Drucksache 16/1078 21. 03. 2012 Druck: Landtag Rheinland-Pfalz, 2. April 2012 b. w. LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16. Wahlperiode K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Pia Schellhammer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Funkzellenabfrage – Massenauswertung von Handydaten Die Kleine Anfrage 685 vom 28. Februar 2012 hat folgenden Wortlaut: Bei der Funkzellenabfrage (FZA) handelt es sich um eine Ermittlungsmaßnahme, die an hohe rechtliche Voraussetzungen ge bunden ist. Laut Juristinnen/Juristen und Innenexpertinnen/-experten stellt diese Art und Weise der Fahndung eine besondere Herausforderung dar, da eine hohe Eingriffsintensität erreicht wird. In letzter Zeit sorgte die Massenauswertung von hoch sensiblen Mobilfunkdaten in anderen Bundesländern für intensive Diskussionen. Vor dem Hintergrund, dass die FZA die Verhältnismäßigkeit des Datenaufkommens erfordert und nur bei „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ zum Einsatz kommen darf, frage ich die Landesregierung: 1. Im Zusammenhang mit welchen Deliktsgruppen gelangt das Instrument der Funkzellenauswertung zum Einsatz? Wie wird in diesem Zusammenhang der Begriff „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ ausgelegt? 2. Mit welcher Effektivität nutzt das LKA Rheinland-Pfalz den Einsatz der Funkzellenabfrage? Welche Bedeutung hat die Funk- zellenabfrage für die polizeilichen Ermittlungen (wenn möglich Fallbeispiele nennen)? 3. Sind der Landesregierung die Bedenken zum Einsatz der FZA bekannt? Wie beurteilt die Landesregierung die Bedenken? Sieht die Landesregierung die Verhältnismäßigkeit bei der Anwendung der FZA gewahrt? Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 20. März 2012 wie folgt beantwortet: Zu Frage 1: Eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn es sich um eine im Deliktskatalog des § 100 a Abs. 2 StPO (Telekommunikationsüberwachung) bezeichnete schwere Straftat handelt. Da dieser Katalog von schweren Straftaten nicht abschließend ist („insbesondere“), muss es sich mindestens um eine Straftat der mittleren Kriminalität handeln, die den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Dabei handelt es um Verbrechenstatbestände und Vergehen mit einer Strafrahmenobergrenze von über zwei Jahren. Hinzu kommen muss, dass sich der Tatverdacht auf eine „im Einzelfall schwerwiegende Tat“ bezieht. „Die Tat muss demnach nicht nur abstrakt aufgrund des Deliktstypus, sondern auch im Hinblick auf ihre konkrete Begehung und ihre Folgen schwerwiegend sein.“ *) Bei Bagatell delikten scheidet die Maßnahme aus. Zu Frage 2: Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit, aber auch aus Effizienzgründen setzen die rheinland-pfälzischen Polizeibehörden die Funkzellenabfrage nur in Fällen ein, bei denen nach den Umständen des Einzelfalls Hinweise die Annahme begründen, dass zwischen den Tatbeteiligten eine ereignisrelevante Kommunikation stattgefunden hat. Eine Statistik über die Effektivität der Maßnahme wird nicht geführt. *) Vgl. Julius/Gercke/Kurth/Lemke/Pollähne/Rautenberg/Temming/Woynar/Zöller: Heidelberger Kommentar – Strafprozessordnung , S. 478, Ziff. 21. Drucksache 16/1078 Landtag Rheinland-Pfalz – 16.Wahlperiode Mit Blick auf das Ermittlungsziel eignet sich die Maßnahme insbesondere zur Aufklärung von Serientaten (z. B. Sexualdelikte), aber auch zur Ermittlung von Einzeldelikten. Die Kommunikation, die vor Ort stattgefunden hat, kann sich hierbei als Kontakt des Beschuldigten mit anderen Verdächtigen (z. B. die Absprache des Täters vor Ort mit räumlich abgesetzten Hintermännern bei Einbrüchen ) oder als Kontakt zum Opfer darstellen. Die dabei zu gewinnenden Ermittlungsansätze können wesentliche Beiträge zur Überführung von Straftätern, aber auch zur Entlastung von Verdächtigen leisten. Hinzu kommen Ermittlungsverfahren, bei denen anhand der Daten eines bei einem Festgenommenen aufgefundenen Mobiltelefons ermittelt werden soll, ob dieser für weitere ungeklärte Taten in Betracht kommt. In einem aktuellen rheinland-pfälzischen Ermittlungskomplex konnten 24 bandenmäßig begangene Wohnungseinbruchsdiebstähle hierdurch aufgeklärt werden. Zu Frage 3: Der Landesregierung sind die aus dem Polizeieinsatz in Dresden vom Februar 2011 resultierenden Bedenken zum Einsatz der Funkzellenauswertung bekannt (Hinweis: Bundesratsdrucksache 532/11, Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen). Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist ein Grundsatz des deutschen Rechtsstaatsprinzips. Bei rechtmäßiger Anwendung der ermächtigenden Norm sieht die Landesregierung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei einer richterlich angeordneten Funkzellenabfrage gewahrt. Die Maßnahme darf gemäß § 100 g Abs. 2 Satz 2 StPO nur erfolgen, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Das bedeutet, dass andere Erfolg versprechende und weniger schwerwiegende Ermittlungsmaßnahmen bereits durchgeführt worden sein müssen oder von vornherein aussichtslos sind. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt, dass die Anlasstat und der den Ermittlungen zugrunde liegende Verdacht umso gravierender sein müssen, je größer die zu erwartende Zahl Unbeteiligter ist. Die Einhaltung dieser Voraussetzungen ist verfahrensrechtlich durch einen Richtervorbehalt abgesichert. Zur Begrenzung des Eingriffs ist bei der Funkzellenabfrage weiterhin erforderlich, den relevanten Zeitraum und die Örtlichkeit der Telekommunikation so präzise wie möglich zu bestimmen. Dadurch wird die Trefferwahrscheinlichkeit im Hinblick auf den Teilnehmer erhöht und die Anzahl der unbeteiligten Dritten minimiert. Die Anordnung einer Funkzellenabfrage nach § 100 g Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 100 b Abs. 1 StPO steht nach geltendem Recht unter dem Vorbehalt einer genauen richterlichen Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen einschließlich der Angemessenheit des Eingriffs. In diesem Rahmen muss das Gericht aus Verhältnismäßigkeitsgründen die anzuordnende Maßnahme im Einzelfall zeitlich und örtlich weiter begrenzen oder sogar ablehnen, wenn eine solche Begrenzung nicht möglich oder das Ausmaß der Betroffenheit Dritter unangemessen ist. Die rheinland-pfälzischen Polizeidienststellen sind gehalten, grundsätzlich vor der Abfrage von Funkzellendaten über das Landeskriminalamt eine „Funkzellenbestimmung“ durchzuführen. Hierdurch werden in einem Messverfahren genau die Funkzellen festgestellt , die den Tat- bzw. Ereignisort auch tatsächlich abdecken. Damit reduziert sich der Umfang der auszuwertenden Verkehrsdatensätze und damit verbundener Rechtseingriffe teils erheblich und trägt hierdurch insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Diese und weitere verfahrenssichernde Maßnahmen sind Gegenstand einer Verfahrensregelung „Funkzellenabfrage und -auswertung “ des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur, die sich zurzeit in der Abstimmung mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und dem Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz befindet. Roger Lewentz Staatsminister