LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/7550 01.10.2019 Datum des Originals: 01.10.2019/Ausgegeben: 08.10.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2955 vom 9. September 2019 der Abgeordneten Verena Schäffer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/7379 Neonazi-Zentrum am Kentroper Weg in Hamm (Westf.) Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Wie die Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 20.02.2019 ergab, verfügt die rechtsextreme Szene in NRW über zehn Immobilien, die dauerhaft für Veranstaltungen genutzt werden können (vgl. Drs. 17/5473). Eine der wichtigsten Immobilien existiert seit 2012 in Hamm.1 Wenige Monate nach dem Verbot der „Kameradschaft Hamm“ und der damit einhergehenden Schließung ihrer Räumlichkeiten („Nationales Zentrum“) an der Werler Straße wurde durch eine Einzelperson eine ehemalige Gaststätte im Kentroper Weg 18 angemietet. Diese Räumlichkeiten firmieren im Szenejargon unter „Zuchthaus“. Auf T-Shirts und Aufklebern wird das „Zuchthaus“ als „local racist pub“ bezeichnet. Fungierte zuerst eine Gruppe namens „Fraternitas Germania“ als Betreiberin der Räumlichkeiten, so wies die „Antifa Hamm“ in lokalen Medien bereits im Februar 2013 daraufhin, dass die Neonazis der verbotenen „Kameradschaft Hamm“ das „Zuchthaus“ regelmäßig frequentierten.2 Mittlerweile scheinen die Räumlichkeiten fest in der Hand der Mitglieder des Hammer Kreisverbands von „Die Rechte“ zu sein, deren Führungspersonal sich weitgehend aus den Mitgliedern der verbotenen Kameradschaften in NRW rekrutierte. In den vergangenen Jahren fanden dort zahlreiche neonazistische Veranstaltungen statt. So referierte beispielsweise im April 2017 der bekannte Neonazi-Anführer Dieter R. im „Zuchthaus“.3 Besondere Bedeutung hat die Immobilie aber als Veranstaltungsort für rechtsextreme Musikveranstaltungen gewonnen. Nach Angaben des Rechtsextremismus- Experten Jan Raabe fanden in den Räumlichkeiten im Kentroper Weg seitdem mindestens 25 1Westfälischer Anzeiger vom 18.11.2012, online: https://www.wa.de/hamm/rechte-hamm-bleibt-aktiv-werrieserszene -eroeffnet-club-kreisverband-die-rechte-gegruendet-2622499.html 2Westfälischer Anzeiger vom 28.02.2013, online: https://www.wa.de/hamm/nationales-zentrum-kentroper-weg- 2775235.html 3Westfälischer Anzeiger vom 21,04.2017, online: https://www.wa.de/hamm/hamm-mitte-ort370531/polizei-stadthamm -pruefen-verbot-konzert-vortrag-rechten-treff-8192158.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7550 2 Konzerte und Liederabende statt.4 Die rechtsextremen Veranstaltungen in der Immobilie werden seit Jahren von Seiten der Zivilgesellschaft in Hamm problematisiert.5 Mehrfach fanden Demonstrationen antifaschistischer Gruppen am Kentroper Weg statt.6 Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat die Immobilie in Hamm erstmals im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018 erwähnt. Dort heißt es: „Die Hammer Rechtsextremisten nutzen immer wieder eine Immobilie, um dort wiederkehrend Musikveranstaltungen und Vorträge durchzuführen. Nachdem beispielsweise kurzfristig das rechtsextremistische Konzert „Rock gegen Überfremdung“ aufgelöst wurde, organisierte „Die Rechte“ mit den „Skinheads Südwestfalen“ am 25. August 2018 kurzfristig ein Ersatzkonzert für die Rechtsextremisten aus der Region, an dem eine hohe zweistellige Zahl von Personen teilnahm. Außerdem führte man im August 2018 eine Rechtsschulung durch, bei der den Anwesenden erklärt wurde, wie sie sich bei Hausdurchsuchungen und gegenüber den Sicherheitsbehörden zu verhalten haben.“7 Diese Immobilie ist in der Antwort der Landesregierung auf meine oben genannte Kleine Anfrage (Drs. 17/5473, vom 19.03.2019) aufgeführt. Doch in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Deutschen Bundestag vom 18.01.2019 über Immobilien der rechtsextremen Szene in Deutschland wurde das „Zuchthaus“ in Hamm nicht erwähnt (vgl. Drs. 19/518). Bereits 2017 berichtete der „Westfälische Anzeiger“, dass Polizei, Staatsschutz und kommunales Ordnungsamt das Verbot einer Veranstaltung im „Zuchthaus“ prüfen würden, bei der u.a. der Liedermacher „Freilich Frei“ aus Zwickau auftreten sollte, der ein den NSU verherrlichendes Lied veröffentlicht hatte.8 Bislang wurde aber keine einzige rechtsextreme Versammlung in der Immobilie in Hamm durch die Behörden unterbunden. Wenige Tage vor einem öffentlich beworbenen und als „Sommerfest“ bezeichneten Konzert am 17. August 2019 verfasste die Stadtverwaltung Hamm eine Verbotsverfügung, welche die Durchführung der genannten Veranstaltung in den Räumlichkeiten des Kentroper Weg 18 verbot und bei Zuwiderhandeln ein Ordnungsgeld androhte. Für Beobachter überraschend schritten am Veranstaltungstag aber weder die kommunale Ordnungsbehörde noch die anwesende Polizei ein, als die Neonazis ihre Veranstaltung trotz Verbotes durchführten.9 Zahlreiche auswärtige Besucherinnen und Besucher reisten an. Im Nachgang dokumentierte der Kreisverband Hamm von „Die Rechte“ die Veranstaltung und den Auftritt der drei angekündigten Bands auf ihrer Webseite. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2955 mit Schreiben vom 1. Oktober 2019 namens der Landesregierung beantwortet. 4Jan Raabe: Raum für Rechtsrock, in: Der Rechte Rand, Ausgabe 179, Juli/August 2019, S. 22. 5Westfälischer Anzeiger vom 12.01.2016, online: https://www.wa.de/hamm/antifaschistische-aktion-geht-gegennazi -treff-kentroper-hamm-6027279.html ; Westfälischer Anzeiger vom 7.06.2018, online: https://www.wa.de/hamm/hamm-mitte-ort370531/zuchthaus-fokus-austausch-ueber-rechten-treff-kentroperhamm -9932263.html 6Westfälischer Anzeiger vom 3.10.2018, online: https://www.wa.de/hamm/protestzug-gegen-rechts-hamm-durchinnenstadt -hammer-osten-einheitstag-2017-8729386.html 7Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 98, online: https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/publika tionen-landesbehoerden-verfassungsschutzbericht/vsbericht-nw-2018 8Westfälischer Anzeiger vom 20.04.2017, online: https://www.wa.de/hamm/hamm-mitte-ort370531/polizei-stadthamm -pruefen-verbot-konzert-vortrag-rechten-treff-8192158.html; Belltower News vom 4.01.2019: https://www.belltower.news/freilichfrei-83307/ 9WDR vom 19.08.2019, online: https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/stadt-hamm-ueberwacht-rechtenkonzert -100.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7550 3 1. Haben kommunale Behörden der Stadt Hamm anlässlich des Konzertes am 17. August 2019 um Amtshilfe oder anderweitige Unterstützung von Landesbehörden ersucht? (Falls ja, bitte die Reaktion und diese begründen.) Anlässlich des Konzertes am 17. August 2019 gab es keine Ersuchen um Amtshilfe oder anderweitige Unterstützung von Landesbehörden seitens der Stadt Hamm. 2. In welcher Weise waren die nordrhein-westfälische Polizei und der Verfassungsschutz bislang mit den rechtsextremen Veranstaltungen in der Immobilie am Kentroper Weg 18 befasst, insbesondere haben Austausch, Abstimmung oder Beratung der kommunalen Behörden stattgefunden? (Bitte aufschlüsseln nach: Datum, Art der Veranstaltung, einbezogene Institutionen, behandelte Themen, Ergebnisse.) Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabe Informationen über rechtsextremistische Veranstaltungen in der Immobilie am Kentroper Weg 18 in Hamm gesammelt und ausgewertet. Seitens des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes findet ein vertrauensvoller Austausch mit den Polizeidienststellen des Landes über entsprechende Veranstaltungen statt, soweit die Regelungen des Verfassungsschutzgesetzes NRW dies zulassen. Eine konkrete Abstimmung mit oder Beratung von kommunalen Behörden ist durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz nicht durchgeführt worden. Das Polizeipräsidium Hamm hat seit 2012 jeweils Kontakt zur Stadt Hamm aufgenommen, wenn Veranstaltungen in der Immobilie am Kentroper Weg 18 bekannt wurden, um mögliche Maßnahmen abzusprechen. Darüber hinaus werden die nachgefragten Informationen polizeilich nicht systematisch gegliedert erfasst. 3. Wie viele Veranstaltungen fanden nach Erkenntnissen der nordrheinwestfälischen Polizei und des Verfassungsschutzes in der von Rechtsextremen genutzten Immobilie Kentroper Weg 18 in Hamm bislang statt? (Bitte aufschlüsseln nach: Datum, Art der Veranstaltung, aufgetretene Bands bzw. Rednerinnen und Redner, Teilnehmerzahl, Veranstalter.) Die angefragte Aufschlüsselung von Veranstaltungen ist der Anlage zu entnehmen. In der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit war es nicht möglich, einen unbegrenzten Zeitraum zu recherchieren. Die Untersuchung ist daher auf den Zeitraum von Januar 2016 bis September 2019 beschränkt worden. 4. Welche Erkenntnisse liegen der nordrhein-westfälischen Polizei und dem Verfassungsschutz über rechtsextreme Parteien, Organisationen, Gruppen und Netzwerke vor, die die Immobilie am Kentroper Weg 18 in Hamm nutzen? Nach Informationen der Polizei und des Verfassungsschutzes haben in der Vergangenheit folgende Personengruppen die Immobilie am Kentroper Weg 18 in Hamm genutzt: „Fraternitas Germania" (2012), „Kameradschaft Hamm" (verboten 23.08.2012) und zeitweilig auch „Nationaler Aufbruch Hamm“. Außerdem wurde und wird die Immobilie regelmäßig vom Kreisverband Hamm der Partei „Die Rechte“ sowie vom Kreisverband Unna/Hamm der NPD genutzt. Daneben wurden Veranstaltungen durch die Gruppierungen „Skinheads LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7550 4 Südwestfalen“ und „Voice of Anger“ durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf die beigefügte Anlage verwiesen. 5. Aus welchen Gründen hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bis zum Jahr 2019 in keiner seiner Veröffentlichungen und öffentlichen Verlautbarungen auf die von Rechtsextremen genutzte Immobilie in Hamm hingewiesen, um so seiner Aufgabe, der umfassenden Information von Behörden und Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen, nachzukommen? Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz informiert die Öffentlichkeit in Verfassungsschutzberichten und anderen Medien umfassend und so ausführlich wie möglich über rechtsextremistische Veranstaltungen. Konkrete Lokalitäten werden dabei nur genannt, wenn offene Erkenntnisse vorliegen und die Nennung für das Verständnis des Zusammenhangs oder die Darstellung von Organisationen erforderlich ist. Sind Persönlichkeitsrechte – etwa des Eigentümers – betroffen, müssen darüber hinaus die Interessen der Allgemeinheit an der Nennung das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegen. Auch in den Jahren vor 2019 wurden die Aktivitäten des Kreisverbandes Hamm der Partei „Die Rechte“, insbesondere Vortragsveranstaltungen und Liederabende, stets in der zur Information und Frühwarnung der Öffentlichkeit gebotenen Tiefe dargestellt. Anlage zu der Kleinen Anfrage 2955 Datum Art der Veranstaltung Aufgetretene Bands oder Redner/innen Teilnehmerzahl Veranstalter 16.01.2016 Balladenabend "Projekt Chaos", Duo "Zeitnah" Die Rechte Kreisverband Hamm 23.01.2016 Zeitzeugenvortrag Herbert B. v. M. 70 NPD Kreisverband Unna / Hamm, Die Rechte Kreisverband Hamm 20.02.2016 Zeitzeugenvortrag Jens P. 20 NPD Kreisverband Unna / Hamm 29.04.2016 Balladenabend "F.i.e.L." 06.08.2016 Balladenabend "Fylgien" Die Rechte Kreisverband Hamm 15.10.2016 Balladenabend Martin B. 50 Die Rechte Kreisverband Hamm 15.01.2017 Zeitzeugenvortrag Dr. Olaf R. 30 NPD Kreisverband Unna/ Hamm 29.04.2017 Vortragsveranstaltung und Balladenabend Dieter R., "Freilich Frei", "Reichstrunkenbold“ 25 16.04.2017 Osterfeier Martin B. Die Rechte Kreisverband Hamm 23.09.2017 Balladenabend 21.10.2017 Musikveranstaltung "Blutlinie", "Reichstrunkenbold" 31.12.2017 Silvesterfeier 30.05.2018 Balladenabend "Lunikoff" 80 14.07.2018 Sommerfest "F.i.e.L", Marco B., Sven Skoda 80 Die Rechte Kreisverband Hamm 04.08.2018 Rechtsschulung Sascha KROLZIG 25 Die Rechte Kreisverband Hamm 25.08.2018 Konzert (Ersatzkonzert "Rock gegen Überfremdung") "Skinheads Südwestfalen", Die Rechte Kreisverband Hamm 29.09.2018 Konzert "Kotten", "Preußische Herzbuben" "Voice of Anger", Skinheads Südwestfalen", Die Rechte Kreisverband Hamm 01.10.2018 Geburtstagsfeier mit Live- Musik "Projekt Chaos", "Oidoxie", "Renitenz" rund 150 20.10.2018 Geburtstagsfeier mit Live- Musik "Oidoxie", "Reichstrunkenbold" 80 09.12.2018 Nikolausfeier 30 Die Rechte Kreisverband Hamm 09.03.2019 Balladenabend "Hermunduren" 18.05.2019 Konzert "Kraftschlag" 17.08.2019 Konzert "Sturmwehr", "Blutlinie", "Snöfrid“ Die Rechte Kreisverband Hamm