LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/7470 23.09.2019 Datum des Originals: 23.09.2019/Ausgegeben: 27.09.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2903 vom 30. August 2019 des Abgeordneten Andreas Keith AfD Drucksache 17/7253 Ökopunkte in Nordrhein-Westfalen - grüner Ablasshandel ohne Mehrwert für die Umwelt und den Naturschutz? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das System der Ausgleichsmaßnahmen dient dazu, eine Beeinträchtigung von Natur und Landschaft zu kompensieren, um die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts und die Qualität des Landschaftsbilds langfristig zu bewahren. Dazu werden bei Bauprojekten, bei denen ökologisch wertvolle Flächen verloren gehen, im Rahmen des Biotopwertverfahrens diese Flächen nach Ökopunkten bewertet und entsprechende Ausgleichsflächen geschaffen. Wer etwa einen Acker in eine Wiese umwandelt, kann sich dafür Ökopunkte bei der Kommune oder beim Landratsamt gutschreiben lassen, weil eine Wiese "ökologisch wertvoller" ist als ein Acker. Diese Punkte dürfen weiterverkauft werden, z. B. an einen Bauträger, der ein Bauvorhaben realisieren möchte. Bauträger, die keine gesetzlich vorgeschriebenen Flächen zum Ausgleich eines Bauvorhabens besitzen, dürfen sich die nötigen Punkte auch von einer weit entfernten Kommune kaufen. Der Handel mit diesen Ökopunkten hat mittlerweile sogar Internet-Auktionshäuser, wie eBay-Kleinanzeigen, erreicht.1 Anhand eines landesweit einheitlichen Bewertungsverfahrens werden „ökologische Werteinheiten“ (ÖWE) ermittelt. Dabei erhält jeder Biotoptyp einen Wert von null (vollversiegelte Fläche) bis zehn (Feuchtgrünland, Bruchwälder). Diese Bewertung gilt auch für landwirtschaftliche Flächen. So werden Ackerflächen mit zwei Punkten bewertet, Grünland mit vier Punkten, alte Obstwiesen mit neun Punkten und Magergrünland mit zehn Punkten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sowohl der Eingriff als auch der Ausgleich nach demselben Bewertungsverfahren durchgeführt werden müssen. 1 https://www.ebay-kleinanzeigen.de/s-%C3%B6kopunkte/k0 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7470 2 Allerdings berichtete das Magazin Report Mainz, dass durch dieses System die Flächenversiegelung vorangetrieben wird und geplante Ausgleichsmaßnahmen nicht umgesetzt werden.2 Das nordrhein-westfälische Umweltministerium lehnte eine Interviewanfrage ab.3 Auch in Nordrhein-Westfalen wurden Ausgleichsmaßnahmen nicht oder nur verzögert umgesetzt, wie etwa in Wuppertal, wo die Ausgleichsmaßnahmen für Straßen und Autobahnen über Jahre verzögert wurden.4 In der Praxis stellen ökologische Ausgleichsmaßnahmen auch einen enormen bürokratischen Aufwand dar, wie bspw. in Westerkappeln, wo Verzögerungen bei den Ausgleichsmaßnahmen durch mangelnde Absicherungen im Grundbuch zustandekamen.5 In der Sendung wurde zudem eine Studie der Universität Freiburg zitiert, welche 26 Ausgleichsmaßnahmen in Baden-Württemberg beispielhaft untersuchte. Das erschreckende Ergebnis ist, dass ca. 30 Prozent der Ausgleichs- und Ersatz-Maßnahmen nie umgesetzt wurden. An der aktuellen Praxis wird vor allem kritisiert, dass versucht wird, möglichst viele Ökopunkte auf möglichst wenig Fläche zu erhalten, und dass der Wert der Eingriffsregelung, gemessen an seiner Zielsetzung, enttäuschend niedrig ist.6 Nicht nur die Praxis des Biotopwertverfahrens wird kritisiert, auch dieses selbst wird grundsätzlich in Frage gestellt, da die Bewertung von Biotopen normativ ist. Die konkrete Wertigkeit in Form von Zahlen ist nicht geeignet, die Komplexität und den Wert eines Biotops passend zu erfassen. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2903 mit Schreiben vom 23. September 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. 1. Wie viel Hektar Ausgleichsfläche wurden aus der Umwandlung von Ackerland in Grünland in Nordrhein-Westfalen in den letzten fünf Jahren gewonnen? 3. Wie viele Kompensationsmaßnahmen wurden in den letzten fünf Jahren in Nordrhein-Westfalen nicht oder nur verzögert umgesetzt? (Bitte aufschlüsseln nach Ausgleichsmaßnahmen, Ersatzmaßnahmen, Jahren, Größe der Fläche und ÖWE pro Projekt) Die Fragen 1 und 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (§§ 14 ff. Bundesnaturschutzgesetz) ist von der Eingriffsregelung in der Bauleitplanung nach Baugesetzbuch zu unterscheiden. 2 https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/oekokonto-101.html 3 https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/oekokonto-101.html 4 https://www.wz.de/nrw/wuppertal/wuppertal-waldverjuengung-soll-strassenbau-ausgleichen_aid- 39374303 5 https://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Steinfurt/Westerkappeln/3079848-OVG-Muenster-erklaert- Bebauungsplan-fuer-unwirksam-Gemeinde-erleidet-Schiffbruch 6 https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/flaechenfrass-und-versiegelung-gehenungebremst -weiter-11774258.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7470 3 In der Bauleitplanung prüft die Gemeinde im Rahmen ihrer kommunalen Planungshoheit, ob aufgrund der Aufstellung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind, setzt sofern notwendig Ausgleichsmaßnahmen selbst fest und ist auch für deren Umsetzung eigenverantwortlich zuständig. Die Landesregierung übt hier keine Fachaufsicht über die Gemeinden aus. Naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen außerhalb der Bauleitplanung werden einzelfallbezogen durch die zulassende Genehmigungsbehörde in dem Zulassungsbescheid für das jeweilige Eingriffsvorhaben festgelegt. Die Flächen und Maßnahmen, die der naturschutzrechtlichen Kompensation außerhalb der Bauleitplanung dienen, werden in Kompensationsverzeichnissen erfasst, die nach § 34 Abs. 1 Landesnaturschutzgesetz von den unteren Naturschutzbehörden geführt werden. Die Flächen werden hinsichtlich ihrer Lage, der Art und des Umfangs der darauf durchzuführenden Maßnahmen, der Art der Sicherung der Maßnahmen und deren Umsetzung erfasst. Die Meldepflicht trifft in erster Linie die Genehmigungsbehörden, die für die Festsetzung der Maßnahmen zuständig sind. Weder zu den naturschutzrechtlich festgesetzten Kompensationsmaßnahmen noch zu den aus der Bauleitplanung resultierenden Kompensationsmaßnahmen werden landesweite Statistiken geführt. Eine exakte Beantwortung der beiden Fragestellungen ist daher aufgrund fehlender Daten bzw. in der Kürze der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 2. Wie viele ÖWE wurden in Nordrhein-Westfalen in den letzten fünf Jahren registriert und gehandelt? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln) Die Dimension eines Eingriffs in den Naturhaushalt und des daraus abzuleitenden Ausgleichsumfangs wird bei Anwendung von Biotopwertverfahren in Wertpunkten beschrieben. Ebenso das Aufwertungspotential der in einem Ökokonto eingestellten Kompensationsmaßnahmen. In Nordrhein-Westfalen existiert eine Vielzahl an Ökokonten öffentlicher und privater Träger. Eine landesweite Statistik wird nicht geführt. Daher liegen der Landesregierung keine Informationen zu dieser Frage vor. 4. Wie groß war innerhalb der letzten fünf Jahre die pro Jahr versiegelte Fläche in Nordrhein-Westfalen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahren) Für die jährlich neu versiegelten Flächen ergibt sich folgende Zahlenreihe: 2011: 15,0 km²/Jahr 2012: 9,0 km²/Jahr 2013: 13,0 km²/Jahr 2014: 12,6 km²/Jahr 2015: 11,4 km²/Jahr (Quelle: Umweltökonomische Gesamtrechnungen der Länder). Im Jahre 2016 erfolgte eine neue statistische Abgrenzung der Flächennutzungsarten, an die die Berechnung der versiegelten Flächen anzupassen war. Die Vergleichbarkeit der Daten vor und nach der Umstellung ist eingeschränkt. Dies schließt die Fortsetzung der dargestellten Datenreihe aus. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7470 4 5. Wie bewertet die Landesregierung das Biotopwertverfahren, insbesondere vor dem Hintergrund von Windkraftanlagen in Wäldern, verbunden mit den dortigen direkten Auswirkungen auf Luftplankton, Fledermäuse und Vögel? Bei der Genehmigung von Windenergieanlagen in und außerhalb von Wäldern ist die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung zu beachten. Hinsichtlich der Kompensationsverpflichtungen ist zwischen der Kompensation von Eingriffen in den Naturhaushalt und das Landschaftsbild zu unterscheiden. Die Bewertung des Eingriffs in den Naturhaushalt erfolgt überwiegend über Biotopwertverfahren. Zur Bewertung der Biotopwertverfahren wird insoweit auf die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2549 vom 11.06.2019 verwiesen (LT-Drs. 17/6518). Für Windenergieanlagen gilt gemäß § 31 Abs. 5 Landesnaturschutzgesetz NRW, dass der hier in erster Linie relevante Eingriff in das Landschaftsbild aufgrund der Höhe der Anlagen (> 20 Meter) in der Regel nicht ausgleichbar oder ersetzbar im Sinne des § 15 Abs. 6 Satz 1 Bundesnaturschutzgesetz ist. Entsprechend § 31 Abs. 5 Landesnaturschutzgesetz ist daher bei der Zulassung einer solchen Anlage für die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes ein Ersatz in Geld zu leisten. Der Windenergie-Erlass („Erlass für die Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen und Hinweise für die Zielsetzung und Anwendung“) vom 08.05.2018 (MBl. NRW. 2018 S. 258) macht unter anderem landesweit einheitliche Vorgaben zur Landschaftsbildbewertung und Ersatzgeld-Ermittlung bei Eingriffen in das Landschaftsbild durch den Bau von Windenergieanlagen. Artenschutzrechtliche Belange sind im Falle einer möglichen Betroffenheit von streng geschützten Fledermausarten oder europäischen Vogelarten zusätzlich zur Eingriffsermittlung und -bewertung im Rahmen einer Artenschutzprüfung (ASP) zu behandeln. Das entsprechende Prüfverfahren wird in Nordrhein-Westfalen durch die VV-Artenschutz (Verwaltungsvorschrift zur Anwendung der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinien 92/43/EWG (FFH-RL) und 2009/147/EG (V-RL) zum Artenschutz bei Planungsoder Zulassungsverfahren) vom 06.06.2016 geregelt. Auf der Grundlage der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz kann sich der Bedarf nach weiteren Vermeidungs- und vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen ergeben. Im Zusammenhang mit dem so genannten "Luftplankton" wird auf den Bericht der Landesregierung "Gefährdung von Insekten durch Windenergieanlagen" (Vorlage 17/2037) verwiesen. Darin wird ausführlich dargelegt, dass vor dem Hintergrund des bisherigen Wissensstandes zum Insektenrückgang kein ursächlicher Zusammenhang mit der Windenergienutzung besteht.