LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/7520 30.09.2019 Datum des Originals: 30.09.2019/Ausgegeben: 07.10.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2930 vom 2. September 2019 der Abgeordneten Norwich Rüße und Wibke Brems BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/7303 Hat die Wasserentnahme großer Schlachtbetriebe Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aufgrund der ausbleibenden Niederschläge und der anhaltenden Trockenheit wurden kürzlich die Bürgerinnen und Bürger in einigen Kommunen Ostwestfalen-Lippes dazu aufgerufen, sparsam mit Wasser umzugehen. Auffällig ist dabei, dass es sich hier um eine Region handelt, in welcher mit der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück der größte Schlachtbetrieb Deutschlands ansässig ist. Belastbare Zahlen zum Wasserverbrauch eines Schlachthofes sind nicht bekannt. Eine Bürgerinitiative aus Gütersloh bilanziert den Wasserverbrauch des Großschlachtbetriebes Tönnies auf derzeit 5.500 m3 täglich. Im Zuge der geplanten Erweiterung könne sich dieser auf bis zu 6.500 m3 erhöhen, was dem täglichen Wasserbedarf von ca. 54.000 Single-Haushalten entspreche, so die Bürgerinitiative1. Insbesondere bei lang anhaltender Trockenheit und angesichts knapper Wasservorräte ist dies eine nicht unerhebliche Größenordnung. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2930 mit Schreiben vom 30. September 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie sowie der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. 1 Bündnis gegen Tönnies Erweiterung: Unsere Einwendungen, in: https://buendnis-gegen-dietoennies -erweiterung.de/unsere-einwendung, Stand: 02.09.2019. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7520 2 Vorbemerkung der Landesregierung Für einen hygienischen Betrieb eines Schlachthofes wird eine ausreichende Menge Trinkwasser benötigt. Daher sind der Wasserbedarf und dessen Bereitstellung bereits bei der Planung eines solchen Betriebes zu berücksichtigen. 1. Wie hoch ist der tägliche Wasserverbrauch des Großschlachtbetriebs Tönnies in Rheda-Wiedenbrück? (Bitte reale Mengen in m3 angeben.) 2. Wie viel Wasser (in m3) darf durch den Schlachtbetrieb Tönnies in Rheda- Wiedenbrück täglich aktuell bzw. zukünftig entnommen werden? (Bitte separat für die alte und die neue Genehmigungslage ausweisen) Die Fragen 1 und 2 werden wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Die Fa. Tönnies Lebensmittel GmbH & Co.KG ist selbst nicht Inhaber eines Wasserrechts, sondern bezieht das erforderliche Trinkwasser von der Vereinigte Gas- und Wasserversorgung GmbH (VGW) aus dem öffentlichen Trinkwassernetz. Die VGW hat ein Wasserrecht für das von ihr betriebene Wasserwerk Rheda-Wiedenbrück beantragt und am 30.01.2006, zuletzt geändert am 22.12.2010, von der Bezirksregierung Detmold befristet bis zum 31.01.2036 erteilt bekommen. Die wasserrechtlich bewilligte jährliche Entnahmemenge liegt bei 1.460.000 m³/a und entspricht nahezu den aktuellen Fördermengen (1.453.286 m3/a im Jahr 2018). Das Wasserrecht wird somit weitgehend ausgeschöpft. Das im Wasserwerk Rheda-Wiedenbrück gewonnene und aufbereitete Wasser wird von der VGW nahezu vollständig an den Sondervertragskunden Tönnies Lebensmittel GmbH &Co. KG geliefert. Ist der Tagesbedarf des Sonderkunden niedriger, wird das überschüssige Trinkwasser zur Versorgung der privaten Haushalte in Rheda-Wiedenbrück verwendet. Die maximal zulässige Entnahmemenge pro Tag liegt bei 5.060 m3/d. Ein Änderungsantrag zur Erhöhung der Wasserentnahme liegt der Bezirksregierung Detmold bisher nicht vor. 3. Warum ist bei einem Unternehmen dieser Größenordnung mit nennenswerten Umweltauswirkungen keine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig, wenn wie im Fall der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück eine Erweiterung des Schlachtbetriebes beantragt wird? Ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) notwendig ist, richtet sich nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz des Bundes (UVPG) sowie ergänzend nach dem UVPG NRW. Das UVPG regelt die UVP-Pflicht in seiner Anlage 1. Die in der Frage in Bezug genommene Erweiterung betrifft die Genehmigungsentscheidung vom 29.11.2018. Mit Antrag vom 05.10.2016 hat die Fa. Tönnies Lebensmittel GmbH & Co.KG bei der zuständigen Behörde, dem Kreis Gütersloh, die wesentliche Änderung und die Änderung des Betriebs der Anlage zum Schlachten von Tieren beantragt. Bei dem Änderungsvorhaben handelte es sich nach Feststellung der Behörde um ein Vorhaben nach Nr. 7.13.1 („Errichtung und Betrieb einer Anlage zum Schlachten von Tieren mit einer Kapazität von 50 t Lebendgewicht oder mehr je Tag“) der Anlage 1 zum UVPG, für die eine allgemeine Vorprüfung zur Feststellung der UVP-Pflicht durchzuführen war. Dabei kam die Genehmigungsbehörde nach Durchführung der nach § 9 i.V.m. § 7 Absatz 1 UVPG erforderlichen überschlägigen Prüfung zu der Einschätzung, dass von dem Änderungsvorhaben keine erheblich nachteiligen Umweltauswirkungen ausgehen werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7520 3 Dieser Einschätzung lagen u.a. Prüfunterlagen des TÜV NORD Umweltschutz GmbH & Co.KG zu den Umweltauswirkungen sowie Gutachten zu Geruchsemissionen und –immissionen, zu den Schallimmissionen und zur Relevanz von Bioaerosolen zu Grunde. Bezüglich des Wasserbedarfs wurde im Antrag ein erwarteter Bedarf nach Umsetzung der beantragten Erweiterung in Höhe von 5.107 m³/d angegeben. Im zuvor genehmigten Antrag (ohne Erweiterung) wurde ein Wasserbedarf in Höhe von 4.180 m³/d angegeben. Mit Stellungnahme vom 10.10.2017 teilte die VGW als Wasserversorger der Fa. Tönnies mit, dass bei einer Erweiterung keine Versorgungsengpässe entstehen werden, da eine etwaige fehlende Wasserversorgung durch Zukäufe von Kontingenten und weitere Bezugsquellen anderer Vorlieferanten ausgeglichen werden könne. Zudem plant die VGW zur Sicherstellung des Tagesbedarfs des Sonderkunden Tönnies die Errichtung eines zusätzlichen Speichers mit einem Volumen von 2.000 m³. Im Ergebnis kam die VGW in ihrer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass die Versorgung der Fa. Tönnies mit bis zu 6.500 m³ Trinkwasser täglich gesichert werden kann. Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 12.07.2017, inhaltlicher Prüfung der Antragsunterlagen und Beachtung und Entscheidung über die Einwendungen ist die beantragte Genehmigung mit Datum vom 29.11.2018 erteilt worden. Von der genehmigten Betriebserweiterung hat die Fa. Tönnies bisher keinen Gebrauch gemacht hat. In diesem Einzelfall bestand keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung, da die zuständige Genehmigungsbehörde im Rahmen der Vorprüfung des Einzelfalls zu der nachvollziehbaren Einschätzung kam, dass von dem beantragten Änderungsvorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten sind. 4. Wird im Fall einer Versorgungsproblematik in Ostwestfalen-Lippe der Trinkwasserversorgung Vorrang vor der Wassernutzung durch den ansässigen Großschlachtbetrieb eingeräumt? (Bitte rechtliche Regelungen benennen) Die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser hat Vorrang vor der Versorgung eines Wirtschaftsbetriebs. Gem. § 50 Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) ist die der Allgemeinheit dienende Wasserversorgung (öffentliche Wasserversorgung) eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Da die öffentliche Wasserversorgung Teil der kommunalen Daseinsvorsorge ist, haben gem. § 38 Landeswassersetz NRW (LWG NRW) die Gemeinden in ihrem Gebiet eine dem Gemeinwohl entsprechende Wasserversorgung sicherzustellen. § 37 Abs. 2 LWG NRW regelt ergänzend dazu, dass bei der Benutzung von Grundwasser, das für die öffentliche Wasserversorgung besonders geeignet ist, die öffentliche Wasserversorgung Vorrang vor anderen Benutzungen hat. Der Betrieb der Firma Tönnies benötigt zur Produktion Trinkwasser und bezieht dieses über die öffentliche Wasserversorgung. Die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung hat, sollte ein Konkurrenzverhältnis bestehen und nicht beide Bedarfe im erforderlichen Umfang befriedigt werden können, in Relation zur betrieblichen Entnahme im Grundsatz ein höheres Gewicht. Dies ergibt sich aus einer höheren Gewichtung der Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser in Relation zu betrieblichen Versorgungsinteressen. Wie aus der Antwort zu Ziffer 5 zu ersehen ist, ist eine solche Problematik aber nicht absehbar. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7520 4 5. Angesichts sich absehbar häufender Dürren in Folge des Klimawandels: Wie bewertet die Landesregierung die beträchtlichen Wasserentnahmen durch Großschlachtbetriebe wie die Firma Tönnies und die Auswirkung auf die Wasserversorgung in der Region? Die Versorgungssicherheit im Wasserwerk Rheda-Wiedenbrück wird durch das natürliche Grundwasserdargebot gewährleistet. Für den Nachweis des Grundwasserdargebots im Gewinnungsgebiet wurden die im Wasserrechtsantrag beschriebenen und im Folgenden zusammengefassten Ergebnisse zugrunde gelegt. Im Rahmen des Wasserrechtsverfahrens (VGW, 2002) ergab sich auf der Grundlage der örtlichen Niederschlagsmenge, Temperatur und Verdunstung, dass ca. 36 % der mittleren Jahresniederschlagshöhe (784 mm) zur Grundwasserneubildung beitragen. Daraus resultiert für das im 6.167.000 m² großen Einzugsgebiet der Wassergewinnung Rheda-Wiedenbrück eine mittlere Grundwasserneubildungsrate von 283 mm/a und eine Menge von 1.745.260 m³/a. Dem stehen mögliche Grundwasserentnahmen in Höhe von 1.460.000 m³/a und Entnahmen Dritter von 101.090 m³/a entgegen. In der Summe ergibt sich eine wasserrechtlich zugelassene Grundwasserentnahme von 1.561.090 m³/a. Daraus resultiert ein Bilanzüberschuss im Einzugsgebiet der Wassergewinnung Rheda-Wiedenbrück von 184.170 m³/a. Das Grundwasserdargebot ist daher ausreichend, um eine nachhaltige Grundwasserförderung der bewilligten Menge zu gewährleisten.