LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/7679 21.10.2019 Datum des Originals: 18.10.2019/Ausgegeben: 25.10.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3005 vom 20. September 2019 des Abgeordneten Dr. Martin Vincentz AfD Drucksache 17/7466 Stalking wird zu einer immer größeren Bedrohung für die physische und psychische Gesundheit – Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Unter „Stalking“ versteht man das beharrliche Verfolgen, penetrantes Belästigen und Nachstellen einer Person gegen deren Willen, mit dem die Opfer in ihrer Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt werden. Dem Opfer wird nachgestellt, es wird beobachtet und terrorisiert. Hintergrund können eine gescheiterte Beziehung, deren Aufrechterhaltung auf diese Weise erstrebt werden soll, oder der Versuch einer Kontakt- oder Beziehungsaufnahme sein. „Stalking“ hat viele Erscheinungsformen. Die Verhaltensweisen der Stalker reichen von unerwünschten Telefonanrufen und schriftlichen Mitteilungen, welche insbesondere durch Social Media an Bedeutung gewonnen haben, über Verfolgungen, Beobachtungen und Überwachung bis hin zu Drohungen, Sachbeschädigungen und psychischen sowie physischen Gewalthandlungen. Etwa 80 % der Stalker sind Männer, überwiegend im Alter zwischen 30 und 40 Jahren. Die meisten Fälle entwickeln sich aus einer früheren Beziehung oder Bekanntschaft. Nur in etwa jedem fünften Fall ist der „Stalker“ eine gänzlich fremde Person. Stalking ist keine Krankheit sondern eine Gewalttat1. Stalking geht an den Betroffenen nicht spurlos vorüber, im Gegenteil. Die Auswirkungen der Nachstellungen können grenzenlos sein. Es geht bei „einfachsten“ psychischen Folgen los und kann bis hin zum Selbstmord oder schweren gesundheitlichen Folgen führen. Aber auch auf das Sozialleben der Betroffenen kann Stalking enorme Auswirkungen haben. 1 https://polizei.nrw/artikel/stalking LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7679 2 Die niederländischen Forscher Kamphuis und Emmelkamp fanden heraus, dass Stalkingopfer dem identischen psychischen und physischen Stress ausgesetzt sind, wie die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes2. Aus der Darmstädter Stalking–Studie3 geht hervor, dass psychische Folgen unter anderem Schlafstörungen, Albträume, Panikattacken, Depressionen, Gereiztheit, Essstörungen, Misstrauen gegenüber anderen Menschen, Beziehungsunfähigkeit und Suizidgedanken bis hin zum Suizid sind. Körperliche Folgen beginnen bei Magenbeschwerden und Kopfschmerzen bis hin zu abnormaler Infektanfälligkeit durch ein stressbedingt geschwächtes Immunsystem und damit einhergehender Erkrankungen. Aber auch soziale Folgen wie der Verlust des Arbeitsplatzes, kompletter Verlust sämtlicher Sozialkontakte, Verlust des Umfelds und des sonstigen Soziallebens durch Umzug und notwendige Schutzmaßnahmen, sowie fehlende Paarbeziehungen verstärken die eben genannten Symptome. Am 10.03.2017 ist die geänderte Fassung des § 238 StGB „Nachstellung“ in Kraft getreten. Zuvor musste zur Verwirklichung des Straftatbestandes das Leben des Opfers tatsächlich beeinträchtigt sein. Nun ist Stalking bereits strafbar, wenn die Handlungen des Stalkers objektiv dazu geeignet sind, die Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen. Das ermöglicht der Polizei, konsequent gegen jeden vorzugehen, der die Sicherheit eines anderen Menschen gefährdet und seine Lebensgestaltung massiv zu beeinträchtigen versucht. Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 3005 mit Schreiben vom 18. Oktober 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister des Innern, der Ministerin für Schule und Bildung und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. 1. Wie viele Straftaten nach § 238 StGB wurden seit 2017 in NRW registriert? (Bitte nach Regierungsbezirken aufschlüsseln) Auf die als Anlage 1 beigefügte Übersicht wird Bezug genommen. Sie weist die Anzahl der gemeldeten Straftaten nach der Vorschrift des § 238 StGB der Jahre 2017 und 2018 für das Land Nordrhein- Westfalen gegliedert nach den Regierungsbezirken aus. Datenquelle zur Beantwortung der Frage ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Die Erfassung von Straftaten einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche, der Tatverdächtigen und Opfer erfolgt nach bundeseinheitlichen, jährlich mit den beteiligten Gremien abgestimmten Richtlinien. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Summe der für die einzelnen Regierungsbezirke registrierten Straftaten nicht mit der insgesamt für das Land Nordrhein-Westfalen ausgewiesenen Anzahl der registrierten Fälle übereinstimmen muss. Bei der Aufnahme einer Anzeige besteht die Möglichkeit, anstelle eines konkreten Ortes auch „Land NRW“ zu erfassen (z. B. wenn ein Tatort bei Anzeigeerstattung nicht eindeutig 2 http://www.stalking-justiz.de/stalking/psychische-und-koerperliche-stalkingfolgen/ 3 Wondrack/ Hoffmann/ Voß, Traumatische Belastung bei Opfern von Stalking, Praxis der Rechtspsychologie 15(2)2005, S.222 ff. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7679 3 zuzuordnen ist). Diese Fälle werden dann zwar für das Land NRW, nicht jedoch für einen Regierungsbezirk erfasst. 2. Wie viele Straftaten wurden vor Änderung des § 238 StGB unter dem Straftatbestand der Nachstellung seit dessen Einführung im Jahr 2007 registriert? (Bitte ebenfalls eine Aufschlüsselung nach Regierungsbezirken) Die Erfassung von Straftaten nach der Vorschrift des § 238 StGB wurde am 1. April 2007 in die PKS aufgenommen. Die Änderung des § 238 StGB trat am 1. März 2017 in Kraft. Eine Übersicht der gemeldeten Straftaten der Jahre 2007 - 2016 für das Land Nordrhein-Westfalen, gegliedert nach den Regierungsbezirken, ist als Anlage 2 beigefügt. 3. Wie oft wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt oder durch Rücknahme der Anzeige/des Antrags durch den Betroffenen beendet? (Bitte eine Aufschlüsselung nach Jahren und Regierungsbezirken und Trennung zwischen vor und nach Änderung des Gesetzes am 10.03.2017)? Daten liegen der Landesregierung hierzu nicht vor. Statistische Angaben zu Ermittlungsverfahren werden im Rahmen der Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten bei den Staats- und Amtsanwaltschaften (StA-Statistik) erhoben. Für die Straftaten nach § 238 StGB sieht diese kein eigenes Sachgebiet vor. Die entsprechenden Ermittlungsverfahren werden statistisch - neben einer Vielzahl an weiteren Straftaten - in den Sachgebieten 90 „sonstige, allgemeine Straftaten, für die das Gesetz Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr vorsieht“ (§ 238 Absatz 3 StGB) und 99 „sonstige allgemeine Straftaten“ (§ 238 Absätze 1 und 2 StGB) erhoben. Eine Ausdifferenzierung ist nicht möglich. Der Strafverfolgungsstatistik für das Land Nordrhein-Westfalen sind allerdings für die Jahre 2008 - 2018 Anzahl und Anteile gerichtlicher Verfahrenserledigungen zu entnehmen, soweit Nachstellung das mit der schwersten Strafe bedrohte Delikt war. Da die Tatzeit in der Statistik nicht mitgeteilt wird, lässt sich jedoch nicht ermitteln, welche Fassung des § 238 StGB in 2017 und 2018 jeweils zugrunde lag. Dies vorausgeschickt liegen insoweit folgende Zahlen vor: Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil 2008 123 50,6% 105 43,2% 11 4,5% 2009 127 46,0% 134 48,6% 12 4,3% 2010 113 43,0% 137 52,1% 13 4,9% 2011 100 41,7% 124 51,7% 15 6,3% 2012 73 38,2% 107 56,0% 11 5,8% 2013 67 37,0% 95 52,5% 18 9,9% 2014 47 32,0% 92 62,6% 7 4,8% 2015 30 25,2% 76 63,9% 12 10,1% 2016 31 27,9% 70 63,1% 10 9,0% 2017 45 37,2% 66 54,5% 10 8,3% 2018 69 37,7% 90 49,2% 24 13,1% gerichtliche Einstellungen FreisprücheVerurteilungen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7679 4 4. Welche Informationskampagnen/Präventionskampagnen hat das Land NRW zu diesem spezifischen Thema angeboten? 5. Welche Maßnahmen im Allgemeinen werden seitens der Landesregierung getroffen, um eine Sensibilisierung der Gesellschaft zu diesem Thema zu erreichen? Fragen 4 und 5 werden gemeinsam beantwortet. Die Kreispolizeibehörden informieren Bürgerinnen und Bürger zu dem Phänomen „Stalking“. Sie weisen insbesondere auf unterschiedliche Erscheinungsformen, Gefährdungseinschätzungen und Opferrisiken hin. Sie geben Empfehlungen zu tatreduzierenden Verhaltensweisen und verdeutlichen potenziellen Täterinnen und Tätern, zum Beispiel im Rahmen von Gefährderansprachen, rechtliche und tatsächliche Konsequenzen ihres Handelns. Sie weisen Betroffene auf Beratungsangebote von Opferschutz- und Hilfeeinrichtungen hin. Die Internetseite des Programms Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) enthält unter https://www.polizei-bera-tung.de/opferinformationen/stalking/ deliktsspezifische Informationen für Bürgerinnen und Bürger und Betroffene zu dem Phänomen. Ein Informationsblatt erläutert, wie Betroffene sich gegen Stalking schützen können, welche Opferrechte sie haben und wo sie weitere Hilfe und Unterstützung finden können. Unter der genannten Internetadresse von ProPK ist ebenfalls der Film „Wenn Liebe zur Bedrohung wird“ frei verfügbar eingestellt. Dieser Film wird unter anderem von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kreispolizeibehörden eingesetzt, um Bürgerinnen und Bürger über das Phänomen „Stalking“ zu informieren. Darüber hinaus fördert das Land seit vielen Jahren die Arbeit örtlicher Runder Tische gegen Gewalt an Frauen. In diesem Rahmen wurden auch Projekte zum Thema Stalking unterstützt. Daneben wird auch im Rahmen der Erstellung des Landesaktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen Jungen, Männer und LSBTTI in Nordrhein-Westfalen das Thema behandelt. Schließlich tragen auch die regelmäßig in öffentlicher Hauptverhandlung ergangenen Verurteilungen wegen Nachstellung sowohl zur Spezial- als auch zur Generalprävention bei. Anlage 1 zur Kleinen Anfrage 3005 Land Nordrhein-Westfalen 5 070 5 159 RB Arnsberg 901 1 002 RB Detmold 412 458 RB Düsseldorf 1 342 1 384 RB Köln 1 430 1 523 RB Münster 819 792 Quelle: PKS NRW Nachstellung (Stalking) § 238 StGB Fälle 2018 Bezirk 2017 Anlage 2 zur Kleinen Anfrage 3005 Land Nordrhein-Westfalen 4 429 7 657 7 659 7 338 6 980 6 918 6 638 6 034 5 513 5 190 RB Arnsberg 905 1 465 1 486 1 516 1 534 1 235 1 208 1 096 998 996 RB Detmold 411 659 621 475 487 532 519 489 454 430 RB Düsseldorf 1 318 2 139 2 087 2 008 1 803 1 840 1 768 1 545 1 357 1 255 RB Köln 1 213 2 417 2 378 2 353 2 148 2 189 2 040 1 844 1 656 1 506 RB Münster 573 943 1 017 919 941 1 001 985 936 883 831 *ab 01.04.2007 Quelle: PKS NRW Nachstellung (Stalking) § 238 StGB Fälle Bezirk 2010 2011 2012 20162007* 2008 2009 2013 2014 2015