LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/7433 18.09.2019 Datum des Originals: 18.09.2019/Ausgegeben: 24.09.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2885 vom 21. August 2019 der Abgeordneten Rüdiger Weiß und Josef Neumann SPD Drucksache 17/7199 Wie setzt sich die Landesregierung für einen reibungslosen Ablauf grenzüberschreitender Notfallhilfe ein? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die Landesregierung, sich für ein Abkommen „zur grenzüberschreitenden medizinischen Notfallhilfe“ einzusetzen (S. 116). Grenzüberschreitende Notfallhilfe bildet einen besonderen Bereich innerhalb der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. In kaum einem anderen Bereich haben reibungslos funktionierende Abläufe, klare Zuständigkeiten und Kompetenzen sowie ein schneller Zugriff einen so direkten Einfluss auf den Schutz von Gesundheit und Leben der Bürgerinnen und Bürger. Eine Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in diesem Bereich ist alternativlos, denn sie hilft, Leben zu retten. Umso bedauerlicher ist es, dass die Landesregierung in ihren Ankündigungen zu einer Verbesserung der grenzüberschreitenden Notfallhilfe maximal unkonkret bleibt. Seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte 2017 ist sie diesbezüglich weder konkreter, noch öffentlich wahrnehmbar aktiv geworden. Kaum nachvollziehbar ist diese Passivität vor allem vor dem Hintergrund, dass die Europäische Kommission im Rahmen einer „Cross-Border-Review“1 eine ganze Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten in diesem Bereich aufzeigt – die Ergebnisse dieser Studie sind seit 2017 bekannt und wurden von der Kommission im September desselben Jahres in einer Mitteilung zu „Stärkung von Wachstum und Zusammenhalt in den EU-Grenzregionen“2 noch einmal zusammengefasst. 1 Siehe https://ec.europa.eu/regional_policy/en/policy/cooperation/european-territorial/crossborder /review 2 Siehe COM (2017) 534 final LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7433 2 In der Review gibt die Kommission neben einer Darstellung des konkreten Problems auch Handlungsempfehlungen für die jeweilige Ebene ab. Allein im Bereich der NRW-betreffenden grenzüberschreitenden Hindernisse in der Notfallhilfe gibt es vier Fälle, in denen die regionale Ebene direkt aufgefordert wird, tätig zu werden. Dabei geht es etwa um unterschiedliche Qualifikationsstufen von Rettungspersonal. Während in Deutschland und Belgien Rettungspersonal nur die Befugnis haben, grundlegende lebensrettende Maßnahmen durchzuführen, ist das niederländische Personal ausgebildet, erweiterte Maßnahmen durchzuführen. In der Praxis bedeutet das, dass deutsches und belgisches Rettungspersonal in den Niederlanden bestimmte Maßnahmen nicht durchführen können, solange kein niederländisches entsprechend geschultes Personal anwesend ist, und andersrum dass niederländisches Personal in Deutschland und Belgien nur grundlegende lebensrettende Maßnahmen durchführen dürfen, obwohl sie für weitergehende Maßnahmen geschult wären. Entsprechend kommen erstbehandelte Patienten in unterschiedlichen Stadien in Krankenhäusern an, je nachdem von welchem Rettungspersonal sie behandelt wurden. Die Kommission legt zur Beseitigung dieses Problems dringend nahe, auf regionaler Ebene gemischte Einsatzgruppen für den Rettungsdienst zu etablieren und regelmäßig grenzüberschreitende Trainings stattfindenden zu lassen. Weitere Probleme resultieren laut der „Review“ aus den Unterschieden in den Gesundheitssystemen, die sich vor allem auf die Zusammenarbeit von Krankenhäusern auswirken. Weiter bestehen nach wie vor große arbeitsrechtliche Probleme für Pflegefachpersonal, das grenzüberschreitend tätig wird. Zusätzlich moniert die Kommission, dass die Unterschiede in der Ausstattung und den eintrainierten Abläufen, die rechtlichen Unsicherheiten und die mangelnde Interoperabilität von Kommunikationssystemen von Rettungsdiensten ein starkes Hindernis für grenzüberschreitende Notfallhilfe darstellen. Auch zur Lösung dieser Probleme sieht die Kommission die regionale Ebene in der Pflicht. Ob all diese Punkte Einzug in das von der Landesregierung versprochene Abkommen finden, bleibt unklar. So bleiben Versprechungen der schwarz-gelben Landesregierung auch knapp zweieinhalb Jahre nach Übernahme der Regierungsgeschäfte unkonkret und die Landesregierung selbst einen Nachweis über deren Verwirklichung oder zumindest die hierzu unternommenen Anstrengungen schuldig. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 2885 mit Schreiben vom 18. September 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die grenzüberschreitende rettungsdienstliche Zusammenarbeit („grenzüberschreitende Notfallhilfe“) stellt für die Landesregierung ein wichtiges Themenfeld dar. Die rettungsdienstliche Zusammenarbeit bettet sich in ein Geflecht unterschiedlicher rechtlicher wie organisatorischer Vorgaben und Strukturen ein. Zunächst soll das System „Rettungsdienst“ in Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie seiner Funktionsweise kurz dargestellt werden. Hierauf aufbauend werden die einzelnen Themenfelder in den Einzelfragen aufgegriffen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7433 3 Das sehr leistungsfähige System des Rettungsdienstes in Nordrhein-Westfalen stützt sich bewusst auf den Aufbau von „unten nach oben“. Die Sicherstellung der rettungsdienstlichen Versorgung der Bevölkerung ist den Kreisen und kreisfreien Städten als Trägern des Rettungsdienstes übertragen. Die Kenntnis über die Besonderheiten, Bedürfnisse und Erfordernisse besteht vor Ort. Dort sind die rettungsdienstlichen Bedarfspläne zu erstellen, die insbesondere Zahl und Standorte der Rettungswachen, weitere Qualitätsanforderungen wie die Zahl der erforderlichen Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeuge sowie die Maßnahmen und Planungen für Vorkehrungen bei Schadensereignissen mit einer größeren Anzahl Verletzter oder Kranker enthalten. Ereignisse, die die örtlichen Bewältigungskapazitäten übersteigen oder Fälle, in denen benachbarte Rettungsmittel rascher am Einsatzort sind, weil die regulären eigenen Fahrzeuge im Einsatz sind, werden durch die gegenseitige Hilfeleistung bewältigt. Die Verpflichtung zur nachbarlichen Hilfe ist gemäß § 8 Absatz 2 des Rettungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (RettG NRW) vorgeschrieben. Eine solche bindende Vorgabe kann es im Hinblick auf Hilfeleistungen im Nachbarland oder Nachbarstaat nicht geben, da die Gesetzgebungskompetenz des Landes an seinen eigenen Grenzen endet. Bei der Aufstellung und Fortschreibung des Bedarfsplans prüfen die Kreise und kreisfreien Städte jedoch gemäß § 6 Absatz 4 RettG NRW die Möglichkeiten einer länderübergreifenden Zusammenarbeit. Ob die Kreise und kreisfreien Städte von der Möglichkeit Gebrauch machen, entscheiden sie selbstständig im Rahmen ihrer Selbstverwaltungshoheit. Von Seiten der rettungsdienstlichen Träger wird von einer grundsätzlich funktionierenden (teils sehr guten) Zusammenarbeit berichtet, wobei gleichzeitig aufgrund der systemischen und gesetzlichen Unterschiede auch Barrieren oder Fragen auftreten können. In der Praxis werden diese Barrieren, wo möglich, durch entsprechende Absprachen oder pragmatische Lösungen bewältigt. Die vorhandenen Rahmenbedingungen eröffnen den grundsätzlichen Raum für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Kooperation setzt dabei immer eine gegenseitige Bereitschaft auf beiden Seiten voraus. 1. Inwiefern ist die Landesregierung in Bezug auf ein grenzüberschreitendes Abkommen zur medizinischen Notfallhilfe bereits aktiv geworden? 2. Mit wem soll dieses Abkommen konkret geschlossen werden? 3. Welche Fachbereiche und Partner sollen in die Verhandlungen des versprochenen Abkommen integriert werden? Die Fragen 1 bis 3 werden wegen des Sachzusammenhangs und der besseren Darstellbarkeit gemeinsam beantwortet. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist derzeit auf zwei Ebenen tätig. Hierbei sind auch die unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen und Strukturen der betroffenen Akteure zu beachten, sowohl hinsichtlich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, als auch mit Blick auf die Zuständigkeiten für tangierte bundes- und landesrechtliche Regelungen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7433 4 Hinsichtlich der grenzüberschreitenden rettungsdienstlichen Zusammenarbeit, bzw. der Notfallhilfe mit dem Königreich Belgien wird mit der für den Bereich Gesundheit und Notfalldienste zuständigen belgischen Föderalebene eine gemeinsame Erklärung (Letter of Intent) erstellt. Inhaltlich erarbeitet wird eine Absichtsbekundung mit dem Ziel, den wechselseitigen Einsatz der Rettungsdienste zu vereinfachen, indem offene Rechtsfragen (Kompetenzen des Personals, Haftung, Kommunikationswesen o.ä.) zukünftig gemeinsam geklärt, sowie Grundlagen für die wechselseitige Alarmierung und den Einsatz und Transport geschaffen werden. Hierbei dient die Erklärung zunächst auch als wesentliche Übersicht der jeweiligen rechtlichen Grundlagen im Königreich Belgien und in Nordrhein-Westfalen, auf denen rettungsdienstliche Leistungen erbracht werden. Dies beinhaltet unter anderem die Erläuterung zentraler Begriffe des Rettungswesens auf beiden Seiten, um über einen einheitlichen Definitionsrahmen zu verfügen. Die Erklärung enthält auch einen Prüfauftrag, ob weitergehender Regelungsbedarf in Form eines Abkommens oder anderer Vereinbarungsformen bestehen könnte. In den Prozess involviert war wegen der teils berührten bundesgesetzlichen Regelungen auch das Bundesministerium für Gesundheit. Dort wurde der Schwerpunkt jedoch auf Landesebene gesehen, so dass aktuell eine Unterzeichnung zwischen Belgien und Nordrhein-Westfalen geplant ist. Derzeit wartet das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf eine Rückmeldung der belgischen Föderalebene zum übersandten Entwurf. Mit dem Königreich der Niederlande ist der Austausch in der aktuellen Legislaturperiode gleichfalls intensiviert worden. Die grenzüberschreitende rettungsdienstliche Zusammenarbeit und Notfallhilfe erfolgt vorrangig auf Basis einzelner Vereinbarungen oder Absprachen zwischen den grenznahen nordrhein-westfälischen Kommunen und den jeweiligen niederländischen Provinzen auf lokaler / regionaler Ebene. In den Gesprächen mit den niederländischen Ministerien für Justiz und Sicherheit sowie Gesundheit wurde gemeinsam bekräftigt, den begonnenen Dialog fortsetzen zu wollen. Vor dem Hintergrund der regional organisierten und funktionierenden grenzüberschreitenden rettungsdienstlichen Zusammenarbeit wird ein „Runder Tisch Rettungswesen“ mit den niederländischen und nordrhein-westfälischen Grenzregionen geplant. Ziel ist es, gemeinsam mit den beteiligten Akteuren konkrete Fragestellungen und Klärungsbedarfe zu formulieren, Problemlösungen zu finden und eine Plattform für einen generellen Austausch und die Zusammenarbeit für die Beteiligten anzubieten. Das Augenmerk soll hierbei auch darauf gerichtet sein, vorhandene und gut funktionierende regionale Lösungen beizubehalten und von übergeordneter Stelle nur an notwendigen Punkten unterstützend oder regelnd tätig zu werden. Die Ergebnisse sollen als Grundlage für die weitere gemeinsame Arbeit mit den niederländischen Ministerien dienen und eine Abschätzung ermöglichen, ob weitergehende Maßnahmen, wie eine gemeinsame Vereinbarung oder eine Absichtserklärung angegangen werden sollen. Diese standen bisher nicht im zentralen Fokus der Gespräche. Involviert sind in die Planungen dieses Austausches neben den genannten niederländischen Ministerien auch Verantwortliche von EMRIC und PREpare sowie das Generalsekretariat der BENELUX- Union. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7433 5 4. Was hat die Landesregierung bisher unternommen, um eine bessere Vorbereitung nordrhein-westfälischen Rettungspersonals auf grenzüberschreitende Einsätze zu ermöglichen? Vor dem Hintergrund der dargestellten rettungsdienstlichen Organisationsstruktur liegt die Zuständigkeit für den Rettungsdienst zunächst bei den Kreisen und kreisfreien Städten als Trägern. Die Ausbildung des nicht-ärztlichen Rettungsdienstpersonals ist in der höchsten Qualifikationsstufe der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters bundesgesetzlich geregelt. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales arbeitet an der Verbesserung insbesondere der Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden rettungsdienstlichen Zusammenarbeit und fördert hierzu aktiv den Dialog mit den Verantwortlichen auf niederländischer und belgischer Seite für ein gemeinsames Vorgehen. Auch berühren einige Themenfelder bundesrechtliche Fragestellungen, was zukünftig zusätzlichen Abstimmungsbedarf erfordern kann. 5. In Bezug auf welche der in der „Cross-Border-Review“ identifizierten grenzüberschreitenden Hindernisse im Bereich „Notfallhilfe“ ist die Landesregierung bisher tätig geworden? Die formulierten zentralen Barrieren werden nach hiesigem Verständnis mit Blick auf den Rettungsdienst in der Cross-Border-Review, die zitierte Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament (COM (2017) 534 final), sowie den Einführungstext dieser Kleinen Anfrage vor allem in den multiplen rechtlichen Grundlagen und den bestehenden systemischen Unterschieden gesehen. Die grenzüberschreitende rettungsdienstliche Zusammenarbeit findet auf Basis regionaler Vereinbarungen und Absprachen statt. Darüber hinaus haben die belgischen und niederländischen Partnerinnen und Partner im bisherigen gemeinsamen Austausch mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales den klaren Wunsch geäußert, die grenzüberschreitende rettungsdienstliche Zusammenarbeit noch weiter verbessern und mögliche Barrieren weiter abbauen zu wollen. Dies ist inhaltlich im Entwurf der Absichtserklärung mit dem Königreich Belgien – wie dargestellt – aufgegriffen worden und auch fester Bestandteil der Gespräche mit den niederländischen Ministerien sowie der Planungen des „Runden Tisches Rettungswesen“. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist im Bereich der grenzüberschreitenden rettungsdienstlichen Zusammenarbeit gemeinsam mit den niederländischen und belgischen Partnerinnen und Partnern mit großem Engagement aktiv. Das Fortschreiten ist notwendigen Abstimmungsprozessen auf allen Seiten und unterschiedlichen Ebenen unterworfen, hierbei ist der gemeinsame Arbeitsprozess aber von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung geprägt.