LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/7682 21.10.2019 Datum des Originals: 21.10.2019/Ausgegeben: 25.10.2019 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3010 vom 23. September 2019 des Abgeordneten Sven W. Tritschler AfD Drucksache 17/7484 Landesregierung votiert im Bundesrat für Strafrechtsverschärfung: Wird EU-Kritik strafbar? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Bundesrat hat im Rahmen seiner Sitzung vom 20. September 2019 die Einbringung eines Gesetzentwurfs beschlossen, der die Verunglimpfung „europäischer Symbole“ unter Strafe stellen soll (BR-Drs. 285/19). Mit „europäischen Symbolen“ sind laut Antrag „Flagge und Hymne“ der Europäischen Union (EU) gemeint. Die Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen haben im Bundesrat dem Antrag zugestimmt. Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 3010 mit Schreiben vom 21. Oktober 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. 1. Besonderer strafrechtlicher Schutz wird neben Religionsgemeinschaften (§ 166 StGB) bisher nur der Bundesrepublik Deutschland und den Ländern (§ 90a StGB), ihren Verfassungsorganen (§ 90b StGB) und dem Bundespräsidenten (§ 90 StGB) zuteil. Außerdem sind die Flaggen und Hoheitszeichen anderer Staaten geschützt (§ 104 StGB). Die Europäische Union ist kein Staat, sondern laut Bundesverfassungsgericht ein Staatenverbund (BVerfGE 89, 155). Wie ist vor diesem Hintergrund der besonders hohe Schutz seiner Symbole zu rechtfertigen? Auf die Begründung des angesprochenen Gesetzentwurfs (BR-Drs. 285/19) wird Bezug genommen . Darin wird u. a. ausgeführt: „Die Werte, auf die sich die Europäische Union nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7682 2 Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte ein-schließlich der Rechte der Personen , die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet. Diese gemeinsamen Werte der Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichten auch die Bundesrepublik Deutschland, diese Werte zu schützen. Bereits in der Präambel des Grundgesetzes ist die verfassungsrechtliche Grundentscheidung zur Einigung Europas verankert. Artikel 23 Absatz 1 Satz des Grundgesetzes sieht zur Verwirklichung dieses vereinten Europas die Mitwirkung der Bundesrepublik bei der Entwicklung der Europäischen Union vor. Hierbei handelt es sich zugleich um eine Staatszielbestimmung und um einen rechtsverbindlichen Auftrag (vgl. Streinz, in: Sachs, GG-Kommentar, 8. Auflage 2018, Artikel 23, Rn. 10). Als Gründungsmitglied und Mitgliedstaat hat die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 Absatz 1 des Grundgesetzes auch Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen. Diese ist damit Teil der deutschen Rechtsordnung und hat insoweit eine besondere Verantwortung. … auch die europäische Integration und die sie versinnbildlichende Europäische Union stellen ein Verfassungsgut dar und ihre Verunglimpfung kann die für den inneren Frieden notwendige Autorität der Hoheitsmacht beeinträchtigen. … Indem das Grundgesetz die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Europäischen Union und die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union nach Artikel 23 Absatz 1 des Grundgesetzes anerkennt, ist die Bundesrepublik Deutschland auch auf die Identifikation ihrer Bürger mit dieser Integrationsentscheidung des Grundgesetzes und mit der Europäischen Union als solcher angewiesen. Durch die Ausübung unmittelbarer Hoheitsgewalt über deutsche Bürger, beansprucht die Europäische Union ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland selbst eine für den inneren Frieden erforderliche Autorität und darf gegen Angriffe geschützt werden. Die unmittelbare Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Europäische Union begründet hierbei auch die Gleichstellung des Schutzes der EU-Symbole mit Symbolen der Bundesrepublik Deutschland. …“ 2. Welche anderen Mitgliedsstaaten der EU haben ähnliche Regelungen? (Bitte aufschlüsseln nach Umfang, Strafmaß, Jahr der Einführung, Anzahl der Verurteilungen ) Die Landesregierung hält nicht den aktuellen Gesetzgebungsstand und die Verurteilungsstatistiken sämtlicher Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach. 3. Wie wird sichergestellt, dass Kritik an der EU durch diese Novelle nicht erschwert wird? Auch insoweit wird auf die Begründung des Gesetzentwurfs Bezug genommen, soweit darin u. a. wie folgt auf den Schutz der Meinungs- und Kunstfreiheit gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes abgestellt wird: „Durch die neue Strafvorschrift wird das Recht zu sachlicher oder berechtigter Kritik, selbst wenn sie noch so deutlich ist, nicht beeinträchtigt. Es ist aber ein Gebot der Selbstachtung und Selbstbehauptung, dass die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union diese gegen böswillige Verächtlichmachung schützt.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7682 3 4. Die „Symbole“ der Europäischen Union wurden im EU-Verfassungsvertrag von 2004 festgeschrieben (Art. I-8). Dieser scheiterte jedoch am Votum des niederländischen und des französischen Volkes. Im gültigen Lissabonvertrag ist keine Regelung enthalten; es gibt auch keine andere Rechtsgrundlage, die „europäische Symbole “ festschreibt. Ist es nicht widersprüchlich, „europäische Symbole“ mit der Androhung von Gefängnisstrafen zu schützen, die auf EU-Ebene jeglicher Rechtsgrundlage entbehren ? Das ist nicht der Fall. Die Begründung des Gesetzentwurfs verhält sich hierzu wie folgt: „Als Tatobjekt soll zunächst die europäische Flagge als ein Symbol für die Europäische Union und für die Einheit sowie im weiteren Sinne für die Identität Europas geschützt sein. Der Kreis der goldenen Sterne auf azurblauem Hintergrund steht für die Solidarität und Harmonie zwischen den europäischen Völkern. Am 8. Dezember 1955 beschloss das Ministerkomitee dieses Emblem (Kreis aus zwölf goldenen Sternen auf blauem Grund) für die Europa-Flagge. Nachdem der Europarat der Verwendung der von ihm 1955 eingeführten Europa-Flagge zugestimmt hatte, wurde sie Anfang 1986 von den Gemeinschaftsorganen eingeführt. Darüber hinaus soll die Europäische Hymne geschützt werden. Sie stammt aus der Neunten Symphonie, die Ludwig van Beethoven im Jahr 1823 als Vertonung der von Friedrich Schiller 1785 verfassten ´Ode an die Freude´ komponierte. 1972 erklärte der Europarat Beethovens ´Ode an die Freude´ zu seiner Hymne. 1985 wurde sie von den EU-Staats- und Regierungschefs als offizielle Hymne der Europäischen Union angenommen.“ 5. Die Europäische Union hat aus nicht näher bezeichneten Gründen Beethovens Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“ zu ihrer „Hymne“ erklärt. Beide Werke sind durch den Zeitablauf „gemeinfrei“ im Sinne des Urheberrechts. Wie soll sichergestellt werden, dass ihre Verwendung durch die Novelle nicht eingeschränkt wird? Der Gesetzentwurf sieht eine Einschränkung nur in Fällen vor, die nach Maßgabe des vorgeschlagenen Straftatbestandes strafwürdig erscheinen.