LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/7522 30.09.2019 Datum des Originals: 30.09.2019/Ausgegeben: 07.10.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2882 vom 21. August 2019 des Abgeordneten Rüdiger Weiß SPD Drucksache 17/7195 Inwiefern setzt sich die Landesregierung für die Stärkung des grenzüberschreitenden Katastrophenschutzes ein? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In ihrem Koalitionsvertrag (S.116) verspricht die Landesregierung „die Zusammenarbeit der Krisenzentren im Fall von Naturkatastrophen“ zu verstärken und die „Kooperation im Bereich des Hochwasserschutzes – insbesondere im Rhein“ zu verbessern. Mit Belgien möchte die Landesregierung ein Abkommen schließen, das für den nuklearen Ernstfall ein länderübergreifendes Katastrophenschutzkonzept festlegt. Weiter verspricht sie explizit, sich „mit Nachdruck für die Abschaltung der Kernkraftwerke in Tihange und Doel“ einzusetzen (S. 117). Zwar hat die Landesregierung im April 2019 eine „Erneuerte politische Erklärung der Regierungen der Mitgliedstaaten der Benelux-Union und des Landes Nordrhein-Westfalen über die weitere Entwicklung einer engen Zusammenarbeit“ unterzeichnet, die das Thema „Krisenmanagement und Katastrophenschutz“ explizit aufgreift. Allerdings beschränkt sich die Erklärung in diesem Bereich auf zu großen Teilen bereits geleistete Absichtsbekundungen, sodass aus ihr keine konkreten Maßnahmen oder neue Initiativen erwachsen. In ihrem Antrag aus dem Mai 20191 fordern CDU und FDP die Landesregierung unter anderem auf, eine Koordinierungsstelle zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen NRW und der Benelux- Union einzusetzen und einen sprach- sowie sachkundigen Personalstamm für den Austausch von Verbindungspersonen bei grenzüberschreitenden Krisen aufzubauen. Im Rahmen der Benelux-Union soll die Landesregierung sich für ein Konzept einsetzen, das 1 Siehe Landtag Nordrhein-Westfalen, „Nordrhein-Westfalen in Europa IV: Verlässliche Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Bereichen Katastrophen- und Brandschutz“, Drucksache 17/6250 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7522 2 einheitliche Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zur Bewältigung von Katastrophen und Großschadenslagen beschreibt. Einige dieser Impulse sind durchaus zu begrüßen, da sie auf eine noch reibungsloser funktionierende grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich des Katastrophenschutzes hinwirken können. Allerdings blenden CDU und FDP in ihrem Antrag kritische Bereiche im grenzüberschreitenden Katastrophenschutz vollständig aus. Vor allem das im eigenen Koaltionsvertrag angepriesene und versprochene Abkommen zwischen NRW und Belgien für den nuklearen Ernstfall wird mit keiner Silbe erwähnt. Die Brisanz dieses Themas im Zusammenhang mit dem Handeln oder nicht-Handeln der Landesregierung ergibt sich nicht nur aus den sonderbaren Behauptungen des Ministerpräsidenten. 2017 behauptete er, mit Belgien in einem Dialog zu stehen was die Abschaltung von Tihange angehe, diese Gespräche wurden tatsächlich aber erst Monate später geführt2. Nun hat die Landesregierung in einem weiteren Schritt gezeigt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen nicht auf sie verlassen können, wenn es um einen bestmöglichen Schutz vor einem nuklearen Ernstfall geht. In der 974. Sitzung des Bundesrates 3 hat Nordrhein-Westfalen einen Antrag Baden- Württembergs4, der verhindern sollte, dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland zum Einsatz kommen, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, mittels eines Entschließungsantrags5 dermaßen abgeschwächt, dass der Bundesratsbeschluss in dieser Sache letzten Endes wahrscheinlich vollständig wirkungslos bleiben wird. Statt ein starkes Zeichen gegen den Weiterbetrieb deutscher Brennelementeexporte in grenznahe Risikoreaktoren wie Tihange zu setzen, versteckt sich die Landesregierung einmal mehr hinter der Bundesregierung. Indem die Landesregierung versucht, dieses Problem auf die Bundesebene abzuschieben, bleibt unklar wie sie ihr im Koalitionsvertrag suggeriertes versprechen, selbst mit konkreten Initiativen für den Schutz der nordrhein-westfälischen Bevölkerung vor nuklearen Ernstfällen einzustehen, halten möchte. Die Versprechungen der schwarz-gelben Landesregierung bleiben damit auch knapp zweieinhalb Jahre nach Übernahme der Regierungsgeschäfte unkonkret und die Landesregierung selbst einen Nachweis über deren Verwirklichung oder zumindest die hierzu unternommenen Anstrengungen schuldig. 2 Siehe Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache 17/1916 3 Siehe Bundesrat, Plenarprotokoll 974. Sitzung am 15.02.2019 4 Siehe Bundesrat Drucksache 512/2/18 5 Siehe Bundesrat Drucksache 512/1/18 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7522 3 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2882 mit Schreiben vom 30. September 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet 1. Welche konkreten Initiativen und Maßnahmen, die über reine Absichtsbekundungen hinausgehen, kann die Landesregierung in Bezug auf die Verbesserung des grenzübergreifenden Katastrophenschutzes vorweisen? Das Ministerium des Innern (IM) engagiert sich in mehreren Arbeitsgruppen der Benelux-Union zur Krisenbewältigung (SENN CRISE-STRAT, SENN CRISE, SENN CRISE-COMM, SENN SECOURS) und nimmt regelmäßig an den Arbeitssitzungen in Brüssel teil. Besonders hervorzuheben ist die Zusammenarbeit des Krisenstabs und des Lagezentrums der Landesregierung mit den nationalen Krisenzentren der Nachbarstaaten, die in den letzten beiden Jahren intensiviert wurde. Am 28. und 29. Mai 2019 waren drei Delegationen aus Belgien, den Niederlanden und Luxemburg im IM zu Gast (jeweils Beschäftigte aus den Innenministerien und nationalen Krisenzentren). Anlässlich dieses Besuchs wurden u. a. Workshops zur besseren Krisenkommunikation vor dem Hintergrund bestimmter Krisenszenarien und zu den jeweiligen Übereinstimmungen und Unterschieden der Krisenzentren bzw. des Krisenstabs abgehalten. Im Rahmen dieser Kooperation werden außerdem im Halbjahresrhythmus Kommunikationsübungen durchgeführt, an denen sich das Lagezentrum der Landesregierung beteiligt. Mit diesen Übungen soll ein reibungsloser Kommunikationsfluss in der Krise sichergestellt werden. Am 4. September 2019 fand an der Außenstelle des Instituts der Feuerwehr (IdF) NRW in Telgte ein trilaterales Ministertreffen mit dem Minister für Justiz und Sicherheit der Niederlande und dem Innenminister Nordrhein-Westfalens sowie dem Staatssekretär des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport zum Thema „Grenzüberschreitender Katastrophenschutz“ statt. Ergebnis des Fachaustauschs war, dass die Krisenverantwortlichen der Niederlande und der beiden Bundesländer noch enger zusammenarbeiten wollen. Dazu werden die niederländischen Partner zu einer ersten Arbeitssitzung für die Fachebene im Herbst 2019 einladen. Weiter wurde darüber gesprochen, dass ein Modellprojekt im Dreiländereck Niederlande/Niedersachsen/Nordrhein-Westfalen zum Austausch von Verbindungsbeamten schrittweise möglichst auf die gesamte Grenzregion ausgedehnt werden soll. Für Ende Januar 2020 wird zudem ein zweitägiges, trilaterales Seminar zu derselben Thematik vom IM am IdF organisiert werden, welches die Handlungsaufträge des ministeriellen Fachaustauschs aufgreifen soll. Eingeladen werden die Beschäftigten der unteren Katastrophenschutzbehörden der grenzanliegenden Kreise und kreisfreien Städte, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirksregierungen Köln, Düsseldorf und Münster. Das IM wird für dieses Seminar u. a. einen Workshop organisieren, in dem konkret erarbeitet werden soll, mit welchen Fähigkeiten sich die drei Länder gegenseitig bei schweren Krisen helfen können. Mit den belgischen Behörden wurde ergänzend zu den bereits bestehenden Absprachen über die unmittelbare Übermittlung von Informationen in Krisensituationen im Rahmen der belgischdeutschen Nuklearkommission eine Informationsübermittlung zu Ereignissen in kerntechnischen Anlagen unterhalb der Schwelle für Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vereinbart, so dass auf Sorgen der Bevölkerung reagiert werden kann. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7522 4 2. Wie ist der Stand der Verhandlungen zu dem versprochenen länderübergreifenden Katastrophenschutzkonzept zwischen Belgien und NRW? Das belgische Innenministerium hat zutreffend mehrfach darauf hingewiesen, dass bezüglich eines solchen Vorhabens die Verhandlungspartner auf belgischer Seite die Provinzen sind. Auf unserer Seite obliegt die Katastrophenschutzplanung den Kreisen und kreisfreien Städten. Insbesondere in Bezug auf den Katastrophenschutz im Umfeld von kerntechnischen Anlagen wird die Planung allerdings durch nationale Vorgaben auf beiden Seiten der Grenze wesentlich bestimmt. Dies macht die Verhandlungslage komplex. Das IM beabsichtigt daher eine personelle Unterstützung der Bezirksregierung Köln zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Katastrophenschutzes. Damit sollen unter anderem die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Bezirksregierung Verhandlungen mit der Provinz Lüttich und den grenznahen Kreisen über ein grenzüberschreitendes Katastrophenschutzkonzept unterstützen kann. 3. Wann ist mit der Einrichtung der „Koordinierungsstelle zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen NRW und der Benelux-Union“ und dem „Konzept für einheitliche Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zur Bewältigung von Katastrophen und Großschadenslagen“ zu rechnen? Diese beiden Punkte werden in dem noch in der Beratung befindlichen Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP „Nordrhein-Westfalen in Europa IV: Verlässliche Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Bereichen Katastrophen- und Brandschutz“ (DS 17/6250) an die Landesregierung herangetragen. Die Punkte können nur mit den Benelux- Partnern gemeinsam umgesetzt werden. Am 14. Oktober 2019 wird sich die Senningen- Arbeitsgruppe SENN CRISE für ihre nächste Sitzung treffen. Unter anderem wird die Jahresplanung für 2020 unter niederländischem Vorsitz auf der Agenda stehen. Die AG- Teilnehmer aus dem IM NRW werden diese beiden Punkte anlässlich der Sitzung aufgreifen. 4. Was unternimmt die Landesregierung, um zu verhindern, dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland zum Einsatz kommen, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist? Die Landesregierung selbst hat - wie schon in der Vergangenheit mehrfach öffentlich dargestellt - keine rechtlich belastbare Möglichkeit zur Verhinderung des Einsatzes von Kernbrennstoffen aus deutscher Produktion im Sinne der Fragestellung. Nordrhein-Westfalen hat daher gemeinsam mit den Ländern Baden-Württemberg, Saarland und Rheinland-Pfalz einen Entschließungsantrag („Entschließung des Bundesrates zur Reduktion des von grenznahen Kernkraftwerken ausgehenden Risikos für die Bevölkerung in Deutschland“, Drucksache 512/2/18) in den Bundesrat eingebracht. Dieser Antrag ist in der Sitzung des Bundesrats am 15. Februar 2019 beschlossen worden. Mit Ziffer 5 des Beschlusses bittet der Bundesrat die Bundesregierung, die Prüfung zur Verhinderung des Einsatzes deutscher Kernbrennstoffe in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, unverzüglich zu beginnen und zügig einen rechtssicheren und europarechtskonformen Weg aufzuzeigen, wie ein solcher Export verhindert werden kann, und diesen durch konkrete Maßnahmen schnellstmöglich umzusetzen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7522 5 Nach vorliegenden Informationen hat sich die Bundesregierung in dieser Frage an die Europäische Kommission gewandt. Über eine Antwort der Kommission an die Bundesregierung liegt der Landesregierung keine Information vor. 5. Inwiefern ist die Landesregierung aktuell selbst - das heißt über einen Appell an die Bundesregierung hinaus - aktiv, um die nordrhein-westfälischen Bürgerinnen und Bürger bestmöglich vor einem grenzüberschreitenden nuklearen Ernstfall zu schützen? Herr Ministerpräsident Laschet setzt sich auf allen Ebenen für den Schutz der nordrheinwestfälischen Bürgerinnen und Bürger ein. Er hat die Notwendigkeit dieses Schutzes sowohl gegenüber Belgien als auch gegenüber der Bundesregierung deutlich gemacht, die für die Verhandlungen zuständig ist. Auch darüber hinaus befindet sich die Landesregierung in einem ständigen Dialog mit der belgischen Seite.