.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2844 vom 6. August 2019 des Abgeordneten Stefan Kämmerling SPD Drucksache 17/7110 Hochwasserschutzmaßnahmen für Stolberg: Alternative Pläne beim Bau von Rückhaltebecken Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Wasserverband-Eifel-Rur (WVER) plant im Rahmen von Hochwasserschutzmaßnahmen für die Stadt Stolberg, die Einleitung eines Planfeststellungsverfahren zum Bau zweier Regenrückhaltebecken. Berechnungen des WVER zufolge, entstehen bei einem Jahrhunderthochwasser in Stolberg derzeit Schäden in Höhe von fast 50 Millionen Euro. Gebaut werden sollen die Regenrückhaltebecken gemäß dem WVER auf dem Gebiet der Gemeinde Roetgen. Der Rat der Gemeinde Roetgen hat nun eine Resolution an die Umweltministerin des Landes NRW zu den geplanten Hochwasserschutzmaßnahmen im Vichtbachtal in Roetgen veröffentlicht, in der alternative Vorschläge beim Bau von Rückhalteräumen dargelegt werden. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2844 mit Schreiben vom 28. August 2019 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Pläne des WVER, zwei Rückhaltebecken auf dem Gebiet der Gemeinde Roetgen zu bauen? Eine der prioritären Aufgaben des Wasserverbandes Eifel-Rur (WVER) ist es, den Hochwasserschutz in seinem Verbandsgebiet sicherzustellen. Entsprechend § 2 des Gesetzes über den Wasserverband Eifel-Rur (Eifel-Rur-Verbandsgesetz - Eifel-RurVG -) vom 07.02.1990 hat der Verband in seinem Verbandsgebiet den Wasserabflusses einschließlich des Ausgleichs der Wasserführung zu regeln und den Hochwasserabfluss der oberirdischen Gewässer oder Gewässerabschnitte in deren Einzugsgebieten zu sichern. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7244 2 Bezüglich der Planung zweier Regenrückhaltebecken als Hochwasserschutzmaßnahmen für die Stadt Stolberg ist der Scoping-Unterlage vom 15.10.2012 zu entnehmen, dass für das Einzugsgebiet von Inde und Vicht seit Oktober 2007 der Hochwasser-Aktionsplan der Bezirksregierung Köln vorliegt. Aus den Ergebnissen des Hochwasser-Aktionsplans werde deutlich, dass ein 100-jährliches Hochwasserereignis allein in der Ortslage von Stolberg Schäden in einer Höhe von rd. 25,0 Mio. € verursacht. Schon bei einem 50-jährlichen Hochwasserereignis seien Schäden in Höhe von rd. 16,0 Mio. € zu erwarten. Weiter ist der Unterlage zu entnehmen, dass schadhafte Überflutungen bereits bei einem 5 bis 10-jährlichen Hochwasserereignis beginnen. Auch für die anderen Ortslagen entlang der Vicht bestehe nach heutigem Ermessen kein ausreichender Hochwasserschutz. Eine Verbesserung des Hochwasserschutzes für die betroffenen Anlieger sei dringend erforderlich, zumal sich in den Überflutungsflächen entlang der Vicht neben Wohngebäuden auch eine Vielzahl von Industrieund Gewerbebetrieben befinden. Somit sei neben dem Schutz hoher Sachwerte auch einer Gefährdung der zahlreichen Arbeitsplätze durch Hochwasser vorzubeugen. Diese Erläuterungen sind seitens der Landesregierung nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. 2. Wie bewertet die Landesregierung die in der Resolution des Rates der Gemeinde Roetgen genannte Aussage der Wassergewinnungs- und Aufbereitungsgesellschaft Nordeifel mbH (WAG): ,,Trinkwasserschutz verträgt sich nicht mit Hochwasserschutz“ angesichts des Beispiels der Wehebachtalsperre, die ausweislich der Beschreibung des WVER auf der Internetseite sowohl der Trinkwasserversorgung (mit eigener Aufbereitungsanlage) als auch dem Hochwasserschutz dient? Es ist richtig, dass sich die beiden Aufgaben einer Talsperre „Hochwasserschutz“ und „Trinkwasserbereitstellung“ gegenseitig beeinflussen können. Die Aufgabe des Hochwasserschutzes erfordert einen großen Hochwasserschutzraum und damit eine möglichst leere Talsperre. Die Aufgabe der Trinkwasserbereitstellung erfordert hingegen eine große Menge an Rohwasser und deshalb eine möglichst volle Talsperre. Ob eine Talsperre gleichzeitig die Aufgaben der Trinkwasserbereitstellung und des Hochwasserschutzes erfüllen kann, ist u.a. entscheidend vom sogenannten Ausbaugrad abhängig. Der Ausbaugrad ist als Quotient des Speichervolumens des Stauraumes (Vollstau) zu dem Volumen des Jahreszuflusses des jeweiligen Jahres definiert. Während die Wehebachtalsperre mit einem Volumen bei Vollstau von ca. 25 Mio. m³ und einem jährlichen Zufluss von 8,3 bis 22 Mio. m³ in den Jahren 1989 bis 2018 einen Ausbaugrad von 121-376% aufweist und somit über ein großes Speichervolumen (Überjahresspeicher) verfügt, ist die Situation bei der Dreilägerbachtalsperre anders zu bewerten. Bei der Dreilägerbachtalsperre beträgt der Ausbaugrad bei einem Volumen bei Vollstau von ca. 3,6 Mio. m³ und einem jährlichen Zufluss von 4,7 bis 10,5 Mio. m³ in den Jahren 1996 bis 2018 nur 38 – 80 %. In der Dreilägerbachtalsperre kann daher nicht der Zufluss von mehreren Jahren gespeichert werden. Würde man das Volumen für die Trinkwassernutzung um das Volumen für Hochwasserschutz (Hochwasserschutzraum) verringern, würde dies die Situation noch verschärfen und die Trinkwasserbereitstellung würde wesentlich erschwert. Inwieweit sich die beiden Aufgaben „Hochwasserschutz“ und „Trinkwasserbereitstellung“ einer Talsperre tatsächlich gegenseitig beeinflussen hängt neben dem Ausbaugrad von vielen weiteren Parametern wie z.B. die Schichtung des Wassers in der Talsperre ab und ist im jeweiligen Einzelfall zu betrachten bzw. zu bewerten. Das Risiko für hygienische LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7244 3 Beeinträchtigungen bei einem Hochwasserereignis ist jedoch in der Regel bei Talsperren mit einem geringen Volumen größer. Mitgeführte Schwebstoffe wirken sich stärker auf das zu entnehmende Rohwasser für die Trinkwasseraufbereitung aus. Der Aufbereitungsaufwand nimmt zu. 3. Wie bewertet die Landesregierung den Vorschlag des Rates der Gemeinde Roetgen, einen Teil des im Vichtbachtal geplanten Rückhalteraums im Einzugsgebiet des Dreilägerbachs zu realisieren, welches seit über 100 Jahren durch die Dreilägerbachtalsperre wasserwirtschaftlich geprägt und genutzt wird und der die notwendigen Volumina im bisher weitgehend unberührten Vichtbachtal entsprechend reduzieren würde? Die Bezirksregierung Köln wird im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens und vor Erteilung eines Planfeststellungsbeschlusses prüfen, ob und welche möglichen Varianten vom Antragsteller betrachtet worden sind. In einer umfangreichen Vorstudie wurden vom WVER verschiedene potentiell geeignete Beckenstandorte für Hochwasserrückhaltebecken an der Vicht und ihren Nebengewässern betrachtet. Hiervon wurden 10 mögliche geeignete Beckenstandorte an Vicht, Hasselbach, Gieschbach und Eigertsief identifiziert und weiter geprüft. Einer der Standorte an der Vicht lag hierbei direkt unterhalb der Dreilägerbachtalsperre im Wald am Wasserwerk Roetgen.. Ergebnis der Vorstudie war, dass keiner der potentiellen Standorte alleine den gesetzlich geforderten Hochwasserschutzgrad für ein Hochwasser, das statistisch alle 100 Jahre vorkommt, gewährleisten kann. Nur eine Kombination aus zwei Becken, die zusätzlich durch örtliche Hochwassermaßnahmen ergänzt werden müssen, kann dies sicherstellen. 4. Wie bewertet die Landesregierung die im o.g. Papier dargelegte alternative Möglichkeit, Verhandlungen mit Belgien über die Bewirtschaftung der Wesertalsperre zu führen, um das Wasser in Richtung der Wesertalsperre abfließen zu lassen? Um ein Teileinzugsgebiet des Weserbaches wieder auf belgisches Staatsgebiet zurück zu führen, bedarf es einer Änderung des Staatsvertrages von 1958. Eine eventuelle Änderung oder Kündigung des Staatsvertrages obliegt den zuständigen staatlichen Behörden. Der WVER ist im Jahr 2012 mit dem Betreiber der Talsperre, der „La société wallone des eaux“ (SWDE), in Kontakt getreten. In den Gesprächen wurde dem WVER seitens der SWDE erläutert, dass eine Rückführung nicht umsetzbar sei, weil hierdurch eine Vielzahl nicht annehmbarer Nachteile entstehen würden, die nicht im Einklang mit der im August 1958 getroffenen Vereinbarung seien. Diese Bewertung betreffe z.B. die Einleitung von Niederschlagswasser aus dem besiedelten Gebiet von Roetgen in das Einzugsgebiet der Trinkwassertalsperre. Auch seien seit dem Vertragsabschluss 1958 alle Dimensionierungen an den Gewässern im verbliebenen belgischen Einzugsgebiet gemäß den Vorgaben aus dem Staatsvertrag entsprechend kleiner ausgeführt worden. Eine nachträgliche Rückführung des Weserbaches würde infolgedessen zu entsprechenden Kapazitätsüberlastungen an den belgischen Gewässern führen. Es käme in letzter Konsequenz einer Verlagerung des Hochwasserproblems von der deutschen auf die belgische Seite gleich. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7244 4 Letzteres wird von Seiten der Landesregierung abgelehnt und entsprechend an dem Staatsvertrag festgehalten. 5. Wie wird sich die Landesregierung in Gesprächen gegenüber dem WVER und der WAG für alternative Lösungen beim Bau von Rückhalteraumen zum Schutze der Stadt Stolberg und zum Wohle der Gemeinde Roetgen einsetzen? Die Bezirksregierung Köln wird im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens prüfen, ob alle möglichen Varianten vom Antragsteller betrachtet worden sind. Die Ausführungen zu Frage 3 gelten auch an dieser Stelle.