LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/7357 10.09.2019 Datum des Originals: 06.09.2019/Ausgegeben: 13.09.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2850 vom 8. August 2019 des Abgeordneten Rüdiger Weiß SPD Drucksache 17/7116 Was hat die Landesregierung unternommen, um den Austausch von sicherheitsrelevanten Daten und Informationen zwischen Landes-, Bundes- und EU- Ebene zu verbessern? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In ihrem Koalitionsvertrag kündigen CDU und FDP an, sich sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene dafür einzusetzen und konstruktiv daran mitzuwirken, die Interoperabilität der vorhandenen und künftigen europäischen und nationalen Datenbanken zwecks eines effektiveren Datenaustauschs zwischen den EU-Mitgliedstaaten, dem Bund und den Bundesländern zu ermöglichen und zu verbessern (S.114). Zu diesem Zweck wolle man eine Bundesratsinitiative einbringen. Weiter versprechen CDU und FDP, dass Ausländer- und Asylbehörden Zugriff auf im Schengener Informationssystem (SIS) gespeicherte Daten erhalten sollen (S. 116). Darüber hinaus kündigt Schwarz-Gelb an, sich stärker an den europäischen Sicherheitsbehörden Europol und Eurojust zu beteiligen, und gegebenenfalls Experten aus Nordrhein-Westfalen dorthin zu entsenden (S. 117). Tatsächlich hat der Bundesrat in seiner 967. Sitzung am 27.04.2018 auf Initiative Nordrhein- Westfalens eine Stellungnahme zu zwei Kommissionsvorschlägen zu einer besseren Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen verabschiedet1. Ende 2017 finalisierte die Europäische Kommission jeweils eine Initiative zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen in den Bereichen Grenzen und Visa2 und 1 Siehe Drucksache 45/18 (Beschluss), Bundesrat 2 Siehe „Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Grenzen und Visa) und zur Änderung der Entscheidung 2004/512/EG des Rates, der Verordnung (EG) Nr.767/2008, des Beschlusses 2008/633/JI des Rates, der Verordnung (EU) 2016/399 und der Verordnung (EU) 2017/222“ (COM (2017) 793 final) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7357 2 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen in den Bereichen polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, sowie Asyl und Migration3. Neben dem SIS gibt es mit Eurodac und VIS aktuell zwei weitere Informationssysteme, mithilfe derer sicherheitsrelevante Daten europaweit ausgetauscht werden können. Die Kommission schlägt darüber hinaus die Schaffung drei weiterer Informationssysteme vor (Einreise- /Ausreisesystem (EES), Europäisches Reiseinformations-und -genehmigungssystem (ETIAS) und Europäsches Strafregisterinformationssystem für Drittstaatsangehörige (ECRIS-TCN)). Diese sechs einander ergänzenden Informationssysteme sollen anhand eines Europäischen Suchportals (ESP) und eines gemeinsamen Dienstes für den Abgleich biometrischer Daten (gemeinsamer BMS), sowie mithilfe eines gemeinsamen Speichers für Identitätsdaten (CIR) und eines Detektors für Mehrfachidentitäten (MID) gebündelt werden. Angesichts der Dimension des angestrebten Daten- und Informationsaustausches und der strukturellen Komplexität ist eine Verbesserung der Interoperabilität der einzelnen Systeme durch die von der Kommission vorgeschlagene Bündelung in der Nutzung wahrscheinlich. Welche Auswirkungen und Vorteile die Vorschläge der Kommission allerdings für die Landesebene bedeuten, wird weder in den Kommissionsdokumenten noch in der Stellungnahme des Bundesrats abschließend beantwortet. In seinem Beschluss fordert der Bundesrat die Bundesregierung lediglich auf „Angesichts der Komplexität und Bedeutung des Vorhabens […] die Länder in den anstehenden Diskussionsund Entscheidungsprozess eng einzubinden“4. Grundsätzlich bleiben eine Vielzahl von Versprechungen der schwarz-gelben Landesregierung auch knapp zweieinhalb Jahre nach Übernahme der Regierungsgeschäfte unkonkret und die Landesregierung selbst einen Nachweis über deren Verwirklichung oder zumindest die hierzu unternommenen Anstrengungen schuldig. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2850 mit Schreiben vom 6. September 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister der Justiz sowie dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. 1. Welche weiteren Schritte hat die Landesregierung im Nachgang des Bundesratsbeschlusses zu einer verbesserten Interoperabilität von europäischen und nationalen Datenbanken unternommen? „Interoperabilität“ gewährleistet, dass die Sicherheits-, Grenzschutz-, Visa- und Ausländerbehörden in der EU über vollständige, präzise und verlässliche Informationen verfügen, um insbesondere Mehrfach- und Falschidentitäten aufzudecken und gegen Identitätsbetrug vorgehen zu können. Zudem führt sie zu einer Verbesserung des Informationsaustauschs auf EU-Ebene und der Schließung von Informationslücken. Das Land Nordrhein-Westfalen begleitet federführend die Entstehung der Verordnungen in der Ratsarbeitsgruppe DAPIX („Data Protection and Information Exchange“) im Rahmen des Bundesratsmandats unter Beteiligung der nachgeordneten Bereiche für alle Länder. Mit 3 Siehe „Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration)“ (COM (2017) 794 final) 4 Siehe S. 3 Drucksache 45/18 (Beschluss), Bundesrat LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7357 3 Beschluss des Bundesrates, auf Initiative des nordrhein-westfälischen Ministeriums des Innern und unter Zustimmung aller Länder, unterstützt die Länderkammer die beiden Verordnungsvorschläge. Der Rat hat erst am 14. Mai 2019 die Verordnungsvorschläge zu Interoperabilität angenommen, die letztlich am 11. Juni 2019 in Kraft getreten sind. Die Entwicklung und der Ausbau der technischen Komponenten werden nach dem nunmehr abgeschlossenen Rechtssetzungsprozess von der EU-Agentur eu-LISA gesteuert. Die Agentur wurde im Oktober 2018 durch eine entsprechende Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit der Entwicklung der technischen Lösungen zur Erreichung der Interoperabilität beauftragt. Das Land Nordrhein-Westfalen nimmt aktiv an der Umsetzung teil und ist in den im Aufbau befindlichen Arbeitskreisen vertreten. Damit ist sichergestellt, dass betroffene Behörden in Nordrhein-Westfalen informiert und deren Belange berücksichtigt werden. Die Landesregierung beabsichtigt, die nunmehr zunächst auf europäischer Ebene beginnende Entwicklungsphase, insbesondere auch während der deutschen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020, weiterhin aktiv zu unterstützen. 2. Inwieweit steht Nordrhein-Westfalen im Dialog mit der Bundesregierung bezüglich der Umsetzung der Vorschläge der Kommission zu einer besseren Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen? Die Interoperabilitätskomponenten werden in den nächsten Jahren sukzessive und parallel zum Aufbau (bezogen auf EES, ETIAS und ECRIS-TCN) bzw. der beschlossenen (SIS) oder anstehenden (EURODAC und VIS) Reform der Einzelsysteme entwickelt und errichtet. Zeithorizont ist hierfür bis 2023/2024. Alle befassten Behörden in den EU-Mitgliedsstaaten, auf Bundes- und auch auf Landesebene, sowie die zuständigen EU-Agenturen (vor allem eu-LISA, auch Europol und Frontex) stehen vor der Herausforderung der Umsetzung dieser Vorhaben. Das Land Nordrhein-Westfalen steht hierzu in einem stetigen, vertrauensvollen Austausch mit dem Bund. Die Umsetzung der Interoperabilitätsagenda in Deutschland erfordert die Beteiligung einer Vielzahl von Behörden. Das Bundesministerium des Innern (BMI) bündelt diese Aktivitäten, das Bundeskriminalamt (BKA) bereitet die polizeifachliche Perspektive auf. Das Land Nordrhein- Westfalen ist auf Fachebene in verschiedenen Gremien und Arbeitsgruppen vertreten, um dort den Bedarf und die Anforderungen aus Nordrhein-Westfalen zielgerichtet einbringen zu können. Zudem ist durch die Wahrnehmung des Bundesratsmandats in der Ratsarbeitsgruppe DAPIX, die Benennung von festen Ansprechpartnern zur Implementierung der EU- Informationssysteme EES und ETIAS, die Teilnahme an entsprechenden Informationsveranstaltungen und entsprechenden Fachkonferenzen im europäischen Ausland ein stetiger Fach- und Informationsaustausch gewährleistet. 3. Wie wird Zugriff nordrhein-westfälischer Ausländer- und Asylbehörden – vor allem auch vor dem Hintergrund des Datenschutzes – auf das SIS konkret gewährleistet? Am 27. Dezember 2018 traten drei neue EU-Verordnungen zum Bereich des Schengener Informations-Systems in Kraft (Verordnung [EU] 2018/1860, Verordnung [EU] 2018/1861 und Verordnung [EU] 2018/1862). Diese ändern die bisherigen Rechtsakte zum SIS II bis zur vollständigen Umsetzung nach ca. drei Jahren. Die Schaffung einer neuen IT Architektur ist unabdingbar, um die ca. 2.000 Nicht-Polizei-Behörden an das SIS anzubinden. In Nordrhein- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7357 4 Westfalen gehören dazu unter anderem die 86 Ausländerbehörden einschließlich der fünf Zentralen Ausländerbehörden. Die Umsetzung der neuen EU-Verordnungen erfolgt auf Bundesebene durch eine behördenübergreifende Projektgruppe unter Beteiligung mehrerer Bundesbehörden. Die Länder sind an dieser Projektgruppe beteiligt. Nordrhein-Westfalen ist mit zwei großen Ausländerbehörden im Rahmen einer Vorstudie, die mit acht Ausländerbehörden bundesweit durchgeführt wurde, bedeutend vertreten. Auswertungen dieser Studie zur Verwendung des SIS beim Thema der Rückkehr liegen der Landesregierung aktuell noch nicht vor. Der aktuelle Zeitplan der Bundesbehörden sieht vor, dass eine endgültige Anbindung aller Ausländerbehörden bis 2021 erfolgt. 4. Welche Auswirkungen haben die Vorschläge der Kommission nach Einschätzung der Landesregierung auf Nordrhein-Westfalen? Die Landesregierung geht davon aus, dass durch die Vernetzung der Systeme sich die Datenqualität verbessert und die Bekämpfung des Identitätsmissbrauchs gesteigert wird. Eine integrierte Abfragemöglichkeit von interoperablen Datenbanken unterstützt die Sicherheitsbehörden, gesuchte Personen an der Einreise zu hindern oder innerhalb der EU der Strafverfolgung zuzuführen. Fehlerhafte Datenerfassungen und Fälle von Identitätsmissbrauch sollten deutlich seltener werden. Interoperabilität bietet ein Potenzial, das es angesichts der Herausforderungen im Bereich der inneren Sicherheit weiter zu erschließen gilt. 5. Inwieweit beteiligt sich NRW stärker bei Europol und Eurojust im Vergleich zur letzten Legislaturperiode 2012-2017? Die Landesregierung verfolgt das Ziel einer stärkeren Beteiligung an den europäischen Sicherheitsbehörden Europol und Eurojust und hat daher die Absicht, Experten aus Nordrhein- Westfalen dorthin zu entsenden. Für den Bereich der Polizei werden entsprechende Stellenausschreibungen der Sicherheitsbehörden, die sich an Polizeivollzugsbeamte richten, im Intrapol veröffentlicht. Eingehende Bewerbungen werden insbesondere durch Unterstützung und Beratung durch das Auslandsdezernat beim Landesamt für Aus- und Fortbildung gefördert. Die letztliche Entscheidung zur Besetzung der Stellen der Sicherheitsbehörden und damit die Grundlage für eine tatsächliche Beteiligung durch Nordrhein-Westfalen, werden durch die zuständigen Gremien getroffen und entziehen sich einer unmittelbaren Einflussmöglichkeit durch die Landesregierung. Im Rahmen der internen Kommunikation (Beispiel: Polizei NRW „Streife“ 2018) sind entsprechende Informationen über die Möglichkeiten einer Verwendung bei Europol gesteuert worden. Das Ministerium der Justiz hat sichergestellt, dass Nordrhein-Westfalen am „Deutschen Tisch“ von Eurojust mit einer besonders qualifizierten Oberstaatsanwältin vertreten ist, die über Erfahrungen mit internationalen Ermittlungen verfügt. Seit August 2019 ist ein weiterer Staatsanwalt aus Nordrhein-Westfalen für zwei Jahre bei Eurojust tätig. Die beiden Mitarbeiter stehen im engen Austausch mit dem Ministerium der Justiz und nehmen regelmäßig an gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen und Dienstbesprechungen teil. Das Ministerium der Justiz unterstützt auch weiterhin Kolleginnen und Kollegen, die sich für eine Tätigkeit bei Eurojust interessieren, aktiv bei ihren Bewerbungen. Zudem bietet die Justizakademie Nordrhein-Westfalen jährlich eine Informationsveranstaltung für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte über die Verwendung in internationalen Organisationen an, in der unter anderem die Arbeit bei Eurojust vorgestellt wird.